Machtgewinn und Machterhalt
Protokollfälschungen im Rathaus. Grüne ausgetrickst: Politische Kultur im Rathaus
(woku) Daß Politiker zur Wahrheit ein ganz spezielles Verhältnis haben, weiß man nicht erst seit Lambsdorff, Barzel und Barschel. Daß die junge Führungsriege der SPD, die noch vor wenigen Jahren gegen die faulen Tricks des „dreckigen Sumpfes“ ankämpfte, ihre Vorgänger offenbar nicht nur im Amt beerbt hat, ist hingegen neu.
Zwei grüne und ein sozialdemokratischer Ratsherr klagen gegen den Rat, vertreten durch den SPD-Ratsvorsitzenden, Oberbürgermeister Eberhard Menzel, weil er am 20. April bei der Erörterung und Abstimmung über die Schulverlagerungen alle Lehrer samt und sonders als „befangen“ aus dem Ratssaal schickte, obwohl sie – wie z. B. die IGS-Lehrer – von den Entscheidungen nicht im mindesten berührt waren. Nur gegen Schluß der monatelangen Schuldebatte hatte eine große Koalition aus SPD- und CDU-Führung durch eben die Feststellung, daß die IGS von dem ganzen Gerangel nicht betroffen sei, die IGS-Lehrer „befangen“ gemacht. Vor Gericht soll nun also geklärt werden, wieso eine ganze Berufsgruppe ohne Unterschied des Arbeitsplatzes aus dem Saal mußte, obwohl z.B. ein Bauunternehmer im Rat durchaus mit abstimmen darf, wenn es um einen Auftrag für einen Angehörigen derselben Branche geht. Und zum zweiten: ob es rechtens ist, eine ganze Fraktion, nämlich die Grünen, von Debatte und Abstimmung auszusperren, indem man sie für befangen erklärt.
Oberbürgermeister Menzel reagierte rasch auf die Klage und ließ das Verwaltungsgericht in Oldenburg wissen, die IGS sei von Anfang an in der Schuldiskussion betroffen gewesen und: die befangenen Ratsmitglieder hätten schließlich „freiwillig“ und ohne besondere Aufforderung den Saal verlassen – was beides schlichtweg falsch ist.
Das Klägertrio, bestehend aus dem SPD’ler Karl-Heinz Föhlinger (Comeniusschule) und den Grünen Gerd Kläne (Heppens) und Werner Biehl (IGS) wollte nun das zeitlich nach der Klageerhebung erstellte offizielle Ratsprotokoll zu Hilfe ziehen – aber das schwieg sich zu dem turbulent abgelaufenen Befangenheitszirkus am 20. April aus. Als sie das üblicherweise mitgeschnittene Tonbandprotokoll einhören wollten, erklärte man ihnen, das sei bereits gelöscht worden – was besonders Erstaunen hervorrief, war doch das vorgelegte schriftliche Protokoll a) bereits in Kenntnis der anhängigen Klage abgefasst worden und b) das schriftliche Protokoll vom Rat noch nicht genehmigt worden.
In der folgenden Ratssitzung am 18. Mai bat der Grüne Werner Biehl folgerichtig um Aufnahme der unterschlagenen Passagen ins offizielle Protokoll. OB Menzel – sich der Tragweite der Protokollergänzung offenbar nicht bewußt – hatte zunächst nichts dagegen, wurde aber rasch von Rechtsamtsleiter Wolfgang Frank gebremst, der – die Kosten einer Niederlage im Rechtsstreit mit den drei Lehrern vor Augen – feststellte, Biehl dürfe gar keinen Antrag stellen, da er wegen des laufenden Rechtsstreit ja befangen sei (was ihn nicht hinderte, seinen in dieser Sache ebenfalls befangenen Genossen Menzel die Sitzung weiter leiten zu lassen). Als Beate Latendorf (Frauenliste) jetzt Biehls Protokolländerungsantrag übernahm, bat Menzel hilfesuchend Frank um eine Rechtsauskunft. Der Rathausaufsteiger aus der Eickmeier-Ära erklärte nun, alle Beteiligten (mit Ausnahme des betroffenen, aber wohl nicht befangenen Oberbürgermeisters) hätten bei der Abstimmung über den Änderungsantrag aus dem Saal zu verschwinden. Im übrigen versuche natürlich jemand – so ergänzte Frank ungefragt – „der im Rechtsstreit liegt und glaubt diesen zu verlieren“, nachträglich seine Position zu verbessern. Er meinte damit nicht etwa den Ratsvorsitzenden, sondern die Kläger. Der Antrag Latendorf/Biehl wurde sodann von der Großen Rathauskoalition aus SPD und CDU abgeschmettert.
Nun war guter Rat für die Kläger teuer, müssen sie doch – wollen sie vor Gericht siegen – nachweisen, nicht freiwillig aus dem Saal gegangen zu sein. Der GEGENWIND grub in seinem Archiv und wurde fündig. Daraus ergibt sich: Das offizielle Protokoll darf nach der bewußten Verhinderung des Änderungsantrages getrost als gefälscht bezeichnet werden. Die Sache verlief am 20.4. so:
Menzel beklagt, daß sich niemand vorschriftsmäßig freiwillig für befangen erklärt hat, nennt dann acht Namen und fordert die Betroffenen auf, „den Beratungsraum zu verlassen.“ Latendorf fordert so dann Einzelabstimmungen über die Befangenheit jedes einzelnen Lehrers, was Menzel ablehnt: Ein Beschluß sei nur notwendig, wenn die Befangenheit strittig sei. Dies sei nur bei den IGS-Lehrern der Fall. Darüber wolle er jetzt abstimmen lassen, die IGS’ler sollten also den Raum verlassen. Die tun dies erst nach nochmaliger Aufforderung. Auch die Lehrer Föhlinger (SPD) und Kläne (Grüne) räumen erst nach weiteren z.T. namentlichen Aufforderungen des Ratsvorsitzenden und einem weiteren Vorstoß des SPD-Fraktionsvorsitzenden und Oldenburger Verwaltungsrichter Udo Bergner das Feld. Als der Saal lehrerfrei ist, geht man dann unter Ausschluß der grünen Fraktion an die Beratung und Beschlussfassung über die umstrittenen Schulverlagerungen.
Den Oldenburger Richtern dürfte es nicht schwerfallen, den wahren Hergang zu rekonstruieren. Sollten sie Probleme haben, dann können sie ja zudem ihren Kollegen Bergner fragen. der der Sache beigewohnt hat.
Sozialdemokratische Programme äußern sich nicht zu Protokolltricksereien und ähnlichem. In dem Entwurf für ein neues SPD-Grundsatzprogramm (verabschiedet in Bad Irsee im Juni 1986) steht allerdings unter dem Stichwort „Politische Kultur“ der sinnenschwere Satz: „Der Zweck von Machtgewinnung und Machterhaltung heiligt nicht jedes Mittel.“ Aber der lrseer Entwurf ist noch nicht beschlossenes Programm.
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