Substitution
Nov 191990
 

Kranke zweiter Klasse

Kriminalisierung Drogenabhängiger führt zur Verwahrlosung

(iz) Im November fand auf Einladung der Psychosozialen Arbeitsgemeinschaft (PSAG) ein Vortrag mit anschließender Diskussion über Substitutionstherapie für Opiatabhängige statt:

Das Referat bezog sich im wesentlichen auf den Methadonbericht des Bundesgesundheitsamtes Bern. In New York beispielsweise wurden von 58.000 Patienten zwar 30% rückfällig. Jedoch war die Quote jener, deren Arbeitsfähigkeit wieder hergestellt wurde (dies beschreibt den Erfolg der Therapie), mit über 50% ungleich höher als bei anderen Therapieformen.

Entscheidend für den Erfolg sind

  • begleitende psychosoziale Betreuung
  • der Zeitfaktor (bis zu 7 Jahre)
  • die Dosierung und deren Anpassung

an den jeweiligen Zustand des Patienten. In der BRD gilt offiziell das Prinzip „Therapie statt Strafe“. Gleichzeitig werden bestimmte Drogen verboten, ohne daß dauerhaft wirksame Therapien angeboten werden. Die Kriminalisierung der Betroffenen führt zu gesundheitlicher Verwahrlosung, Überschuldung, Sekundärkriminalität. So begehen z.B. in Hamburg 2/3 aller Straffälligen ihre Delikte im Zusammenhang mit Drogen.
Bei allen anderen medizinischen Therapien ist eine Linderung der Symptome üblich, zur Verhinderung von Sekundärsymptomen und Beschleunigung des Heilungsprozesses. Warum wird dies, zumindest hierzulande, Drogenkranken nicht ermöglicht?!
In Wilhelmshaven sind ca. 600 Opiatkonsumenten bekannt, die Dunkelziffer wird etwa gleich hoch geschätzt. Es gibt hier kein offizielles bzw. legales Substitutionsprogramm.
Hierfür stehen in der ganzen BRD nur 300 Plätze zur Verfügung.
Vereinzelt verabreichen Ärzte Codein-Präparate, ohne begleitende Betreuung. Hierzu fehlt eine gemeinnützige, unabhängige Beratungsstelle.
Ein hiesiger Mediziner hatte vor ½ Jahr erste Kontakte mit Hartdrogen-Konsumenten. Als verantwortungsvoller Arzt verschaffte er sich den wissenschaftlichen Hintergrund. Nach GRIMM ist, bei Verabreichung von Codein „satt“, schon nach 1-2 Wochen eine Veränderung des äußeren Erscheinungsbildes und die Rückkehr der Persönlichkeit zu beobachten. Diese Beobachtungen kann der Arzt bestätigen, ebenfalls die Erfolgsquote von 50%. Wichtig ist, das Vertrauen des Patienten soweit zu gewinnen, daß er erzählt, wenn er rückfällig geworden ist. Das heißt: fragen, zuhören, beraten – statt einfach nur verschreiben.
Das Präparat – z.B. Polamidon – muß täglich zur gleichen Zeit unter Aufsicht des Arztes getrunken werden und erfüllt dann 24 Stunden seine Wirkung. Hierdurch hat der Patient die Möglichkeit einer festen Arbeit nachzugehen – bei Heroin müßte er vor Ablauf von 8 h alle Kraft der Beschaffung der nächsten Dosis widmen. Diese zeitliche Freizügigkeit geht mit Ortsgebundenheit einher, so fern man nicht am Reiseziel eine Arztpraxis findet, die entsprechende Betreuung leistet.
Ein Patient. konnte so auf einem Bio-Bauernhof untergebracht werden. Leben und Arbeiten mit der Natur, im gleichmäßigen Tagesrhythmus, ließen ihn so schnell genesen, daß er die tägliche Dosis der begleitend verabreichten Ersatzdroge viel rascher senkte, als vom Arzt vorgesehen.
Das naturverbundene Leben auf dem Lande ist heute nicht die Norm, in der Drogenkranke leben – die sie zu fliehen suchen, die sie erst krank gemacht hat, mit der sie nach der Genesung klarkommen sollten, ohne rückfällig zu werden.
Ein anwesender Vertreter der hiesigen Drogenberatung, welche die Substitutionstherapie nicht befürwortet, bezeichnete den beschriebenen Fall als „stationäre Therapie“. Diese Äußerung läßt außer acht, daß andere „Stationen“ meist nicht halb so erfolgreich sind wie der Öko-Hof, der wirklich Sinn an Leben und Arbeit vermittelt.
Substitution, so sagte er weiter, sei kein Allheilmittel, sei nur ein Teil der Therapie. Nichts anderes behaupten deren Befürworter, die sich für die Schaffung (und finanzielle Absicherung) von Betreuungsstellen stark machen.
Bleibt die Frage, warum Drogenkranke hierzulande schlechter behandelt werden als andere Kranke. Was ist denn eine Kur, z.B. für Herz- oder Magenkranke, anderes als eine stationäre Therapie für Opfer heutiger Umwelt- und Arbeitsbedingungen? Deren Rückfall schon einkalkuliert ist, darf doch eine Kur in regelmäßigen Abständen beansprucht werden. Und welcher Arzt, der wegen gezielter Verabreichung von Methadon oder Codein von den Krankenkassen regreßpflichtig gemacht wird, hätte ähnliches zu befürchten, wenn er die Omi von nebenan mit diversen Pilleken ruhig stellt?
Hier findet sich zumindest eine Gemeinsamkeit zwischen Drogis und „normalen“ Kranken: für psychosoziale Betreuung, die Ursachen eliminiert statt Symptome unterdrückt, ist in beiden Fällen weder Zeit noch Geld da.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top