Jade Bay
Sep 012010
 

Jade Bay Boogie

Wilhelmshaven zu klein für die Welt?

(red) Klang nach Sommerlochfüller, war aber ernst gemeint: der Mitte Juli bekannt gewordene Vorschlag des Landesregierung zur Zusammenlegung von Wilhelmshaven mit den benachbarten Landkreisen.

Auslöser war ein Gutachten des Staatswissenschaftlers Prof. Dr. Dr. h.c. Joachim Jens Hesse zu den Kommunalstrukturen in Niedersachsen, mit der Empfehlung von Gebietsreformen. Betroffen wären nur die „deutlich stabilisierungsbedürftigen Räume“, das sind etwa die Hälfte der 37 niedersächsischen Landkreise (darunter Wittmund, Friesland, Wesermarsch) und 3 der 8 kreisfreien Städte (Wilhelmshaven, Delmenhorst, Salzgitter).
Im hiesigen Rathaus war man sauer, davon zuerst aus der Presse zu erfahren statt direkt vom Innenminister, der das Gutachten beauftragt hatte. Auch die von Schünemann vorgestellten Spielregeln stoßen nicht auf Begeisterung: Bis 2012 können sich die angesprochenen Kommunen freiwillig reformieren, zur Belohnung winkt eine Schuldentilgung der Kassenkredite. Wenn der Anreiz nichts fruchtet, wird zwangsreformiert – ohne finanzielle Entlastung.
Für den SPD-Landtagsabgeordneten Olaf Lies ist Schünemanns Herangehensweise „ein völlig falsches Signal zur falschen Zeit“. Das ist sprachlich betrachtet eine echte Denksportaufgabe: Gibt es auch ein falsches Signal zur richtigen Zeit? Oder ein richtiges Signal zur falschen Zeit? Stellt man sich einen Zug vor, der auf einen Bahnübergang zurast, dann schützt beides nicht vor der Katastrophe. Lies’ Pleonasmus („weißer Schimmel“) zeigt den großen Frust, den Schünemann hier erzeugt hat. Selbst CDU-MdL Uwe Biester ist nicht begeistert.
Gebietsreformen – und deren Scheitern – sind ja keine neue Erfindung. Schon in den 1970er Jahren gab es einen Gesetzentwurf, in dem Wilhelmshaven eingekreist (!) werden sollte. Damals wurden das Jeverland und Wittmund zusammengemantscht und später per Entscheid des Staatsgerichtshofes wieder getrennt. Insofern sind die Vorbehalte der Nachbarkreise verständlich. Und die noch zu Zeiten des Großherzogtums Oldenburg verliehene Kreisfreiheit möchte Wilhelmshaven nicht gern aufgeben, auch wenn das Gutachten prognostiziert, das Wilhelmshaven bis 2015 auf unter 70.000 Einwohner schrumpft. (In der Regel sind kreisfreie Städte Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern.)

Man setzt lieber erst mal auf freiwillige Kooperation. Die Landkreise Wittmund, Aurich und Leer haben gerade zusammen mit der Stadt Emden einen Regionalrat gegründet, der ohne Aufgabe der Eigenständigkeit gemeinsame Probleme anpackt. Wilhelmshaven will da nicht mitspielen, Friesland nur bei bestimmten Themen.
Eine freiwillige Gebietskooperation rund um den Jadebusen gibt’s ja auch schon: Die Landkreise Friesland, Wesermarsch und Wittmund und die Stadt Wilhelmshaven haben sich zur „Jade Bay Region“ zusammengeschlossen. Der Begriff ist ähnlich putzig wie Lies’ Pleonasmus: Allerorten regt man sich über „Denglisch“ auf, das hier hochoffiziell fröhliche Urständ feiert. Wie soll sich das denn aussprechen? Jah-de Bei oder Dscheidie-Bei? Als früher noch die Harley-Boys ihr jährliches Schwermetalltreffen in WHV veranstalteten, machte der Titel „Jade Bay Boogie“ wenigstens noch Sinn.
Welchen Sinn macht nun eine Gebietsreform? Mit dem gleichen, dann gemeinsamen Haushalts- und Personalansatz die gleichen Aufgaben effektiver erledigen? Oder zukünftig mit weniger Geld und Personal genauso gut? Man kommt nicht umhin, sich einer der durchschlagendsten „Reformen“ der jetzigen Landesregierung zu erinnern: die Abschaffung der Bezirksregierungen seit 2001. Diese Bündelungsbehörden übernahmen Aufgaben, die nicht von jeder Kommune einzeln erledigt werden mussten, und zeichneten sich, da unter einem Dach vereinigt, durch kurze Wege aus. Nach ihrer Auflösung – einem populistisch wirksamen Wahlversprechen zum „Bürokratieabbau“ – wurden die Aufgaben teilweise auf die Kommunen verlagert, teilweise auf dezentral angesiedelte Sonderbehörden. Die Kommunen ächzen bis heute unter den Zusatzaufgaben. Und jetzt fällt der Landesregierung plötzlich auf, dass größere Verwaltungseinheiten sinnvoll sein könnten?
Und wie wird sich das auf klassisch dezentrale Aufgaben auswirken? Müssen wir zukünftig einen Umzug in Jever registrieren lassen, das Auto in Brake anmelden und die Schulanfänger in Wittmund? Oder kommen dann alle nach Wilhelmshaven?

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top