Anwaltsgerichtsverfahren
Nov 192008
 

Dürfen die das?

(noa) Am 27. Oktober sollte ein Standesgerichtsverfahren gegen den Oldenburger Rechtsanwalt Alfred Kroll stattfinden. Verstöße gegen das Sachlichkeitsgebot sollten verhandelt werden, nachdem verschiedene Amtsleiter sich über seinen Ton in Schriftsätzen beschwert hatten.


Kroll ist Fachanwalt für Sozialrecht und vertritt Menschen, die anwaltliche Hilfe besonders nötig haben: Menschen mit Behinderungen und Hartz IV-Betroffene. Zahlreichen Wilhelmshavener Alg II-BezieherInnen hat er schon vor dem Sozialgericht zur Seite gestanden und ihnen zu ihrem Recht verholfen. Klar, dass aus Wilhelmshaven einige Erwerbslose nach Oldenburg fuhren, um nun ihm zur Seite zu stehen.
Kroll hatte um ein öffentliches Verfahren in einem großen Gerichtssaal gebeten, weil er für alle Interessierten darlegen wollte, warum er es für nötig hält, in seinen Schriftsätzen gelegentlich drastisch zu werden. Öffentlichkeit war auch reichlich da: Eine Viertelstunde vor dem Termin war der Platz vor dem großen Gerichtssaal gerammelt voll, und Menschen standen auf der Treppe. Gut 200 Personen waren gekommen – aber sie erlebten keine Gerichtsverhandlung mit. Sie hätten auch bei weitem nicht in den Gerichtssaal gepasst: 22 Plätze gab es da, aufstockbar auf 55.
Das öffentliche Verfahren, das Kroll vom Vorsitzenden Richter zugesagt worden war, gab es aber sowieso nicht. Ein Formfehler – alle drei Richter hätten das im Vorfeld genehmigen müssen.
KrollEin wenig unruhig und ungeduldig wurden die verhinderten ZuhörerInnen schon, während hinter geschlossenen Türen verhandelt wurde. Es war aber nicht die Verhandlung, die sie verpassten.
Statt die Beschwerden gegen Herrn Kroll vorzutragen, wies der Vorsitzende Richter der Anwaltskammer den Generalstaatsanwalt auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15.04.2008 (1 BvR 1793/07) hin, in dem es u.a. heißt: „Mit Blick auf die Berufsfreiheit können herabsetzende Äußerungen, die ein Rechtsanwalt im Zusammenhang mit seiner Berufsausübung und der dabei zulässigen Kritik abgibt, nur dann Anlass für berufsrechtliche Maßnahmen sein, wenn besondere Umstände hinzutreten. Dies ist der Fall, wenn die Herabsetzungen nach Inhalt und Form als strafbare Beleidigungen zu beurteilen sind, ohne durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen gedeckt zu sein. Darüber hinaus ist das Sachlichkeitsgebot dann verletzt, wenn ein Rechtsanwalt unprofessionell handelt, indem er entweder bewusst Unwahrheiten verbreitet oder eine rechtliche Auseinandersetzung durch neben der Sache liegende Herabsetzungen belastet, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben haben.“

Die müssen das sogar

Bei der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative am 11. November erläuterte Alfred Kroll, dass Anwälte verbal nicht nur sehr deutlich und drastisch werden dürfen, sondern sogar müssen. „Als Anwalt bin ich ein Organ der Rechtspflege“, erklärte er. Wenn das Recht in Gefahr ist, wenn also eine Amtsperson beispielsweise eine zustehende Leistung versagt und „mauert“, dann muss der Anwalt für seinen Mandanten u.U. auch sagen und schreiben, dass die Amtsperson willkürlich handelt, das Recht beugt oder Amtsmissbrauch betreibt – freundlich, nett und bescheiden zu bleiben und immer wieder z.B. um eine Therapie oder eine besondere Beschulung zu bitten, bringt gar nichts, wenn ein Jugendamt aus Kostengründen Zeit schindet oder berechtigte Forderungen ablehnt.
Zwei von Krolls MandantInnen haben sich das Leben genommen, weil die erforderliche Hilfe nicht gewährt bzw. zu spät erstritten wurde, und es ist dem Anwalt anzumerken, dass ihm diese beiden Suizide in den Knochen sitzen – um dergleichen nicht mehr erleben zu müssen, wird er weiterhin – wenn nötig – auch Amtsleiter verärgern.

Wie geht es weiter?

Kroll hatte sich kurz vor dem Gerichtstermin entschieden, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dr. Rembert Brieske, der Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins, hatte sich in kürzester Zeit in den „Fall“ eingearbeitet. Nachdem der Vorsitzende Richter dem Generalstaatsanwalt erklärt hatte, dass das wohl nix war, regte Brieske eine Vertagung an. Kroll möchte diesen Streit nun auch ausfechten und bei dieser Gelegenheit öffentlich darlegen, wie Behörden (in diesem Fall geht es um die Jugendämter von Oldenburg Stadt, Oldenburg Land und dem Kreis Friesland, aber wahrscheinlich könnte man diese Aufzählung beliebig lange fortsetzen) mit den Rechten der Schwächsten in unserer Gesellschaft – Kindern mit Behinderungen – umgehen.
Wir werden zu gegebener Zeit weiter berichten.

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