Arbeitsmarkt
Nov 192008
 

Maßnahmen

Die „arbeitsmarktpolitischen Instrumente“ kosten Steuergeld und sichern Arbeitsplätze bei den Maßnahmeträgern – und sonst?

(noa) „Wir hätten da auch ein paar Vorschläge…“, lautet der Titel der „16 Thesen der Erwerbsloseninitiativen für einen Richtungswechsel in der Arbeitsmarktpolitik“, aus denen Werner Ahrens in der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland am 14. Oktober vortrug. Da heißt es u.a.: „Vielen von uns Erwerbslosen fehlt nichts als ein Arbeitsplatz! Viele von uns sind gut ausgebildet und die erworbenen Qualifikationen sind auch ‚up to date’. Viele von uns sind ‚kerngesund’ und haben keine gesundheitlichen, psychischen oder sozialen Probleme. Wir brauchen keine Therapie und keine sozialarbeiterische ‚Betreuung’ – wir brauchen existenzsichernde Arbeit!“


Und daran fehlt es hauptsächlich, ganz besonders in Wilhelmshaven. Deshalb müssen Leute, die auf der Stelle eine Arbeit antreten könnten und das auch dringend wollen, sich an „Maßnahmen“ beteiligen, um sich keine Sanktionen einzuhandeln.
„Arbeitsmarkt 50“ heißt eine der Maßnahmen, die in Wilhelmshaven laufen. Auf der Homepage heißt es u.a.: „Die Aktivierung und Integration einer möglichst großen Zahl von Langzeitarbeitslosen erfolgt in so genannten Integrationszentren. Hier werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in aufeinander aufbauenden Schritten auf den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt vorbereitet. Im Zentrum stehen der Abbau von Vermittlungshemmnissen sowie die Steigerung von Eigenverantwortung, Selbstorganisation und Beschäftigungsfähigkeit. Angeboten werden Module der fachlichen und überfachlichen Qualifizierung und des betrieblichen Einsatzes, Sprachunterricht, interkulturelle Integration sowie Mobilitäts- und Motivationstraining.“
Das klingt vielversprechend. Gesetzt den Fall, es gäbe in Wilhelmshaven einen Arbeitsmarkt, in den die Langzeitarbeitslosen integriert werden könnten, dann wären die im letzten Satz genannten „Module der fachlichen und überfachlichen Qualifizierung“ sicher hilfreich. – Wären! Denn ehemalige TeilnehmerInnen berichten uns, dass sie nach diesen Modulen während ihrer Zeit bei „Arbeitsmarkt50“ mehrfach vergeblich gefragt haben.
Was passiert da? Herr K. M. berichtet dem Gegenwind, dass er ein halbes Jahr lang einmal in der Woche für zwei Stunden auflaufen musste, um „in der Schule“ das zu tun, was er zu Hause schon seit Jahren täglich tut: Stellenangebote in der WZ lesen, im Internet nach Arbeit suchen und Bewerbungen schreiben.
„Die Anleiterin hat dann aber auch verlangt, dass wir uns auf Stellenangebote bewerben, bei denen klar war, dass daraus nichts werden würde.“ Es hat z.B. wenig bis gar keinen Sinn, sich auf eine Stelle zu bewerben, für die man eindeutig unterqualifiziert ist. Nicht einmal zu Übungszwecken wäre eine solche Bewerbung sinnvoll – man stelle sich vor, derselbe Betrieb bietet demnächst eine Stelle an, für die man richtig qualifiziert ist, und man bewirbt sich: Würden die einen nach einem solchen Anflug von Selbstüberschätzung nicht sofort aussortieren?
K. M. sollte sich nach einer Zahnbehandlung, nach der er kurzfristig nicht deutlich sprechen konnte, telefonisch als Callcenter-Agent bewerben – eine tolle Idee!
Auch Frau P. K. hat an „Arbeitmarkt50“ teilgenommen. Sie kann darüber nur noch zynisch berichten: Bezüglich der „Module der fachlichen und überfachlichen Qualifizierung“ sagt sie, dass sie sich selber darum kümmern musste (und kümmerte), dass aber ihre Vorschläge stets zu teuer waren. Ein Fachbuch z.B., das sie sich aussuchen sollte, war zu teuer – am Ende bekam sie das Buch, das sie ausdrücklich ausgeschlossen hatte, da es über 10 Jahre alt und inhaltlich längst überholt war.
Laut gelacht hat Frau K., als die Anleiterin anbot und darauf bestand, Bilder für Bewerbungen mit ihrer Digitalkamera zu schießen – die Fotos mit den roten Augen wären für eine Bewerbung zur Statistin in einer Geisterbahn durchaus geeignet gewesen. Weniger witzig fand P. K. es allerdings, als sie eines Morgens um 7.45 Uhr telefonisch aufgefordert wurde, wegen eines wichtigen Stellenangebots sofort „zur Schule“ zu kommen. Sie ging zum geplanten Termin um 10 Uhr, um dann herauszufinden, dass es sich bei dem Anlass für das Telefonat um eine Chiffre-Anzeige handelte, die zudem zu ihrem Profil nicht passte.
Jüngeren Langzeitarbeitslosen kann es passieren, dass sie in die „Vermittlungsoffensive“ Ganzil (Ganzheitliche Integrationsleistung) beim Bildungswerk der Niedersächsischen Wirtschaft (BNW) geschickt werden. Laut Prospekt bietet das Projekt „professionelles, individuelles Einzelcoaching“; eine Zuweisung ist „nur möglich über die Agentur für Arbeit Wilhelmshaven, den Job-Centern (!) Wilhelmshaven und des Landkreises Friesland“. Die Bewerbungsschreiben, die der Kollege dort für Herrn O. M. verfasst hat, sind grammatikalisch auf dem gleichen Niveau wie diese letztere Information aus dem Prospekt und wahrscheinlich wenig geeignet, die Job-Chancen der Kunden nennenswert zu erhöhen. Beim ersten Gespräch mit dem Coach müssen die Teilnehmer Fragen nicht nur über ihre private Haushaltsführung, sondern auch über ihre Körperhygiene (!) beantworten, und zahlreiche Unterschriften sollen sofort und nicht etwa nach gründlichem Durchlesen der Papiere zu Hause beim nächsten Termin geleistet werden. Und neben zahlreichen Verpflichtungen, deren Erfüllung man per Unterschrift zusagen muss, muss (!) man auch auf jeden Fall und unbedingt ein Mobiltelefon besitzen, um für potenzielle Arbeitgeber rund um die Uhr und überall erreichbar zu sein.
Auch Herr E. O. macht momentan eine Maßnahme mit. Es ist nett dort: An einem Tag in der Woche kochen und essen die Teilnehmer zusammen, sie haben schon zwei Gerichtsverhandlungen besucht, eine Dame hat ihnen einen Vortrag über das Strafrecht gehalten, und sie haben sich schon einen Film über den Mars angesehen und eine Betriebsbesichtigung bei der Feuerwehr gemacht. Es steht aber noch ein Praktikum bevor, und vielleicht dient das ja eher dem Ziel, einen Job zu finden.

Kommentar:
Als ich in den frühen 80-er Jahren eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme hinter mir hatte und danach eine andere Arbeit fand, war ich froh, endlich „richtige“ Arbeit zu haben. Ich neigte damals dazu, ABM als Zwangsarbeit zu betrachten, und fand es eher peinlich, jemandem zu erzählen, dass meine Stelle ein ABM-Job war. Auch als im Jahr 2000 der damalige Leiter des (damals noch) Arbeitsamtes mir in einem Gegenwind-Gespräch sagte, er halte es für sinnvoller, mit dem Geld aus der Arbeitslosenversicherung Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit zu finanzieren (sh. GW 160), behielt ich meine Skepsis gegenüber ABM bei. Wer hätte damals gedacht, dass man sich heutzutage sämtliche Finger nach einer ABM Stelle – tariflich bezahlt und sozialversichert – abschlecken würde!
Anette Nowak

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