Erklärung von Wolfgang Kuschel
Jun 011988
 

Liebe Leserinnen und Leser!

Wer fast ein Jahrzehnt allen beruflichen Anspannungen und privaten Turbulenzen zum Trotz diese Zeitung maßgeblich gestaltet hat, steht eigentlich nicht im Zwang, eine publizistische Ruhepause näher begründen zu müssen. Da ich jedoch immer wieder nach meinen Beweggründen gefragt werde und da mein Schritt leider nicht ohne Folgen für die Situation der Wilhelmshavener Alternativpresse bleibt, möchte ich mir einige Anmerkungen zur radikalen Einschränkung meiner Mitarbeit an dieser Zeitung erlauben.

Nach wie vor halte ich Projekte wie den GEGENWIND für unverzichtbar. Macht droht grundsätzlich Schindluder mit demokratischen Spielregeln zu treiben und bedarf daher einer öffentlichkeitswirksamen Kontrolle. Wie weit der GEGENWIND eine solche Kontrolle war und ist, wie weit er korrigierend gewirkt hat, das ist schwer nachvollziehbar. Mehr haben wir vielleicht in den Köpfen derer erreicht, die durch drohende Veröffentlichungen von irgendwelchen Schweinereien abgehalten worden sind. Aber die werden das natürlich nicht zugeben.
Notwendig ist die Zeitung also nach wie vor und es fällt mir nicht leicht, der Pressearbeit adieu zu sagen. Aber wenn der jahrelange Raubbau an der eigenen Gesundheit erste Spuren hinterläßt, wenn zudem Familie und Beruf verstärkt ihr Recht einklagen, dann ist eine Entscheidung unumgänglich. So wichtig es ist, die Arroganz der Macht durch beharrliches Recherchieren und die Veröffentlichung großer und kleiner Skandale ständig und provokativ in ihre Schranken zu weisen, so sehr wünsche ich mir schon seit Jahren eine vertiefendere inhaltliche Arbeit, als sie die von ständigen Terminzwängen bestimmte Zeitungsproduktion ermöglicht.
Ich hatte mir lange Zeit eine Professionalisierung des Unternehmens GEGENWIND gewünscht. Sie war ebenso wenig realisierbar wie eine (häufiger diskutierte) veränderte Arbeitsaufteilung innerhalb der Redaktion. Die Probleme des Gegenwind-Koordinators Kuschel sind eben nicht nur die seinen allein, sie gelten für jeden der Mitarbeiter. Sie spiegeln nur die allgemeinen Schwierigkeiten wieder, mit denen Alternativpresse stets zu kämpfen hat. Jeder, der dieses Geschäft betreibt, weiß, daß die nächste Nummer die letzte sein kann. Viele schütteln den Kopf über die Kurzlebigkeit vieler alternativer Publikationen. Verständlich, denn nur wenige wissen, daß Zeitungsarbeit ein Vielfaches von der Zeit verschlingt, die für ein „normales“ Vereins-. Partei- oder Gewerkschaftsengagement aufgewendet werden muß. Die Frage darf nicht heißen: „Warum hört ihr auf ?“ Sie lautet richtiger: „Wieso habt ihr so lange durchgehalten?“
Die Arbeit am Projekt Gegenwind in dem bisherigen zeitraubenden Umfang einstellen heißt nicht – und ich weiß, daß ich hier auch für die anderen GEGENWINDler spreche, die mit mir diese Arbeit beenden – aufhören, das heißt nicht, daß unsere produktive Wut auf Unrecht und politische Verdummung nun am Ende wäre, daß wir die Politik in der Stadt des „Dreckigen Sumpfes“ nicht mehr für unvollkommen und veränderungswürdig hielten. Man wird an anderen Stellen von uns hören und sehen. Was bleibt, sind Hoffnung und Gewissheit, daß andere es uns nachtun und dann auf ihre Art und Weise die Verhältnisse anprangern werden.
Mir bleibt der Dank an diejenigen, die z.T. über Jahre hinweg dieses Blatt mitgestaltet und durch alle Höhen und Tiefen begleitet haben. Ich habe die Arbeit in der Gegenwind-Redaktion auch vor allem deshalb besonders geschätzt, weil sie jenseits einfältigen Lagerdenkens eine kultivierte Möglichkeit – oft hitziger – kontroverser Auseinandersetzungen jenseits bornierter Denkverbote, wie man sie oft in Parteien findet, bot. Mein Dank gilt uneingeschränkt auch den Mitarbeitern, die nicht so sehr öffentlich in Erscheinung traten, unserer Schreibkraft, den Verteiler(inne)n und Informanten aus Friedens-, Umwelt- und Frauenbewegung. Nicht zuletzt erwähnen möchte ich die mutigen Angehörigen der städtischen Verwaltung und jene neun Ratsmitglieder aus allen Rathausparteien, die allen Drohungen zum Trotz ein persönliches Risiko nicht gescheut haben, um wichtige Informationen an die Öffentlichkeit zu bringen. Sie alle hoben dazu beigetragen, einem unverändert gültigen Satz des großen Karl Marx einen praktischen Gehalt zu geben: „Man muß diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, daß man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt!“

Auf Wiedersehen

W. Kuschel

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