Hau wech den Scheiß
Neues aus der Wilhelmshavener Kahlschlag-Chronik
(iz) Täglich verschwindet bundesweit etwa die Fläche von 12 Fußballfeldern unter Stein und Beton. Wilhelmshaven will auch hierbei nicht zurück stehen Die Folgen wurden allen Beteiligten und Unbeteiligten unlängst durch das Elbhochwasser vor Augen geführt. Wir schauen, wie unsere Stadt sich „engagiert“ und werfen auch einen Blick an die Elbe.
Mitte September wurde ein Hausbesitzer aus Sillenstede zu 900 Euro Geldbuße verurteilt. Er hatte sechs 80 Jahre alte Weiden gefällt, deren Wert auf 35.000 Euro geschätzt wurde.
Anfang September wurden acht ca. 70 Jahre alte Buchen vor dem Neubau des „Villencarrés“ (Holtermann-/ Fichtestraße) abgehackt und die Reste inklusive Wurzeln flugs beseitigt. Der Bauherr ging straffrei aus. NABU-Pressewart Werner Hoffmann hat (in der WZ) dazu alles gesagt; als Chronisten des lokalen Kahlschlags fassen wir den Vorgang (stellvertretend für viele vergleichbare) wie folgt zusammen: In der DIN 18920 sowie in den „Richtlinien für die Anlagen von Straßen, Abschnitt 4, Schutz von Bäumen und Sträuchern im Bereich von Baustellen“ (RAS-LP4) ist detailliert festgelegt, wie Baumbestände vor Schäden zu schützen sind. So muss vor Baubeginn ein Schutzzaun errichtet werden, und Verdichtungen im Wurzelbereich (durch Befahren oder Materiallagerung) müssen vermieden werden. Am pfiffigsten ist es natürlich, von vorn herein die Baugrenzen so zu planen, dass den Bäumen ausreichend Platz bleibt. Die Wohlfahrtswirkung großer Bäume – sie spenden Schatten und Sauerstoff, reinigen die Luft, gliedern und verschönern das Stadtbild – ist unschätzbar und durch Neuanpflanzung kleiner Setzlinge nicht auszugleichen.
In Wilhelmshaven scheint diese DIN-Norm nicht zu existieren. Auch die städtische Baumschutzsatzung ist, so Hoffmann, das Papier nicht wert, auf dem sie gedruckt ist. Die Schädigung der Bäume wird in vielen Fällen von vorn herein bewusst eingeplant (und genehmigt), die Baugrenzen scheinen wie von Gottes Hand unverrückbar vorbestimmt, und der Unteren Naturschutzbehörde wird das Messer auf die Brust gesetzt: Den Baumfrevel darf sie nicht verhindern, der Fällung halb ermordeter Bäume muss sie zwangsläufig zustimmen; diese Taktik wird nachher gern als vorbehaltlose Zustimmung der UNB zu Baumfällungen abgekürzt (=verfälscht).
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil v. 15.3.2002 – 1 K 2405/00 – (zitiert aus „Natur und Landschaft“ Sept. 2002)
Hinter einem verfallenen Mäuerchen an der Ecke Ebert-/Gökerstraße wuchsen jahrzehntelang Birken und Wildstauden vor sich hin und boten Vögeln und Insekten Nahrung und Zuflucht. Stolz meldete die WZ (3 Tage nach dem Buchenfrevel), dass dort „aufgeräumt“ würde, und zwar deshalb, weil eben jene Zeitung diesen „Schandfleck“ einige Zeit vorher angeprangert und das Grün als UN-Kraut enttarnt hatte (in dem wahrscheinlich UN-Tiere ihr UN-Wesen trieben). Rodung, Ausschachtung und Planieren hat sich die Stadt einiges Geld kosten lassen (und das, obwohl laut WZ noch gar keine anderweitige Nutzung in Sicht ist.)
Überhaupt hat sich WZ-Schmid die Vernichtung städtischen Grüns, „wo es nichts zu suchen hat“, auf die Fahne geschrieben. „Biotope auf Straßen und Wegen – da muss man irgendwann wuchshemmende Mittel einsetzen“ (WZ 16.8.02), wenn nicht, mangele es wohl an „Courage“. Als Kolumnist „Jan“ bemüht Schmid (am 17.9.) eine Freundin, die Gästen das Kaiserdenkmal zeigen wollte und sich „richtig geschämt“ habe, weil rings um den Sockel das Unkraut sprieße. (Wenn auch nicht, wie „Jan“ schrieb, seit 1896 – dieses Denkmal wurde erst 100 Jahre später eingeweiht).
„Nun wird Wilhelmshaven ja vielfach die Grüne Stadt am Meer genannt, weil dieses Gemeinwesen an der Jade über eine Vielzahl von Plätzen, Parks und kleinen Anlagen verfügt“ doziert „Jan“ und bedauert, „dass das Grün in Wilhelmshaven in den vergangenen Monaten tüchtig in Verruf gekommen ist, weil es mittlerweile auch dort kräftig wächst, wo es nichts zu suchen hat.“ Das klingt wie „so las man in der WZ … vor 25 Jahren“. Der frühere PR-Slogan von der „grünen Stadt am Meer“ wurde vor langer Zeit durch „Wilhelmshaven setzt Zeichen“ abgelöst und das ist auch richtig so, denn fast überall da, wo besagte Grünflächen das Stadtbild prägten, haben Rat und Verwaltung Zeichen aus Stein und Beton gesetzt. Am Ende werden wohl nur Stadtpark, Kurpark (auch den hat die Reha-Klinik schon angeknabbert), Friedrich-Wilhelm-Park und Brommygrün bleiben (obwohl man die konsequenterweise auch überbauen müsste, denn dort sprießt das verhasste „Unkraut“ en masse). Selbst eine Großstadt wie Hamburg mit ihren ausgedehnten Parks und Alleen hätte das Prädikat einer „grünen Stadt“ vielfach mehr verdient als das heutige Wilhelmshaven.
„Unkraut“ (also Wildstauden, -kräuter und -gräser) sucht sich überall dort seinen Platz, wo Flächen wenig genutzt werden; häufiges Befahren oder Betreten können die meisten Pflanzen schlecht vertragen. Ökologisch und ökonomisch sinnvoller wäre es, solche Bereiche, die offensichtlich als Nutzflächen überflüssig sind, zurückzubauen und zu entsiegeln; als Pflegemaßnahme würde gelegentlich Mähen reichen, was billiger und umweltverträglicher ist als das „Jäten“ mit Motorsensen, Gasbrennern oder gar chemischen Bekämpfungsmitteln. Dass nur schwarze Beete mit Begonien und Co. (wie gegenüber dem Busbahnhof) „schön“ sein sollen, ist Geschmackssache; viele Menschen (sowie Insekten und Vögel) freuen sich an der ganzjährig abwechslungsreichen Vielfalt blühender und grünender Wildpflanzen. Sie entscheiden lieber selbst – und anders als Politik und Tagespresse -, wo Wildpflanzen „etwas zu suchen haben“.
„Indem wir Wildnis ‚mit ihrer Unordnung und ihrem Chaos’ als etwas Großartiges erleben und anzunehmen lernen, gelingt es vielleicht auch, den Einsatz von Mähern, Rasenkantenschneidern und Hochdruckreinigern zu drosseln, damit mehr Wildnis in unsere Alltagswelt einkehren zu lassen und gleichzeitig nicht mehr so viel Energie sinnlos zu vergeuden.“ (Herbert Zucchi, Prof. f. Ökologie an der Fachhochschule Osnabrück (zitiert aus „Natur und Landschaft“ Sept. 2002)
SPD-Chef Siegfried Neumann berichtete aus der jüngsten rotgrünen Klausurtagung, welche Anreize man schaffen wolle, um Neubürger zu gewinnen mit dem Ziel „100.000-Einwohner-Stadt“. Dazu zählte, dass die Stadt sauberer und der Straßenzustand verbessert werden müsse, sowie Stadtteile mit Neubauinseln aufzuwerten. Über Geschmack lässt sich nicht streiten; es wäre ratsam, die „Zielgruppen“ (wahrscheinlich vor allem junge Menschen) mal zu befragen, ob sie Neubauten und Zierbeete wirklich attraktiver finden als sanierte Altbauten und verwunschene Stadtbiotope, in denen Kinder noch mal unbeobachtet Indianer spielen und ihren Spielplatz selbst gestalten können.
Im April berichtete die WZ über ein Projekt am heilpädagogischen Kindergarten „Leuchtfeuer“ der GPS: Eltern und Erzieherinnen schufen im Garten ein „grünes Klassenzimmer“. „Eine Erzieherin wies … auf Erkenntnisse hin, dass auf … Betonflächen viel schneller Aggressivität heranwächst als in einem naturnahen Spielraum … mit den auf Beton fehlenden Rückzugs- und Besinnungsmöglichkeiten für Kinder.“ Wilde Grünflächen sparen also außer Pflegekosten auch Streetworker.
Naturnaher Spielraum, steht im Bericht, sei zur Zeit noch selten, aber nach Ansicht von Fachleuten längst auf dem Vormarsch. Mag sein – aber nicht in Wilhelmshaven. Löblich und sinnvoll das Projekt der GPS – doch nur ein Wassertropfen im städtischen Ozean der Bauwut, der alle natürlich (und kostenlos) vorhandenen Naturerlebnisräume systematisch vernichtet. An ihre Stelle treten langweilige Neubauten, die keiner braucht (momentan sollen einige tausend Wohnungen im Stadtgebiet leer stehen) mit langweiligen, winzigen Normspielplätzen. Doch Kinder oder Jugendliche unter 18 Jahren fragt keiner – das sind weniger als 20% der Bevölkerung (mit abnehmender Tendenz) und wählen dürfen die auch noch nicht.
Nach uns die Sintflut? Am selben Tag, als der Bagger im Biotop an der Ebertstraße in der WZ bejubelt wurde, gab es in Wilhelmshaven ein Benefizkonzert zugunsten der Flutopfer des Elbhochwassers. Über 300.000 Euro hatten die Bürger/innen bis dahin schon für ihre Patenstadt Tharandt gespendet. Das wäre ja alles ganz löblich, wenn es wirklich eine Investition in die Zukunft wäre. Dass die Elbflut keine Natur-, sondern eine menschengemachte Katastrophe war, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Zu den Sünden zählen die Abholzung des Erzgebirges (dessen Waldboden früher wie ein Schwamm Unmengen Niederschläge aufsaugen konnte), die Kanalisierung von Flüssen und die Verbauung natürlicher Fluträume durch Gebäude, Straßen und Deiche bzw. die Nutzung als Ackerfläche.
Milliarden Steuergelder sind in die Ausbaumaßnahmen geflossen; Milliarden fließen jetzt in die Beseitigung der Schäden, welche die ersten Milliarden angerichtet haben, die nun den „Bach“ runter gegangen sind und dabei menschliche Existenzen – wirtschaftlich wie seelisch – mit sich gerissen haben.
Wird das jetzt alles anders? Umweltminister Trittin hat einen Ausbaustopp für Gewässer verordnet. Einen befristeten – denn so kurz vor der Wahl wollte er sich bei den Nutznießern des Umweltfrevels nicht endgültig unbeliebt machen. Wenige Tage später wird mit Kanzler und großem Brimborium die Vernichtung einer der letzten naturnahen Flussmündungen an der Nordsee gefeiert: Das Emsstauwerk wird eingeweiht.
Am 17.9. beschließt der Bremer Senat die Finanzierung des Container-Terminals IV an der Wesermündung. Wirtschafts- und Häfensenator Josef Hattig (CDU) appelliert an die Bundesregierung, sich bei der Außenweservertiefung „nicht von Emotionen leiten zu lassen, sondern von Fakten“ (WZ 18.8.02) und lehnt den Trittins Ausbaustopp ab.
Hattig redet von einigen Hundert Millionen Euro Emotionen. Dass sich Natur- und Umweltschutz auf Dauer emotional nicht durchsetzen lassen, haben Aufstieg und Fall der Umweltbewegung von Anfang der 1970er Jahre bis heute bewiesen. Die Flutkatastrophe hat auf drastische Weise vorgeführt, dass Leben und Wirtschaften gegen die Natur uns teuer zu stehen kommt; viele glaubten und hofften, dass nun – auf Grund der wirtschaftlichen Fakten, nicht der Emotionen – ein Umsteuern zu erwarten wäre. Weit gefehlt. Hattig und Co. bauen darauf, dass die „Solidargemeinschaft“ (der BürgerInnen) auch zukünftig erst den Umweltfrevel und dann dessen Folgen finanzieren wird. So wird jeder Bürger, der noch menschlich denkt und in Wilhelmshaven wie auch anderswo für Betroffene an der Elbe in den Sparstrumpf greift, an der Nase herumgeführt. Die Betroffenen sind nicht Opfer der Flut, sie sind Opfer des Kapitals. Zahlen müssten diejenigen, die Entscheidungen (gegen Mensch und Umwelt) getroffen und davon profitiert haben – und jetzt Mitgefühl heucheln.
Und was hat das nun mit gefällten Birken und Buchen in Wilhelmshaven zu tun? Sie hätten nicht die Elbflut aufgehalten; jeder Quadratmeter zusätzlich versiegelter Fläche, auf der sie vorher standen, belastet allenfalls die städtische Kläranlage mit zusätzlichen 900 Litern Wasser jährlich. Aber sie stehen – nein: starben – für eine Mentalität, die im Ergebnis Katastrophen wie jetzt an der Elbe nach sich zieht.
Kurz nach Fertigstellung dieses Beitrags erschien in der WZ (15.9.) ein Leserbrief des ehemaligen grünen Ratsmitgliedes und Umweltausschussvorsitzenden Werner Biehl. Auch er fordert den „Rückbau völlig überflüssig zugebauter Flächen“ und erwartet einen Erkenntnisgewinn durch die Flutkatastrophe an der Elbe. Darüber hinaus stellt er fest, „dass die Wilhelmshavener SPD-/CDU-Koalition in Bezug auf ihre Contra-Umwelt-Arbeit weit über die Region hinaus als einmalig einzustufen ist.“ Was sagt uns sein Brief? Erstens: Wir stehen mit unserer Analyse lokaler Umweltpolitik nicht allein. Zweitens: Grüne (Ex-)Politiker können in der (vor allem außerparlamentarischen) Opposition deutlich mehr bewegen als unterm Knebel des Fraktionszwangs durch die großen Schwester SPD.
Elfriede Griebsch hingegen schreibt am 28.9. dem “Jan”, auch im Stadtpark würde das Unkraut rausragen und man müsse die “Schandflecke” beseitigen, die die “Anlagen verschandeln”. Das kommt unserem Szenario, konsequenterweise auch den Stadtpark zu betonieren, schon sehr nahe: Kahlschlag im Landschaftsschutzgebiet!
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