Meckerkasten statt Betriebsrat
Hat eine neue Zeit begonnen?
(noa) Sie kennen doch bestimmt die Fernsehwerbung, bei der Sie abends gegen 22.40 Uhr aufgefordert werden, jetzt anzurufen und den Bauchtrainer, das Blumenaquarium oder die Küchenmaschine zu bestellen?
Vielleicht haben Sie sich schon einmal gefragt, wie ein Unternehmen, das seine Produkte im „Teleshop“ anbietet, die Flut der Anrufe bewältigt. Das macht der Bauchtraineranbieter aber gar nicht selber. Wenn Sie die angegebene Nummer anwählen, sind Sie vielleicht mit der Firma „Telcare“ im TCN verbunden.
Telemarketing heißt das Zauberwort, und dahinter verbirgt sich eine der Olympia-Hallen, frisch renoviert, hell und freundlich gestaltet, mit großzügig angelegten Nischen, die je mit Telefonanschluß und PC ausgestattet sind. Ihr Anruf wg. Blumenaquarium o.ä. wird hierhin umgeleitet, und Sie bestellen bei einer der (gegenwärtig noch) 30 Frauen, die hier eine Teilzeitbeschäftigung als „Kontakterin“ gefunden haben.
Holger Ansmann spricht von der Firma Telcare als einem interessanten und zukunftsträchtigen Projekt auf dem Gebiet der Teilzeitbeschäftigung, und Herr Klawitter, mit dem er uns zusammenführte, träumt davon, daß eines nicht allzu fernes Tages der Parkplatz, auf den er aus seinem Fenster blicken kann, wieder voller Autos steht. Wenn erst genügend Kunden sich des Angebots von Telcare bedienen, dann werden 200 Frauen rund um die Uhr die Telefone bedienen.
Für die Beschäftigten heißt das, flexibel sein zu müssen. Je nach Kundenwunsch klingeln die Telefone mal besonders heftig am Abend oder am Wochenende; je nach Auftrag bestellen die Gruppenleiterinnen ihre Kontakterinnen mal tagsüber, mal abends, mal unter der Woche, mal am Wochenende an den Arbeitsplatz.
Und da soll es, wie wir gehört haben, Unzufriedenheit und Ärger gegeben haben. Z.B. wurden Frauen, deren Arbeitsverträge Anwesenheitszeiten von Montag bis Freitag zwischen 8 und 18 Uhr vorsehen, auch am Wochenende herzitiert – leider weiß niemand es genau, weil die Telcare-Mitarbeiterinnen sich nicht trauen, etwas zu sagen (so hören wir von Freunden und Angehörigen der Frauen) oder weil sie in Wirklichkeit zufrieden sind (so erklärt das Herr Klawitter).
Auch daß Frauen, die sich gegen die Reduzierung des Jahresurlaubs von 28 auf 24 Tage gewehrt haben, mit fristloser Entlassung bedroht worden sein sollen, mochte niemand sicher bestätigen. Herr Klawitter räumt allerdings ein, daß die ursprünglichen Arbeitsverträge mit den 28 Urlaubstagen in den Anfangswirren ausgegeben worden sind und dies jetzt“ korrigiert“ wurde -die Frage: „Was ist denn gesetzlich vorgesehen?“ läßt befürchten, daß auch eine Verringerung des Urlaubsanspruchs auf 18 Tage nicht auszuschließen ist.
Auf den Teamsitzungen könne jedenfalls jede sagen, was ihr nicht passe, und außerdem habe man einen Meckerkasten für die, die anonym Unmut äußern wollen – auf die Frage nach einem Betriebsrat reagierte Herr Klawitter so, als habe er das Wort noch nie gehört.
Als im Hauptberuf kirchliche Mitarbeiterin kenne ich den sogenannten „3. Weg“: Nicht das Modell aus den Anfangszeiten des Kapitalismus, wo der Unternehmer befiehlt und die Lohnabhängigen gehorchen („l. Weg“), auch nicht Klassenkampf, Betriebsverfassungsgesetz, Tarifverhandlungen und Gewerkschaftsmacht („2. Weg“), sondern Dienstgeber und Dienstnehmer in friedlicher Runde, die die Arbeits- und sonstigen Bedingungen verhandeln und beschließen. Mit Lohnabhängigen, die selbstsicher und auf·gleicher Ebene mit ihren Chefs verhandeln können, mag das vielleicht ein Weg sein, auf dem alle Bedürfnisse erfüllt und alle Beteiligten zufriedengestellt werden können.
In einer Region mit Rekordarbeitslosenquote halte ich es für illusorisch, daß der Meckerkasten den Betriebsrat und Goodwill den Tarifvertrag ersetzen. Diejenigen, die überhaupt das Glück haben, einen Arbeitsplatz zu ergattern, halten im Betrieb den Mund, wenn ihnen etwas nicht paßt, und meckern zu Hause.
Daß Menschen, die in so einem Betrieb, in dem der Chef nicht autoritär die Schichten einteilt, sondern die Mitarbeiterinnen auf der Teamsitzung sich einigen, wer wann was macht, „so zufrieden sind, daß sie auch in ihrem Privatleben weniger Probleme haben“ (Klawitter), kann ich nicht bestätigen! Mit der Angst vor Arbeitsplatzverlust im Nacken wird dieser 3. Weg blitzschnell wieder zum 1. Weg. Das Hartolit-Beispiel (siehe Meldung „Unverbindlich“) zeigt, wohin es geht, wenn wir nicht aufpassen.
Anette Nowak
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