Hartz IV und Recht
Mai 052009
 

Niemand muss frieren!

Logo HartzIV und Recht

Heizkosten müssen in tatsächlicher Höhe gezahlt werden

(noa) „Warme Wohnung wird Luxusgut“, ist der Leitartikel aus der „Guten Morgen Sonntag“ vom 5. April überschrieben. In dem Beitrag wird Bezug genommen auf eine Presseerklärung der Diakonie Oldenburg. Dazu heißt es dort: „Die Heizkosten treiben Hartz IV-Empfänger in die Armut“

.
Die Lektüre des Artikels ergibt jedoch ein anderes Bild. Nicht die Heizkosten sind es, die die Hartz IV-Empfänger in die Armut treiben, sondern die Job-Center, weil diese „lediglich 70 bis 80 Prozent der tatsächlichen Kosten übernehmen“, wie die Diakonie mitteilt. Dieser Mitteilung zufolge steht Wilhelmshaven sogar noch einigermaßen gut da; offensichtlich gibt es in der Nachbarschaft Wilhelmshavens Job-Center, die die Heizkosten zu noch geringeren Teilen übernehmen als unser hiesiges.
Die Erfahrungen der Beratungsstellen der Diakonie zeigen, dass die angemessenen Kosten „nur im Einzelfall auf dem Klageweg durchgesetzt werden können.“
Die Begründung der Job-Center – hinter denen im Fall von Heizkosten, die einen Teil der Kosten der Unterkunft darstellen, in Wirklichkeit die Kommunen stehen – für die Minderzahlung ist „der Durchschnitt“. Das kennen wir doch schon von den „Miethöchstwerten“ für Arme in Wilhelmshaven! Und, so die Diakonie: „Das ist fatal, weil gerade die finanzschwachen Haushalte in billigen Wohnungen mit überwiegend schlechterer Wärmedämmung leben und zwangsläufig einen höheren Verbrauch haben.“
In Wilhelmshaven sind Mitte 2005, im ersten Hartz IV-Jahr also, viele Hilfebedürftige auf Anordnung des Job-Centers umgezogen, in billigere Wohnungen – solange der Vorrat reichte, sprich: soweit billiger Wohnraum zu finden war. Diese bekommen jetzt zwar ihre Miete voll gezahlt, legen aber bei den Heizkosten kräftig aus dem Regelsatz dazu. „Das bedeutet, dass sich eine große Zahl … die Heizkosten vom Munde absparen müssen“, zitiert die GMS aus der Erklärung der Diakonie.
Oder, so die Erfahrung der Verfasserin dieses Beitrages: Sie sitzen in mangelhaft geheizten Wohnungen, in denen trotz langer Unterhose und langärmligem Unterhemd spätestens nach einer Stunde – „HATSCHI!“ – die eben überwundene Erkältung sich wieder meldet.

So sieht es das Gericht …

Die Bewilligung von Heizkostenpauschalen ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten widerspricht auf jeden Fall dem Gesetz! Schon am :20.11.07 erklärte das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in einem Beschluss (Az: :L 13 AS 125/07 ER): „Die Ansicht des SG im angefochtenen Beschluss, bei den Heizungskosten dürften Durchschnittswerte, die von der Antragsgegnerin bei Wohngeldbeziehern ermittelt worden sind, zugrunde gelegt werden, teilt der Senat nicht. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Damit macht schon der Wortlaut des Gesetzes deutlich, dass Anknüpfungspunkt in erster Linie die tatsächlichen Aufwendungen des jeweiligen Hilfesuchenden sind und dass es Sache des Trägers der Leistungen ist, eine gegebenenfalls vorliegende Unangemessenheit festzustellen, den Hilfesuchenden darauf hinzuweisen und ihm eine angemessene Frist einzuräumen, die Unangemessenheit der Heizungskosten zu beseitigen.“
Wie es „der Träger der Leistungen“ in Wilhelmshaven bewerkstelligt, die Hartz IV-Betroffenen zur Beseitigung der Unangemessenheit zu veranlassen, darüber liegt dem GEGENWIND z.B. folgender Bericht eines Betroffenen vor: „Ich habe die Nachzahlung für die GEW zwar bekommen, musste aber erst einmal eine Erklärung unterschreiben, dass ich unwirtschaftlich geheizt hätte.“
Weiter im Text des LSG-Beschlusses: „Demgegenüber widerspricht die Anwendung von an Durchschnittswerten orientierten Pauschalen bei der Übernahme von Kosten der Heizung der gesetzlichen Regelung. Tatsächlich hat auch das Bundesministerium für Gesundheit und Soziales von der in § 27 SGB II eingeräumten Ermächtigung, eine Verordnung zur Pauschalierung der Kosten für Unterkunft und Heizung zu erlassen, keinen Gebrauch gemacht. Damit ist es der Rechtsprechung überlassen, unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen und persönlichen Verhältnisse den Begriff der Angemessenheit als unbestimmten Rechtsbegriff bei der Anwendung auf den Einzelfall gerichtlich voll zu überprüfen.“
In Wilhelmshaven ist die Bewilligungspraxis für Heizkosten offensichtlich geteilt: Wir wissen von HilfeempfängerInnen, die nur eine Pauschale bekommen. Wir kennen aber auch andere, die bei der letzten Beantragung nach der tatsächlichen Höhe des GEW-Abschlages gefragt wurden und die diesen Betrag nun auch bekommen. Der GEW-Abschlag scheint jedenfalls ein zuverlässiger Indikator zu sein. So heißt es in dem LSG-Urteil weiter: „Die Höhe der laufenden monatlichen Kosten für die Heizung – d. h. für die Erwärmung der Wohnung – ergibt sich dabei regelmäßig zunächst aus den Vorauszahlungsfestsetzungen für die Wärmeenergie, die entweder mit dem Vermieter im Mietvertrag oder im Lieferungsvertrag mit dem örtlichen Energieversorgungsträger vereinbart worden sind. Für diese monatlich bestimmten Vorauszahlungsfestsetzungen spricht zunächst eine Vermutung der Angemessenheit, da erfahrungsgemäß die Vermieter und Energieversorgungsträger Wert auf eine realistische Abschlagszahlung legen. Dies gilt jedenfalls solange, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten vorliegen. Es liegt auch auf der Hand, dass nicht ohne Weiteres Durchschnittswerte gebildet werden können. Denn tatsächlich bestimmt sich die Höhe der Heizkosten einer Wohnung sowohl nach gebäude– als auch personenbezogenen Faktoren: Lage und Bauzustand der betreffenden Wohnung ist von Bedeutung ebenso wie die Höhe der Räume und die Wärmeisolierung der Wohnung und des Hauses, der Türen und Fenster und des Daches. Ebenso wirkt sich die technische Qualität der jeweiligen Heizungsanlage und ihr Wartungszustand aus. Hinzu kommen meteorologische Einflüsse (lange oder kurze, kalte oder milde Winter) als auch Erfordernisse des jeweiligen Personenkreises, der die Wohnung bewohnt (z. B. ältere Personen, Kleinkinder, Behinderte). Schließlich ist zu bedenken, dass das Verbrauchsverhalten erwerbstätiger Personen nicht ohne Weiteres für die Betrachtung des hier in Frage stehenden Problemkreises herangezogen werden kann, da sich nichterwerbstätige Hilfeempfänger naturgemäß in der Regel länger im Laufe eines Tages in der eigenen Wohnung aufhalten.“

… und so die Bundesregierung

Übrigens sehen nicht nur Gerichte das so. Zu der Frage „Teilt die Bundesregierung die Einschätzung……, dass die gegenwärtige Praxis der Kommunen zur Bewertung der Angemessenheit der Heizkostenübernahme und die Einführung von Obergrenzen für die Heizkostenerstattung in einigen Kommunen zu einer Benachteiligung von Bewohnerinnen und Bewohnern schlecht isolierter Gebäude führt?“ erklärte die Bundesregierung am 21.03.2007 aufgrund einer Kleinen Anfrage der Fraktion Die Linke Folgendes: „Leistungen für Heizung sind in der Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, soweit sie angemessen sind. Soweit Heizkosten auf Grund schlechter Isolation des Wohngebäudes überdurchschnittlich hoch sind, sind dementsprechend höhere Heizkosten als angemessen anzuerkennen. Die Übernahme von Heizkosten kann demnach nicht ohne eine Einzelfallprüfung auf eine pauschal festgelegte Obergrenze beschränkt werden. Beruhen hohe Heizkosten hingegen auf dem Verbraucherverhalten des Hilfsbedürftigen, ist eine Beschränkung auf festgelegte Obergrenzen erforderlich. Sofern kommunale Träger die Entscheidung über die Angemessenheit der Heizkosten ohne Einzelfallprüfung ausschließlich auf der Grundlage festgelegter Obergrenzen treffen, handeln sie nach Auffassung der Bundesregierung rechtswidrig. Es liegt in der Zuständigkeit der Länder im Rahmen ihrer Aufsichtsrechte, für ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln der kommunalen Träger zu sorgen.“
Kommt dieser Beitrag jetzt, wo endlich Frühling ist, zu spät? Nein. Die alten Häuser z.B. in der Südstadt oder in F’Groden, in denen viele SGB II-Bedarfsgemeinschaften wohnen, halten die winterliche Kälte lang. Der einzige Trost der Bewohner: Im Juli und August, wenn man sich draußen zu Tode schwitzt, ist es hier angenehm kühl.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top