Demokratur oder Kapitalie?
Manche Worte sollte man auf die Goldwaage legen
(red) Am 8.9. berichte „Guten Morgen Sonntag“ über einen Aufenthalt von ukrainischen SchülerInnen in der Jadestadt. Klingt erst mal gut; schließlich wird Kindern, die heute noch unter gesundheitlichen Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl leiden, auch regelmäßig ein Erholungsurlaub an der Nordsee ermöglicht. In diesem Fall scheint es aber weniger um die körperliche als um die ideologische Gesundheit der Jugendlichen zu gehen.
Vorab: „Guten Morgen Sonntag“ (GMS) erfreut immer mal wieder durch interessante Hintergrundberichte, in denen alle Betroffenen zu Wort kommen, ohne dass die Verfasserin dem Ergebnis die „herrschende“ Meinung aufdrückt. Bei besagtem Bericht wurden allerdings – im Bemühen um politische Korrektheit? – einige Begriffe durcheinander geworfen.
Auf der Titelseite steht zunächst „Zehn Schüler(innen) als Hoffnungsträger für eine ukrainische Diktatur“. Im ganzseitigen Artikel wird aber deutlich, dass die Jugendlichen nicht die Zukunft der Diktatur in ihrem Lande sichern sollen, sondern einen Aufbruch in die Demokratie.
Spaß beiseite. Dass man unterm Druck des Erscheinungstermins schon mal betriebsblind wird und ein Wort schreibt, das man gar nicht meint, kann jedem Schreiberling passieren – da wollen wir gar nicht klugscheißen. Jetzt geht’s aber ans Eingemachte: In Weißrussland herrschten „Zustände wie zu Hitlers Zeiten“, klagt im Artikel Ute Göpfert, die die Schülerreisen organisiert, und beschreibt neben dem totalitären Polizeistaat auch die schlechte Nahrungsmittelversorgung. Bei Hitler gab’s allerdings – jedenfalls vor dem Krieg – genug zu essen, deswegen haben ihn die Deutschen ja auch gewählt. Ansonsten ist sein Menschen verachtendes, Tod bringendes Regime bis heute mit nichts in der politischen Geschichte zu vergleichen; man kann ja andere Regierungen kritisieren, aber von solchen Aussagen sollte man besser die Finger lassen. Das hat auch Herta Däubler-Gmelin gespürt, die wegen eines Hitler-Bush-Vergleiches gerade ihr Amt als Bundesjustizministerin verloren hat.
„Demokratie beginnt im Kopf“ betitelt GMS den Bericht. Die Annehmlichkeiten der deutschen Demokratie werden den SchülerInnen dann aber doch über den Bauch vermittelt: Die Gäste werden – damit sie sich sich nicht von den hiesigen MitschülerInnen unterscheiden – mit neuen (Marken-)Klamotten ausgestattet – Konsum-Uniformen, die nicht gerade selbstbewusste Freigeister prägen. Krönung des Programms ist dann eine Einladung der Rotarier ins Hotel Kaiser„zu einem eleganten Abendessen in gehobener Atmosphäre“ – denn: „Auch das gehört zu einer Demokratie.“ Da hat sich die Autorin nun voll im Wörterbuch verblättert. Sie meint natürlich: „Auch das gehört zum Kapitalismus.“
Die Kritik muss sich zwar eher gegen die Veranstalter als die Redakteurin richten, anderseits hätte diese – sofern sie nicht auch von dieser Herangehensweise an internationale Jugendarbeit überzeugt ist – kommentierend eingreifen oder zumindest distanzierter zitieren müssen.
Das Ganze erinnert daran, wie bis 1989 der Besuch aus der Ostzone postwendend in den nächsten Supermarkt geschleift wurde, um ihm das bessere Deutschland vorzuführen, und dann wurde eingekauft und gegessen wie sonst höchstens zu Weihnachten. Demokratie geht also nicht durch den Kopf, sondern durch den Magen?
Frau Göpferts persönliches wie finanzielles Engagement in allen Ehren – aber wenn das wirklich so abläuft wie in GMS geschildert, können einem die Jugendlichen nur leid tun. Deutschland Deutschland über alles – doch es ist nicht nur der Himmel, und woanders ist nicht nur die Hölle. Kein Wort darüber, was die Gastgeber von den jugendlichen Gästen über die Menschen ihres Landes lernen könnten – vielleicht mehr Herzlichkeit und mehr Zusammenhalt?
So fahren sie wieder nach Hause und sind traurig, keine Demokratie zu haben, weil sie dort keine Reebok-Shirts kaufen und kein Schweinelendchen an Senfsauce neben Buttermöhrchen essen können.
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