Gewalt gegen Frauen
Mrz 071994
 

Kein Kavaliersdelikt

Ein Gespräch mit der Leiterin des Wilhelmshavener Frauenhauses über Gewalt gegen Frauen

(ub) Dreizehn Jahre lang hat Dora Fuhlbohm das Wilhelmshavener Frauenschutzhaus geleitet. Im April d.J. wechselt sie auf die Stelle der Frauenbeauftragten in der Gemeinde Schortens. Der GEGENWIND sprach mit ihr über ihre bisherige Arbeit, über Gewalt gegen Frauen und über notwendige gesellschaftliche Veränderungen.

GEGENWIND: Wann wurde das Frauenhaus gegründet? Wie war die Situation damals?
Fuhlbohm: Die Arbeit im Frauenhaus ist im Februar 1981 aufgenommen worden. Ich bin im Sommer 81 in einer Situation zum Frauenhaus gekommen, als die Geschichte mit der Trägerschaft, Finanzierung etc. bereits geklärt war. Es hatten sich damals sowohl autonome Frauen als auch die Arbeiterwohlfahrt um eine Trägerschaft bemüht. Daß ich meine Arbeit erst aufgenommen habe, als die Trägerschaft geklärt war, war gut, weil ich so bei Punkt Null anfangen konnte. Ich halte es in solcher Arbeit für sehr wichtig, eben mit allen Einrichtungen, Institutionen und Frauengruppen Kontakt zu haben, zu sprechen und für sie offen zu sein. Ich konnte auf alle unbefangen zugehen, und das hat, glaube ich, auch der Arbeit sehr gut getan.

GEGENWIND: Wie hat sich aus deiner Sicht heute die gesellschaftliche Akzeptanz der Institution Frauenhaus entwickelt?
Fuhlbohm: Die Arbeit im Frauenhaus ist ja im Grunde bis heute Brennpunktarbeit. Wir arbeiten in einem Bereich, der mit vielen Tabus umgeben ist. Es gibt nach wie vor in allen gesellschaftlichen Bereichen Frauenverachtung und Frauenfeindlichkeit, mit der wir ständig zu kämpfen haben. Davon abgesehen, denke ich, daß wir in der Öffentlichkeit und in den Einrichtungen der Stadt für eine Akzeptanz unserer Einrichtung gesorgt haben. Wir stellen heute fest, daß Klientinnen, die aus einer anderen Stadt oder aus einem anderen Frauenhaus zu uns kommen, oftmals erstaunt sind, daß ihnen in Behörden und Ämtern in Wilhelmshaven positiv begegnet wird. Die Arbeit im Frauenhaus ist jedoch umrankt von vielen ganz kuriosen Vorstellungen und immer noch ein ganz großes Tabuthema. Die Dimension von Männergewalt gegen Frauen in dieser Gesellschaft ist in der Öffentlichkeit noch nicht annähernd erfaßt.

GEGENWIND: Wer kommt zu euch und welche Frauen werden von euch aufgenommen?
Fuhlbohm: Weil das in der Öffentlichkeit immer noch schwierig ist, Frauenhausarbeit zu vermitteln, geschweige denn zu verankern, sagen wir, daß sich zunächst Frauen und Mädchen in Not- und Problemsituationen jederzeit an uns wenden dürfen. Wir erklären uns für zuständig, wenn es bei diesen Problemen in irgendeiner Weise um Gewalt geht. Dann beraten wir telefonisch oder im persönlichen Kontakt und wir bieten die Aufnahme im Frauenhaus an. Wenn es nicht um Gewalt geht, dann beraten wir die Frauen dahingehend, daß wir ihnen sagen, wer für ihr Problem zuständig ist.

GEGENWIND: Was passiert, wenn eine Frau, die sich aus einer gewalttätigen Beziehung lösen will, bei euch aufgenommen wird?
Fuhlbohm: Eine Mitarbeiterin des Hauses hat jeweils Dienst und ist Ansprechpartnerin für die Bewohnerinnen. Sie ist diejenige, die bei neuaufgenommenen Frauen die Schutzfunktion einnimmt, die ersten notwendigen Versorgungsschritte einleitet und beratend zur Seite steht. Die Bewohnerinnen können und müssen darüber hinaus ihren Alltag weitestgehend eigenständig gestalten.

GEGENWIND: Nun ist das Frauenhaus ja keine Dauerlösung für mißhandelte Frauen. Wie sieht die weitere Entwicklung aus?
Fuhlbohm: Natürlich ist das Frauenhaus für die aufgenommenen Frauen als eine Übergangslösung gedacht und auch entsprechend ausgerichtet und ausgestattet. Frauen, die mit Gewalterfahrung zu uns kommen, sollen erst einmal zur Ruhe kommen. Den Frauen soll Zeit gegeben werden, sich zu überlegen, wie ihr weiterer Lebensweg verlaufen soll. Im günstigsten Fall – der auch die Regel ist – bestimmen die Frauen selber, wann sie das Frauenhaus wieder verlassen. Dies tritt dann ein, wenn die Frauen nach einer Zeit, in der sie Schutz, Zuwendung, Beratung und Betreuung erfahren haben, sich freier und gestärkter fühlen und wieder den Wunsch nach eigenen vier Wänden entwickeln.

GEGENWIND: Hat die Tatsache, daß Wohnraum knapper geworden ist, Auswirkungen auf die Aufenthaltsdauer und auf die Betreuung der Frauen, die zu euch kommen?
Fuhlbohm: In Ballungsgebieten der BRD führen Frauenhäuser unfreiwillig zu Langzeitaufenthalten. Im schlimmsten Fall müssen dann aus Platzmangel Frauen, die um Aufnahme nachfragen, abgewiesen werden. Diese Situation ist zum Glück in Wilhelmshaven noch nicht eingetreten. D.h., daß die Fluktuation funktioniert. Bislang konnten Frauen aus dem Frauenhaus noch in einem angemessenen Zeitraum Wohnungen finden. Allerdings haben bestimmte Frauen, z. B. Ausländerinnen und Frauen mit mehreren Kindern, erhebliche Probleme, geeigneten Wohnraum zu finden.

GEGENWIND: In welchem Umfang wird das Frauenhaus frequentiert?
Fuhlbohm: Pro Jahr wohnen ca. 200 Frauen und Kinder bei uns. Diese Zahl ist seit 13 Jahren relativ konstant. Die Gewalt gegen Frauen ist mit Sicherheit nicht im Sinken begriffen. Aufgrund der verschlechterten Arbeits- und Lebensbedingungen, die wir gerade auch in dieser Region zu verzeichnen haben, muß ich die Mutmaßung anstellen, dass, je schlechter es gerade auch Frauen geht, sie nicht etwa sagen, es kann jetzt nicht schlimmer kommen, sondern im Gegenteil, an dem wenigen was sie haben, festhalten. Ich vermute, daß Frauen durch die verschlechterte gesellschaftliche Situation unbeweglicher werden und nicht so schnell ihr Zuhause verlassen. Aus Angst davor, im Anschluß an die Trennung vom Partner und nach dem Frauenhausaufenthalt keine Wohnung und keine berufliche Existenzgrundlage zu finden.

GEGENWIND: D.h., dass die Gewalt gegen Frauen deines Erachtens eher zunimmt, gleichzeitig die gesellschaftlichen Bedingungen es den Frauen erschweren, sich aus ihren Zwängen zu lösen?
Fuhlbohm: Ja, zwar läßt sich diese Entwicklung nicht mit Zahlen belegen, aber ich glaube, daß es für Frauen in dieser Region schwieriger geworden ist. Gesellschaftlich gesehen, ist das Thema Gewalt an Frauen nach wie vor ein Tabu. Es gibt noch immer falsche Vorstellungen bezüglich Gewalt gegen Frauen. Häufig wird Gewalt an Frauen reduziert gesehen auf eine Sequenz, wo ein betrunkener Ehemann plötzlich auf eine Frau einschlägt. Was aber nicht wahrgenommen und gesehen wird, ist, daß sich diese Gewaltgeschichten häufig über viele Jahre und Jahrzehnte hinziehen. D.h., wir leben in einer Gesellschaft, in der Gewalt gegen Frauen nur in einem kleinen Ausschnitt wahrgenommen wird. Es wird nicht gesehen, daß diese Frauen in unserer Gesellschaft keine Unterstützung bekommen, sondern im Gegenteil die Täter indirekt unterstützt werden. Beispielsweise werden Frauen von Ärzten und Therapeuten zum Teil moralisch unter Druck gesetzt, wenn sie ihre Männer verlassen wollen. Sie werden dahingehend beraten und beeinflußt, ihren gewalttätigen Partner nicht „im Stich zu lassen“. Die wirkliche Dimension der Gewalt ist nicht im Bewußtsein der Menschen verankert.
Joachim Lempert vom Hamburger Projekt „Männer gegen Männergewalt“ hat sinngemäß gesagt: „Wir wissen, daß es in jeder dritten Beziehung zumindest einmalig zu Gewalt kommt. Gewalt gegen Frauen ist also nicht die Ausnahme, sondern der Normalzustand“.

GEGENWIND: Du hast Frauenhausarbeit auch immer als politische Arbeit verstanden. Eine Kritik an den bestehenden Verhältnissen lautet: „Die Frau muß flüchten – aber der Mann kann bleiben“.
Fuhlbohm: Im großen und ganzen hat sich an dieser Tatsache nichts geändert. Seit der neuen deutschen Frauenbewegung setzen sich engagierte Frauen für Frauen ein, die Opfer von Gewalt geworden sind. Daraus sind Institutionen wie Frauenschutzhäuser, Notrufe für vergewaltigte Frauen, Frauenberatungsstellen etc. entstanden. Wir Frauen mußten in diesen Bereichen erstmal Erfahrungen sammeln. Während dieser Erfahrungen tauchte die Frage auf, warum muß eigentlich die Frau flüchten, beengt mit ihren Kindern im Frauenhaus wohnen? Es hängt sicherlich auch damit zusammen, daß Gewalt an Frauen in der Öffentlichkeit kurioserweise immer noch als ein Frauenthema gehandelt wird. Der Verursacher wird bei dieser Blickrichtung ausgespart. Das, was Frauen derzeit machen können, ist sich selber schützen. Um den Mann, d.h. den Verursacher, kümmert sich keiner, dem passiert ganz wenig bis nichts. Das hat uns veranlaßt, uns mehr mit dem Thema „Männergewalt“ zu beschäftigen, d.h. täterzentriert zu gucken. Wir haben uns z.B. mit dem DAIP-Projekt, das aus den USA kommt, beschäftigt. Dort werden gewalttätige Männer viel eher inhaftiert, und sie müssen dann an einem Antigewalttraining teilnehmen.

GEGENWIND: Aus diesen Überlegungen ist dann das Projekt „Wir alle helfen Männergewalt gegen Frauen zu bekämpfen“ entstanden?
Fuhlbohm: Ja, wir haben jetzt angefangen, uns ganz global auch mit der Tätersituation zu beschäftigen. Wir haben eine Veranstaltungsreihe zur Männergewalt in Zusammenarbeit mit der Frauenbeauftragten der Stadt Wilhelmshaven gemacht und werden jetzt auch eine Dokumentation herausgeben. Das von dir erwähnte Projekt haben der Kripochef Helmut Tietken und ich gemeinsam entwickelt. Bereits in der ersten Konzeption der AWO-Frauenhäuser steht, daß Gewalt gegen Frauen ein gesellschaftliches Problem ist, es sich also nicht um persönliche und individuelle Probleme handelt. Wir haben auch festgestellt, daß durch das, was Frauen für Frauen gemacht haben, ja letztendlich gesamtgesellschaftlich sich wenig geändert hat. Männer sind weiterhin gewalttätig. Gesamtgesellschaftlich ist dringend Bewegung in diesem Bereich notwendig.

GEGENWIND: Was heißt das konkret für das derzeitige Projekt?
Fuhlbohm: Wir wissen, daß wir alleine die Gewalt nicht beenden können. Das Projekt, das auf möglichst breiten Füßen stehen soll, soll helfen, Bewegung in diese Thematik zu bringen. Wir wollen nicht nur über Opfer, sondern eben auch über die Täter reden. Es muß auch die Möglichkeit geschaffen werden, den Täter aus der Wohnung zu entfernen. Es muß eine Situation möglich sein, wo ein Gericht beispielsweise einer Frau mit mehreren Kindern die vormals gemeinsame Wohnung zuspricht. Das Projekt hat zum Ziel, das soziale Netz für Frauen deutlich zu verbessern, Täter zur Verantwortung zu ziehen, langfristig vielleicht auch eine Anlaufstelle für gewalttätige Männer zu schaffen. Wir wollen uns Gedanken machen darüber, was passieren muß, damit es in Zukunft weniger Gewalt gegen Frauen gibt. Es kann nicht länger angehen, daß diese Gesellschaft Gewalt gegen Frauen „Familienstreitigkeiten“ nennt. Frauen haben auch deshalb Skrupel, ihre Situation zu verändern, weil Gewalt gegen Frauen in dieser Gesellschaft verzerrt und verharmlosend dargestellt wird.

GEGENWIND: Eine Anlaufstelle für misshandelnde Männer schaffen – also auch Hilfsangebote für Männer?
Fuhlbohm: Das ist erstmal eine Arbeit, die Männer selber konzipieren und gestalten sollten. Den Männern muß ihr Unrechtsverhalten bewußt gemacht werden. Sie müssen wissen, daß sie für ihr Verhalten belangt werden können. Wenn ein Mann eine Frau zusammenschlägt, kann das nicht als Kavaliersdelikt abgetan werden. Als Sozialpädagogin halte ich es auch für wichtig, daß gewalttätige Männer nicht einfach nur weggeschlossen werden. Denn Knast ist im Grunde das größte Frauenfeindlichkeitstrainingslager. Es ist aber irgendwie grotesk, wenn wir uns in vorderster Front dafür einsetzen, daß Täter Therapien bekommen, wenn gleichzeitig für die Opfer in unserer Gesellschaft schlecht gesorgt wird. Dieses Thema muß verhältnismäßig diskutiert werden. Wenn ich Therapien für Täter einfordere, weil ich ja nicht möchte, dass Männer zu Wiederholungstätern werden, darf ich die Opfer nicht aus den Augen verlieren, die häufig lebenslange Schäden aus den Misshandlungen davontragen. Für die Opfer muß besser gesorgt werden, sie müssen ernstgenommen werden. Mißhandelte Frauen leiden genauso unter den traumatischen Erfahrungen wie beispielsweise KZ-Opfer oder Opfer von Geiselnehmern. Niemand würde auf die Idee kommen, KZ-Opfer für ihre Situation mitverantwortlich zu machen. Genau das geschieht aber nach wie vor mit misshandelten Frauen. Natürlich brauchen auch Männer Hilfe. Denn Gewalt auszuüben ist ja kein Akt der Stärke, sondern ein Ausdruck von Schwäche. Ich denke schon, daß es richtig ist, dass sich Männer mit den Tätern beschäftigen und Frauen mit den Opfern. Ich möchte in meiner Arbeit parteilich bei den Opfern bleiben. Mir widerstrebt es, mich in die Täterarbeit zu begeben und ein Verständnis für Täter zu entwickeln. Täterarbeit ist Männerarbeit.

GEGENWIND: Wir danken Dir für das Gespräch.

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