Landstrom
Nov 192008
 

Schiffe an die Steckdose!

Das sollte doch möglich sein: Landstromversorgung von Containerschiffen am JadeWeserPort.

(jm) Noch knapp vier Jahre ist es hin, dann werden der JadeWeserPort (JWP) und das Electrabel-Kohlekraftwerk in Betrieb gehen. Bis dahin dürfte auch die Niedersachsenbrücke längst für die Vervielfachung des Kohleumschlags gerüstet und dazu ein Zwischenlager mit einem jährlichen Durchsatz von Millionen Tonnen Importkohle, bestimmt für den Schienentransport ins Binnenland, errichtet sein.


Viele Wilhelmshavener BürgerInnen verbinden allein schon mit dem JWP große Hoffnung auf Tausende von sicheren Arbeitsplätzen. Dafür mussten sie ihren Geniusstrand aufgeben und müssen künftig zusätzliche Lärmbelastungen und verschlechterte Atemluft in Kauf nehmen.
Trotz gegenteiliger Verlautbarungen werden allein schon durch diese Großprojekte die zulässigen „Irrelevanzkriterien“ in den Wohngebieten der näheren Umgebung bei einigen Schadstoffen im Maximum überschritten.
Darüber hinaus stehen bekanntlich bereits weitere Großvorhaben zeitnah vor der Realisierung: Ein zweiter E.ON-Kraftwerksblock, der in fünf bis sechs Jahren in Betrieb gehen soll, und der Ausbau der WRG-Raffinerie, für den die Antragsunterlagen bereits bei der Gewerbeaufsicht eingereicht worden sind. In Planung sind zudem der Bau des Nordgleises, das die Binnenhäfen an das Industriestammgleis anschließen soll, sowie die Anlandung von Flüssigerdgas via NWO-Umschlagbrücke.
Um aber die Hoffnungen auf die angekündigte Anzahl von Arbeitsplätzen erfüllen zu können, müssen zusätzlich viele hafenbezogene Betriebe für die Ansiedlung auf den Grodenflächen gewonnen werden. (In welchem Umfang dies gelingen wird, steht allerdings in den Sternen…)
Mit dem erweiterten Hafenbetrieb verbunden sind der bislang kaum zu Buche schlagende Ab- und Zulauf von Containern und Massengütern sowie von betriebsbezogenen Versorgungs- und Personenverkehren. Die daraus resultierende Verkehrszunahme auf Schiene und Straße wird die durch Neuansiedlungen bereits zunehmenden Lärm- und Schadstoffbelastungen noch weiter erhöhen.

 

 

Landstrom
Nach einer erfolgreich verlaufenen Testphase haben Siemens Energy und die Stadtwerke Lübeck am 21. August 2008 Deutschlands erste Landstromversorgung für die Handelsschifffahrt in Betrieb genommen. Die auf dem Nordlandkai des Lübecker Hafens installierte Landstromversorgung versorgt Schiffe während ihrer Liegezeit im Hafen über das örtliche Mittelspannungsnetz umweltfreundlich und wirtschaftlich mit elektrischer Energie. Foto: Siemens-Pressebild

 

Es besteht jedoch die Möglichkeit, diesen auf die Jaderegion zukommenden Mehrbelastungen die Spitze zu nehmen, nämlich durch Abschaltung der dieselbetriebenen Stromgeneratoren an Bord der Schiffe während ihrer Liegezeit an der JWP-Stromkaje. Stattdessen bekommen sie ihren Strom aus der Steckdose – will heißen, sie werden an der Kaje mit Strom von Land versorgt. Wenigstens eine der vielen bestehenden und künftigen Lärm- und Schadstoffquellen kann damit hundertprozentig verstopft werden.
Und die damit verbundene Entlastung wird erheblich sein: Zwar müssen ab 2010 lt. EU-Richtlinie alle Schiffe, die in einem EU-Hafen liegen, Schiffstreibstoffe mit höchstens 0,1 % Schwefelgehalt verwenden. Doch zum Vergleich: An deutschen Tankstellen gibt es keine Kraftstoffe mehr, die mehr als 10 ppm bzw. 0,001 % Schwefel enthalten. Mithin dürfen Schiffe in EU-Häfen nach 2010 immer noch 100mal schwefelhaltigere Treibstoffe einsetzen als die Kfz auf unseren Straßen. Im übrigen hat die EU keine Grenzwerte für die in den Schiffstreibstoffen enthaltenen Stickoxide, Schwermetalle, lungengängige Feinstäube und Flüchtige Organische Verbindungen (VOC) festgelegt.
Die Hafendiesel von vier am JWP liegenden Mega-Container-Carriern entfalten etwa soviel Power wie 400 VW-Golf. Demzufolge käme dies selbst bei Einhaltung des Schwefelgrenzwertes von 0,1 % dem Schadstoff-Output einer gasgebenden Golf-Armada von 40.000 Fahrzeugen gleich.
Schiffe, die keinen Treibstoff mit höchstens 0,1 % Schwefelgehalt an Bord haben, müssen sich in EU-Häfen mit Strom von Land versorgen. Das dürften nicht wenige sein: In den Küstenregionen Europas hat sich die Schifffahrt zum Hauptemittenten für
Luftschadstoffe wie Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub entwickelt. Darauf hat die International Maritime Organisation (IMO) zwar kürzlich mit schrittweise in Kraft tretenden Begrenzungen der Schwefel- und Stickoxidwerte reagiert; doch in ihrem Zuständigkeitsbereich außerhalb der EU-Häfen gelten weit großzügigere Vorschriften.
Zudem bezweifelt der zuständige IMO-Ausschuss, dass bis zum Jahre 2020 ein Treibstoff mit einem Schwefelgehalt von 0,5 % in ausreichenden Mengen verfügbar sein wird. Zurzeit wird seitens der IMO weltweit noch ein Gehalt von 4,5 % und im Nord- und Ostseegebiet einer von 1,5 % erlaubt! Die IMO will deshalb ihre diesbezügliche Regel im Jahre 2018 noch einmal auf ihre Umsetzbarkeit überprüfen.
Es muss also damit gerechnet werden, dass ein einlaufendes Containerschiff vor dem Anlegen am JWP noch auf Reede ankern und Dieselöl mit 0,1 % Schwefelgehalt bunkern muss, falls an der Kaje kein Strom-Landanschluss verfügbar ist. Dies wäre – von den Kosten nicht zu reden – mit mehreren Stunden Zeitverlust in einem eng gefassten Schiffsfahrplan verbunden.
Bei Abwägung mit den berechtigten Einwänden (wie Investitionskosten, fehlende internationale Normierung der Anschlüsse, Möglichkeiten der Brennstoff- und Abgasreinigung an Bord) sollte dies in die Abwägung des Für und Wider bezüglich der Investition in eine Landstromversorgung mit einfließen.
Doch die Stadt Wilhelmshaven macht sich nicht nur die o.a. Einwände zu eigen: OB Eberhard Menzel fügt diesen Gründen für die ablehnende Haltung der Stadt noch hinzu, dass es „…fraglich (sei), ob die landseitigen Energiekapazitäten überhaupt ausreichten, um die Schiffe mitzuversorgen. ‚Eventuell müssten noch mehr Kraftwerke gebaut werden.’“ (WZ, 11.10.08)
Da kann Entwarnung gegeben werden, denn: Bei maximal möglicher Schiffsbelegung der JWP-Stromkaje mit vier Mega-Container-Carriern à 400 m Länge würden insgesamt gut gerechnet 40 MW elektrischer Leistung an Bord benötigt. Das wären rd. 5,4 % der Nettoleistung des in Wilhelmshaven betriebenen E.ON-Kraftwerks. Nach Inbetriebnahme des Electrabel-Kraftwerks steht auf dem Rüstersieler Groden eine elektrische Nettoleistung von insgesamt rd. 1.600 MW zur Verfügung. Demzufolge müssten nach Adam Riese davon nur 2,5 % für die Mega-Carrier abgezweigt werden. Ganz abgesehen davon ist Wilhelmshaven an das europaweite Stromverbundnetz angeschlossen.
Die Stadt sollte ihre durch den OB vorgetragene negative Beantwortung einer diesbezüglichen Kleinen Anfrage des Ratsherrn Janssen (s. Gegenwind Nr. 239) daher noch mal überdenken!
Der ‚Zentralverband der deutschen Seehafenbetriebe’ (ZDS) führt u.a. ins Feld, „…dass auch die Stromerzeugung in einem Kraftwerk grundsätzlich Emissionen verursacht und die Höhe des Strombedarfs eines Schiffs während der Hafenliegezeit so hoch sein kann, dass die Produktion des Stroms in einem Kraftwerk einen wesentlichen, zusätzlichen Schadstoffausstoß verursacht und damit das Problem des Schadstoffausstoßes lediglich lokal verlagert würde.“ (ZDS-Jahresbericht 2006/2007)
Auch dieser Einwand kann ausgeräumt werden: In der Gesamtbilanz wird von einer Reduktion von bis zu 90% durch die schärferen Abgasregulierungen von Landkraftwerken im Vergleich zum Stromeigenerzeugung der Schiffe ausgegangen. Durch den angestrebten vermehrten Einsatz von Ökostrom (z.B. aus bereits genehmigten sowie geplanten Windkraftanlagen in der Deutschen Bucht) ließe sich die Reduktionsbilanz weiter Richtung 100 % erhöhen.
Zugegeben: Das internationale Umfeld an Land und an Bord ist geprägt von unterschiedlichen elektrischen Spannungen, Frequenzen, Normungen und unterschiedlichen technischen Standards. Kurz und gut: Eine internationale Normierung von Landstromanschlüssen steht noch aus und macht eine solche Investition unnötig teuer. Doch die dazu erforderlichen Standards werden bereits in einer Expertengruppe entwickelt. Noch in diesem Jahr sollen sie als Empfehlungen an die IMO gehen, wo die Standards dann festgelegt werden. Sobald dies geschehen ist, ist die Technik laut den Auskünften von Anbieterunternehmen auch lieferbar.
Im übrigen wäre der JWP keineswegs der erste Containerterminal, der mit einer Landstromversorgung der Schiffe ausgerüstet wäre: Eine Anlage im Hafen von Antwerpen kann schon jetzt bis zu drei Containerschiffe mit Landstrom beliefern.
Auch in Lübeck, Göteborg und Los Angeles können Schiffe bereits Landstrom beziehen. In weiteren Häfen wie z.B. Rotterdam und Hamburg steigt der öffentliche Druck, Abhilfe gegen die Luftverpestung durch die Schifffahrt zu schaffen.
In Wilhelmshaven ist die Luft zwar noch nicht so dick wie z.B. in Hamburg, wo 80% der SOx-Emissionen von der Schifffahrt herrühren. Doch angesichts der Milliardeninvestitionen für die wirtschaftliche Entwicklung von Wilhelmshavens Hafenkante entstünde durch die Ablehnung eines Projektes ‚Schiffe an die Steckdose’ neben dem Eindruck mangelnder Rücksichtnahme auf die Lebens- und Erholungsqualität der BürgerInnen und Gäste der Jaderegion auch der Eindruck einfältiger Knickerigkeit. Dabei ließe sich ein JWP mit Landstromanschluss für Schiffe gut als touristisches Sahnehäubchen verkaufen. Übrigens hat die Installation einer Landstromversorgung der Schiffe in Lübeck am 1.550 m langen Nordlandkai 300.000 Euro gekostet.

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