Ignoranz und Arroganz
WALLI: Ein Jahr im Rat der Stadt.
(hk) Die Wilhelmshavener Alternative Liste (WALLI) ist seit einem Jahr mit einer Stimme im Rat der Stadt vertreten. Wir sprachen mit dem WALLI-Einzelkämpfer Joachim Tjaden.
Gegenwind: Das erste Jahr ist um. Wie fühlst Du dich nach diesen 12 Monaten?
Joachim Tjaden: Ins eigene Nest spucken sollte man nicht. Es ist nicht mein Nest und wird es, wenn sich nicht grundlegend etwas ändert, auch nicht werden. Aus dem „normalen“ Leben heraus, in dem jeder seine eigene Meinung haben kann, darf und auch soll, in dem jeder seine Entscheidungen selbst trifft, in dem jeder seine Meinung aus möglichst vielen Informationen bildet, in den Stadtrat zu kommen, bringt schon so einige Probleme mit sich.
Was meinst Du mit ‚einigen Problemen‘?
Die Probleme beginnen schon damit, dass viele für mich selbstverständliche Grundregeln für einige Ratsmitglieder keine Gültigkeit haben. Es ist schon manchmal peinlich, welche Arroganz, Ignoranz und Unerzogenheit bei manchen dieser erwachsenen „Vorbilder“ zu Tage tritt.
Da gibt es die Gruppe der Desinteressierten und eine kleine Gruppe der „Ratsschläfer“. Dieses Thema sollten wir jedoch schnell vergessen und hoffen, dass nicht allzu viele BürgerInnen daraus schließen, es seien alle so.
Gibt es eigentlich einen Kontakt der BürgerInnen zu den Ratsmitgliedern, der über die jeweiligen Parteistrukturen hinausgeht?
Die Briefkästen der Ratsmitglieder sind immer prall gefüllt mit Unterlagen, Anträgen und Informationen – eine schier endlose Flut an Papieren.
Da sind interessante Vorgänge zu beobachten: die Papierstapel werden fein säuberlich nach Einladungen und Informationen getrennt. Die Einladungen verschwinden in der Tasche, die Informationen im Schredder. Sicherlich nur Einzelfälle!?
Und wie geht ihr damit um? Für eine Partei mit 20 Mitgliedern im Rat sollte es eigentlich keine Schwierigkeit sein, sich mit den Problemen der Wilhelmshavener BürgerInnen zu beschäftigen – aber wie schaffst Du das als Einzelkämpfer?
Ich arbeite mich durch die Berge durch, und natürlich helfen mir die anderen WALLI-Mitglieder, und gehe auch zu den BürgerInnen, Vereinen, Institutionen, die etwas von der Stadt Wilhelmshaven wollen.
Hierbei wurde die Illusion – der Rat sucht das Gespräch mit den Betroffenen – zerstört. Die meisten Gefragten verbringen die ersten Gesprächsminuten damit, ihr Erstaunen über diese Nachfrage in Worte zu fassen. „Sie wollen wirklich meine Meinung hören? Das habe ich noch nie erlebt!“ Diese Selbstverständlichkeit scheint in unserer Stadt zu einem absoluten Ausnahmefall geworden zu sein.
Die Illusion, dass Entscheidungen mit den betroffenen BürgerInnen zusammen getroffen werden, verflog in wenigen Tagen. Mehr Bürgernähe, mehr Transparenz der Entscheidungen. Diese Worte klingeln mir seit dem Wahlkampf immer noch in den Ohren.
Das klingt nicht nach der viel beschworenen Bürgernähe!
Bürgernähe! Gleich eine der ersten Entscheidungen im Rat sollte dieses Thema betreffen. Eine neue Geschäftsordnung sollte diskutiert und beschlossen werden. Von Bürgernähe und Transparenz aber keine Spur. Die Rechte der BürgerInnen bei der Einwohnerfragestunde wurden verringert. So soll der Bürger 9 Tage vor der Ratssitzung seine Frage, welche nicht die Tagesordnung des Rates betrifft, schriftlich einreichen. Nur: Wann weiß der interessierte Bürger, was nicht auf der Tagesordnung steht? Neun Tage vorher weiß noch nicht einmal der Ratsvorsitzende, was genau auf der Tagesordnung steht! Absicht? Oder war es einfach eine unüberlegte Änderung?
Wie ist das Verhältnis der WALLI zu den anderen Parteien im Rat?
Ein beliebtes Hobby in der Mehrheitsgruppe scheint die Buchführung über den neuen WALLI-Mann zu sein. Dass der „Neue“ beobachtet wird, ist nicht unnatürlich. Aber die Tatsache, dass einige genau wissen, wann die WALLI mit der FDP stimmt, wann und wie lange von Teichman (FDP), Schadewald (FDP) und Tjaden miteinander reden, ist schon erstaunlich. So wird die Vermutung geäußert, dass ich in die FDP wechseln werde. Dabei kann ich wirklich nichts dafür, wenn die FDP mit der WALLI stimmt. Ob daraus jemals abzuleiten ist, dass Dr. von Teichman zur WALLI wechseln will, sollten die Beobachtungsposten der SPD-Mehrheitsgruppe einfach abwarten.
Nun ist es in aller Regel so, dass der, der beobachtet wird, auch selber beobachten kann. Wie läuft das im Rat?
Mir fallen immer wiederkehrende Wortmeldungen des Fraktionsvorsitzenden Neumann auf, welche inhaltlich nicht dazu beitragen, den Sachverhalt des Abstimmungsgegenstandes zu erläutern, sondern lediglich darauf hinweisen, dass für oder gegen den Antrag gestimmt wird. Diese Vorbemerkung, dient wohl dazu, auch dem Letzten in der Gruppe klar zu machen, wie er abzustimmen hat.
Das funktioniert auch reibungslos. Oder sind die Gruppenmitglieder tatsächlich über ein Gestänge mit dem Vorsitzenden verbunden, was erklären würde, dass auch die Gruppe der „Ratsschläfer“ meist korrekt abstimmt?
Wie sieht es mit deiner eigenen Ratsarbeit aus? Konntest Du in den zurückliegenden zwölf Monaten etwas bewegen?
Gespannt wartete ich auf das Abstimmungsergebnis zum Strahlenkataster-Antrag der WALLI. Abgelehnt! Weil der Antrag von der WALLI kam? Weil wir ein solches Kataster schon haben? Sinnlos war der Antrag nicht. Wurde doch wenige Tage nach der Abstimmung tatsächlich ein Kataster in der Presse vorgestellt. Es beinhaltet zwar nur die Anlagen, die laut Gesetz kartiert werden müssen, aber immerhin.
Die weiteren Anträge der WALLI haben ein ähnliches Schicksal erlitten. Hier ging es um einen Zuschuss zum Schullandheim Schweinebrücker Fuhrenkämpe. Also um Kinder. Selbst der Ratsherr Schulz mochte sich nicht über den Fraktionszwang – eigentlich gibt es den ja nicht – hinwegsetzen. Abgelehnt!
Dann ging es zweimal um die Schule Coldewei, welche angeblich aus pädagogischen Gründen – zu wenig Anmeldungen – geschlossen wurde. Die WALLI stimmte gegen die Schließung.
Nach Meinung der BürgerInnen im Stadtnorden und der WALLI sollte die Schule nun wenigstens als Gebäude für Kinder-, Jugend- oder Stadtteilarbeit genutzt werden. Abgelehnt! Wie schon die Entscheidung zur Schließung der Schule, war auch diese höchst zweifelhaft.
Auch der JadeWeserPort ist Thema der WALLI im Rat.
Die Große Anfrage – Große Anfrage, weil diese eine Diskussion erlaubt – über die Planungen bezüglich Straßenveränderungen brachte eines deutlich hervor: Zum geplanten Baubeginn werden keine Maßnahmen ergriffen sein, welche für einen vertretbaren Baustellenverkehr sorgen könnten. Auch werden die nötigen Straßenführungen nicht zu Betriebsbeginn erstellt sein. Diskussion? Fehlanzeige!
Die zweite Anfrage, bezüglich der Beteiligung Wilhelmshavens an der Entwicklungsgesellschaft für den JadeWeserPort, wurde dann vom 1. Stadtrat Frank beantwortet. Von Unrechtsbewusstsein, keine Spur. Nach seinen Angaben sei der Anteil Wilhelmshavens, immerhin ca. 1,35 Mio. EUR, bezahlt. Diesen Umstand ließ ich mir, durch eine Zusatzfrage, noch einmal bestätigen. Warum liegt dann kein Ratsbeschluss darüber vor?
Das klingt alles so, als wärst Du der Einzige im Rat, der den wirklichen Durchblick hat – alle anderen tanzen nach der Fraktionspfeife oder pennen.
Selbstverständlich ist es so, dass ich mich in allen angeführten Punkten irren könnte. Nicht immer ist der „erste“ Eindruck, welcher sich jedoch im Laufe der letzten Monate nicht veränderte, auch der Richtige.
Bleibt zu bemerken, dass mir natürlich auch die Ratsmitglieder auffallen, welche von diesen Beschreibungen abweichen. Die sich Gedanken machen und tatsächlich zum Wohle der BürgerInnen arbeiten wollen.
Sonst gibt es nichts Positives zu vermerken?
Wo Schatten ist, muss auch Licht sein. Licht bringen immer wieder die MitarbeiterInnen der Stadt. Keine Frage scheint zu viel, kein Vorgang zu weit weg, um ihn für den „WALLI-Mann“ zu holen. Danke!
Großes hat die WALLI sicherlich bisher nicht bewegt. Aber viele Kleinigkeiten konnten verbessert werden. Und gerade diese kleinen Dinge, welche immer wieder aus der Bevölkerung an uns heran getragen werden, sind es, die wieder aufbauen.
Ein abschließendes Resümee deines ersten Jahres als Ratsmitglied – und vielleicht Deine Wünsche für die nächsten Jahre.
Das Vorgenannte könnte den Eindruck erwecken, unsere Ratsarbeit würde nichts bringen. Würde keinen Spaß machen. Das ist nicht so! Wir sind fest davon überzeugt, dass unsere Arbeit schon „Früchte“ getragen hat und auch weiter tragen wird.
Ohne die BürgerInnen geht es aber nicht! Darum wünsche ich mir, dass man uns sagt, wo die Probleme sind. Kommen Sie zu den Ratssitzungen. Nutzen Sie die Einwohnerfragestunde. Fragen Sie, bis sie eine Antwort erhalten. Auch wenn Zwischenbemerkungen wie „das haben wir Focke Hofmann zu verdanken“ bis auf die Tribüne hallen. Lassen Sie sich nicht von den „Adams“ abschrecken!
Es gibt einige Ratsmitglieder, die zuhören, die sich kümmern und das Vorgebrachte in ihre Arbeit aufnehmen.
In der Hoffnung, dass nicht automatisch alle Abstimmungen das Ergebnis 24 zu 21 haben werden, setzt die WALLI ihre Arbeit fort.
Vielen Dank für das Gespräch.
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