Kümmernisse
Sep 012010
 

Leistungen aus einer Hand?

Über die ganz alltäglichen Kümmernisse von Hilfebedürftigen

(noa) Das Grundgesetz wurde Mitte Juni geändert, um die Job-Center retten. Job-Center sind Mischbehörden aus örtlichen Arbeitsagenturen und Kommunen, geschaffen durch das SGB II (Hartz IV).

Durch dieses Gesetz entstanden Strukturen, die nicht verfassungskonform waren. Das Bundesverfassungsgericht erlegte dem Gesetzgeber auf, bis Ende 2010 Abhilfe zu schaffen, und statt eine Behörde zu entwickeln, die den Bestimmungen der Verfassung entspricht, wurde die Verfassung so geändert, dass die Job-Center unverändert bestehen bleiben können.
Das soll ganz prima sein, denn auf diese Weise sei, so die Bundespolitik, gewährleistet, dass die Langzeitarbeitslosen weiterhin „Leistungen aus einer Hand“ beziehen. Soso.
Uns sind einige Hartz IV-Betroffene bekannt, die ein Lied von diesen „Leistungen aus einer Hand“ singen können. Frau R. z.B. ist Haushaltsvorstand einer Bedarfsgemeinschaft. Mit ihr leben ihre zwei Söhne und der Vater des jüngeren Sohnes. Der ältere Sohn bekommt Unterhalt vom biologischen Vater, nicht unmittelbar, sondern vermittelt über die Stadt Wilhelmshaven (die zweite Hand). Außerdem hat er Anspruch auf Wohngeld (regelmäßige Gegenwind-LeserInnen erinnern sich bestimmt an unsere kleine Serie zum Kinderwohngeld 2007/2008, das nach fleißigem Studium diverser Gesetze durch den Leiter der Wohngeldstelle ausgerechnet in Wilhelmshaven „erfunden“ wurde und mittlerweile bundesweit gilt). Die Wohngeldstelle ist die dritte Hand. Eine vierte gibt es natürlich auch, die Familienkasse nämlich, von der das Kindergeld angewiesen wird. Die vier Hände überweisen das Geld nicht gleichzeitig. Am letzten Werktag des Vormonats kommt (meistens) das Arbeitslosengeld II. Der Unterhalt für den größeren Sohn kommt irgendwann innerhalb der ersten zwei Wochen des Monats (auch hier gilt: meistens). Manchmal kurz vor oder kurz nach dem Wohngeld. Irgendwann einmal kommt auch das Kindergeld.
Die Miete und alle anderen regelmäßigen Kosten sind allerdings immer am Beginn des Monats fällig. Und da die Bedarfsgemeinschaft von Frau R. es nie geschafft hat, genügend Geld übrig zu behalten, um diese regelmäßigen Kosten zur Fälligkeit sicher auf dem Konto bereit zu halten, gibt es regelmäßig zwischen der Leistung der ersten und der nächsten Hand eine Durststrecke.

Mächtig erschwert wird der Familie von Frau R. das Leben durch ihren Aushilfsjob. (Sie hat also gewissermaßen noch eine fünfte Hand in Gestalt ihres Arbeitgebers.) Zwar verdient sie in keinem Monat mehr als 100 Euro, die bekanntlich anrechnungsfrei sind. Doch das Job-Center tut Monat für Monat so (angeblich muss es das tun), als habe sie ein höheres Einkommen. Frau R. bekommt im Unterschied zu Hartz IV-Berechtigten, die keinen Nebenjob haben, ihr Arbeitslosengeld II nicht in voller Höhe, sondern abzüglich eines fiktiven Einkommens, und erst nachdem sie mittels Lohnabrechnung nachgewiesen hat, dass sie wieder unter 100 Euro geblieben ist, bekommt sie den Rest nachträglich überwiesen. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass es ihr auch künftig niemals gelingen wird, genügend Geld auf dem Konto anzuhäufen, um die zu Monatsanfang anfallenden Verbindlichkeiten immer sicher erfüllen zu können.

Ähnlich ergeht es Frau P. Diese hat zwar keinen Nebenjob, dafür aber vier Kinder, von denen zwei Unterhalt vom leiblichen Vater, zwei mittlerweile keinen Unterhalt und keinen Unterhaltsvorschuss mehr bekommen. Auch sie hat derzeit noch eine fünfte Hand, nämlich die Krankenkasse, denn sie bezieht Krankengeld, so dass sie keinen Anspruch auf den vollen Regelsatz des Alg II hat. Mittlerweile (nach fast einem Jahr) klappt es endlich, dass das Job-Center ihr nicht erst mal vorsichtshalber mehr Krankengeld anrechnet als sie tatsächlich bekommt, sondern die Auszahlung ihrer Leistung verzögert, bis die Höhe des Krankengeldes nachgewiesen wurde. Als ihre Sachbearbeiterin in Urlaub war, ging dies jedoch schief, und ausgerechnet zu Beginn der Ferien, als höhere Kosten anfielen, fehlte Geld von der „ersten Hand“ auf dem Konto, und wie bei Frau R. kommt das Geld aus all den anderen Händen irgendwann stückweise im Lauf des Monats nach.
Um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, Geld auszugeben, das sie kurze Zeit später für die Miete braucht, überweist Frau P. sich selber Mitte des Monats eine bestimmte Summe vom Girokonto aufs Sparbuch. Wenn sie zum Nachweis des Krankengeldes einen Kontoauszug vorlegt, muss sie immer wieder erklären, dass die kurz vor dem Ersten des Monats zurückgeholte Summe kein Einkommen ist, das zur Minderung ihres Alg II-Anspruch führen würde.

Man kann viel Spaß haben mit so vielen Händen.

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