So nicht!
Es gibt mindestens einen Wilhelmshavener, der die Machenschaften der Behörden nicht unwidersprochen hinnimmt.
(noa) Eigentlich wollten wir auf die Umstände, unter denen der Antrag auf Revision des LSG-Urteils vom 11.12.08 bezüglich der Kosten der Unterkunft für Hartz IV-Betroffene zustandegekommen ist, im Gegenwind nicht eingehen. Leserzuschriften haben uns veranlasst, nun doch einigen Ungereimtheiten nachzugehen.
Die Revision eines Urteils kann man innerhalb eines Monats nach Zustellung beantragen. Am 3. oder spätestens 4. Februar ist das Urteil in Wilhelmshaven in Schriftform auf Papier eingegangen. Am 9. März, so wurde in der WZ angekündigt, sollte der Verwaltungsausschuss über die Revision beschließen. War es dann nicht schon zu spät?
Wir wissen, wie man solche Terminprobleme löst. Das haben wir alle schon mal gemacht: Wenn ich nicht rechtzeitig komme, kannst du schon mal an meiner Stelle tätig werden – sollte ich nicht einverstanden sein, können wir die Sache ja wieder einstampfen.
Herr Wolter, ein aufmerksamer Leser sowohl der WZ als auch des Gegenwindes, mag sich jedoch mit solchen Verfahrensweisen nicht zufrieden geben. Wofür gibt es Regeln, wenn man sich nicht daran hält, wofür gibt es Fristen, wenn man sie mit Tricks umgehen kann?
Herr Wolter schrieb also am 04.04. an Arnold Preuß, den Pressesprecher der Stadt Wilhelmshaven, beschwerte sich bei ihm über die unzureichende Berichterstattung in der WZ, von der er annahm, dass sie auf mangelnde Information der WZ durch den Pressesprecher zurückzuführen sei, und fragte u.a., wie eine Revision beschlossen werden kann, nachdem der Termin für ihre Beantragung schon verstrichen ist, wie in diesem Fall das Zusammenspiel zwischen Stadt und Job-Center ist und welcher Anwalt die Wilhelmshavener Seite vor Gericht vertritt.
Reichlich spät (am 17.04.) bekam er Antwort von Herrn Preuß, und mit dieser Antwort war er ganz und gar nicht zufrieden. U.a. schrieb Preuß: „Hinsichtlich Ihrer Einschätzung, dass das Urteil für Wilhelmshaven und seine Bürger von großer Bedeutung sei, kann ich nur entgegenhalten, dass es sich hierbei um eine Entscheidung des Gerichts in einem Einzelfall gehandelt hat. Dabei ist dann zu beachten, dass Entscheidungen im Einzelfall immer ihre Wirkung auch nur für den Einzelfall entfalten.“
Wer das Urteil gelesen hat (und das hat Herr Wolter getan) – oder wer auch nur die Berichterstattung darüber verfolgt hat – weiß, dass es genau nicht nur um einen Einzelfall geht. Das Job-Center hat in vielen Einzelfällen auferlegt bekommen, KdU in Höhe der Werte der Wohngeldtabelle (etwa ab Mitte 2008 plus 10 %) zu bezahlen, und hat das dann anstandslos getan. Bei dem LSG-Urteil handelt es sich jedoch um ein Urteil von grundsätzlicher Bedeutung; es stehen darin die Miethöhen, die in Wilhelmshaven erstattet werden müssen – nicht nur für die Kläger des Prozesses, der am 11.12.08 in Bremen entschieden wurde.
Weiter im Antwortschreiben des Pressesprechers: „Die angesprochene Revision wurde durch das beklagte Jobcenter Wilhelmshaven zunächst fristwahrend eingelegt. Da die Stadt einer der Träger des Jobcenters ist, kann die Stadt Wilhelmshaven Weisungen erteilen, wie das Jobcenter sich in bestimmten Fällen zu verhalten hat. In diesem Fall hat der Verwaltungsausschuss der Stadt (VA) entschieden, dass das Jobcenter in die Revision zu gehen hat. Dies ist eine abschließende Entscheidung, die der VA so in eigener Zuständigkeit gefällt hat. Sicher wäre auch eine andere Entscheidung möglich gewesen (die dann zur Rücknahme der Revision geführt hätte), aber nach Vortrag aller Sachargumente hat der VA so entschieden.“
Am 21.04. führte Herr Wolter bei OB Menzel eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Herrn Preuß. Er verlieh u.a. seiner Verärgerung darüber Ausdruck, dass dieser seiner Informationspflicht sowohl bezüglich des Eingangs als auch bezüglich der Bedeutung des Urteils, dann auch bezüglich des Beschlusses des VA, nicht oder spät nachgekommen ist. Und: „Verärgert bin ich auch darüber, dass Herr Preuß die große Bedeutung des Urteils des Landessozialgerichts absichtlich fehlerhaft abwertet, indem er es als Einzelfallentscheidung mit Wirkungsentfaltung auch nur für den Einzelfall hinstellt. Diese Einstufung ist sofort erkennbar falsch, weil es sich hier eben um ein Urteil über den Einzelfall hinaus handelt, was sich ja allein dadurch schon beweisen lässt, dass die Ratsmitglieder Rückstellungen in Millionenhöhe beschlossen haben, um dem Urteil Rechnung zu tragen.“
Dass er „die Ausführungen des Herrn Preuß über die ‚fristwahrende Einlegung’ der Revision durch das Jobcenter in sich widersprüchlich“ findet, teilt er nicht nur Herrn Menzel mit, sondern macht es auch zum Kernpunkt eines Antrages an das Bundessozialgericht, dem er am selben Datum schreibt: „… beantrage ich, die Revisionserklärung des Jobcenters Wilhelmshaven gegen das o.g. Urteil als rechtsunwirksam zurückzuweisen, weil diese Revisionserklärung ohne die nötige Rechtslegitimation erfolgte.“ Er zitiert die o.a. Stelle des Preuß-Briefes und folgert daraus: „Mit diesen Ausführungen wird also klargestellt, dass das Jobcenter Wilhelmshaven nicht legitimiert war, aus eigener Entscheidungskompetenz heraus die Revision zu erklären. Vielmehr lag die Entscheidungskompetenz über die Revision (angeblich) beim Verwaltungsausschuss des Rates der Stadt Wilhelmshaven, also bei den dort tätigen Kommunalpolitikern. Die Entscheidungskette ist also folgende: die Mitglieder des Verwaltungsausschusses entscheiden über die Revision und erteilen der Stadtverwaltung den entsprechenden Auftrag tätig zu werden. Alsdann erteilt die Stadtverwaltung dem Jobcenter die Weisung zur Revisionserklärung. Nun verhält es sich aber so, das die Verwaltungsausschusssitzung, die über die Revision zu entscheiden hatte, erst am Montag, 09.03.2009, stattfand. Zu dieser Zeit war aber die Revisionsfrist per 03.03.2009 bereits abgelaufen. Daraus folgt zwingend, dass die o.g. ‚zunächst fristwahrende’ Revisionserklärung des Jobcenters ohne jegliche rechtliche Legitimation eingelegt wurde. Denn das Jobcenter durfte in diesem Fall nur auf Weisung der Stadtverwaltung hin die Revision erklären. Eine solche Weisung bestand aber innerhalb der Revisionsfrist nicht. Somit ist die entsprechende Revisionserklärung des Jobcenters aus formalen Gründen rechtsunwirksam.“
Ob Herr Wolter mit seinem Antrag an das Bundessozialgericht Erfolg hat, bleibt abzuwarten. Wenn er Erfolg haben sollte, dann würde damit das LSG-Urteil sofort wirksam, und die mindestens 1.500 Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften, die seit Jahren Miete und Heizung nicht in voller Höhe erstattet bekommen, müssten nicht länger warten. Doch auch wenn Herr Wolter keinen Erfolg haben sollte – es ist gut, dass es aufmerksame Bürger gibt, die sich mit den Machenschaften der Behörden nicht abfinden und dagegen vorgehen!
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