Clear AWO?
Beschäftigte der Bezirks-AWO befürchten, dass ihr Verband scientologisch unterwandert ist
(noa) Als im Mai dieses Jahres ein anonymes Schreiben in Zeitungsredaktionen und an anderen Stellen auftauchte, in dem behauptet wurde, der Geschäftsführer des Bezirksverbandes der Arbeiterwohlfahrt, Hans-Jürgen Böcker, sei Scientologe, nahm das außerhalb der AWO kaum jemand auch nur zur Kenntnis. Im Zuständigkeitsbereich des besagten Mannes waren die Reaktionen unterschiedlich.
Neben zahlreichen Beschäftigten, denen es egal war, weil sie nicht wissen, was es bedeutet, wenn Scientology Schlüsselpositionen in Betrieben besetzt, gab es einige, die nicht weiter erstaunt waren, weil einiges in ihrem Verband sie schon vorher an scientologische Praktiken erinnert hatte. Eine dritte Gruppe schließlich beobachtet seither besorgt die Entwicklung.
Eigenartig muten z.B. Ton, Form und auch Inhalt der Dienstanweisungen an, die seit dem letzten Jahr aus Oldenburg kommen. Daß der Leiter einer Altenwohnanlage sich einen Überblick über die Entwicklung „am Markt“, also in anderen Altenheimen verschafft, ist sicher üblich. Daß jedoch jegliche Information über Mitbewerber akribisch gesammelt werden muß, jeder Zeitungsartikel über andere Altenheime eingeklebt, jeder Tag der Offenen Tür zum Ausforschen des anderen Betriebes genutzt, StellenbewerberInnen, die vorher in anderen vergleichbaren Einrichtungen gearbeitet haben, ausgefragt werden sollen, daß schließlich vierzehntätig darüber Bericht nach Oldenburg erstattet werden muß, das erinnert fatal an die Strukturen in der Scientology Church.
Ein Schwerpunkt dieser Gruppe in den letzten Jahren war es, wichtige Positionen zu besetzen. Scientologen erwerben Qualifikationen, die ihnen Stellen in Vorständen und Geschäftsführungen von Wirtschaftsunternehmen und großen Verbänden eröffnen. Wenn sie solche Stellen innehaben, beginnen sie umgehend mit der Indoktrination der Kollegen.
Die mittleren Ebenen innerhalb der SC (etwa die Leitungen der Orgs) sind ihrerseits einer unerbittlichen Kontrolle unterworfen. Wöchentlich müssen sie Bericht erstatten über den Umsatz der letzten Woche. Ist er gestiegen, wächst das Ansehen dieser örtlichen Org. Fällt der Umsatz, gibt es Druck. Stabilisiert er sich daraufhin nicht, wird die Org-Leitung ausgetauscht. (Org = Organisation: örtliche Niederlassung)
Nachdem es erst einmal ausgesprochen war und die Möglichkeit, der Verband könnte eventuell scientologisch infiltriert sein, im Raum stand und gedacht wurde, fielen kritischen Mitarbeiterlnnen weitere Dinge auf. Der Diskussionsstil des Personalchefs z.B. fühlt sich für seine jeweiligen Gesprächspartner genau so an, als wäre auch er durch den Scientology-Kommunikationskurs gegangen. Von der eigenen Position niemals abgehen, das Problem an denjenigen, der es aufwirft, zurückgeben, dabei keine Miene verziehen und keine Emotionen zeigen – Thomas Liehr praktiziert dies alles perfekt.
Kollegen, die unmittelbar mit ihm zu tun haben, z.B. Einrichtungsleiter, rennen in Gesprächen mit ihm gegen eine Wand. Im Pauline-Ahlsdorff-Haus ist man sich sicher, daß das freiwillige Ausscheiden des ehemaligen Leiters auf den Führungsstil in Oldenburg zurückzuführen sei. In einer Personalversammlung im Pauline-Ahlsdorff-Haus im September bekamen alle Beschäftigten eine Kostprobe dieses Stils. Aufgebrachte Fragen der Belegschaft schmetterte Liehr durchweg ab mit Gegenfragen wie: „Erwarten Sie, daß
ich Ihre Probleme löse?“
„Natürlich brachte er uns damit noch mehr auf, als wir es schon waren“, berichten Beschäftigte des Pauline-Ahlsdorff-Hauses. Viel besorgniserregender fanden sie jedoch die Ankündigungen zur ab 1998 geplanten Mitarbeiterkontrolle. Zwar ist die Betriebsvereinbarung „Regelung der Leistungsbeurteilung“ noch nicht abgeschlossen, doch in der Personalversammlung wurde der Fragebogen, der da zum Einsatz kommen soll, schon vorgestellt. Jährlich soll jedeR MitarbeiterIn auf Grundlage einer Befragung beurteilt werden, und zwar nicht nur in bezug auf die Leistung, sondern auch persönlich. „Es interessiert alles“, erläuterte der neue Heimleiter des Pauline-Ahlsdorff-Hauses, Uwe Wessels, und nannte als Beispiel die Akkordeon spielende Altenpflegerin, die ihr Hobby doch bei einem Heimfest auch dienstlich einsetzen könnte. Nun ist es ja wirklich nicht gefährlich, wenn ein Arbeitgeber erfährt, ob ein Mitarbeiter musiziert, aber hier könnten Dinge notiert und aufbewahrt werden, die ein Mitarbeiter als seine Privatsache für sich behalten und nicht aktenkundig machen möchte.
Helfen Sie, die Funktionsfähigkeit der Scientology zu erhalten
… Im RTC* hat jeder Generalinspektor eine Reihe von Mitarbeitern unter sich, die für die Handhabung von Beichten verantwortlich sind, die von Scientologen, die Mitarbeiter oder Teil der Öffentlichkeit sind, geschickt werden. Diese Bericht-Verantwortlichen decken jeden der drei Bereiche Ethik*, Tech* und Admin* ab.
…Die Bericht-Verantwortlichen empfangen, kategorisieren und analysieren Berichte, die dem RTC geschickt werden. Dann wird der zuständige Generalinspektor auf die Situation aufmerksam gemacht, die in seinen Verantwortungsbereich fallen und die der Handhabung bedürfen.
… Wenn Sie auf irgendeine nicht optimale Situation stoßen, die die Expansion der Scientology, die Lieferung der Technologie an andere oder gar ihren eigenen, persönlichen Fortschritt Die Brücke* hinauf behindert, dann schreiben Sie bitte einen Wissensbericht an ihren lokalen Ethik-Offizier, und schicken Sie eine Kopie an das Generalinspektor-Netzwerk. Der Wissensbericht ist eines der Werkzeuge, die Ron* uns gegeben hat, um sicherzustellen, dass nicht optimale Situationen entdeckt und gehandhabt werden, so daß Scientology und Scientologen weiterhin florieren und Erfolg haben können, um die Brücke zum OT* hinaufzugehen.“ ( Religious Technology Center der Scientology Church)
* RTC = Religious Technology Center: oberste Kommandoebene der Scientology Church; Tech = Technologie, Admin = Administation; Ron ist L. Ron Hubbard, Die Brücke und OT sh. Artikel „Wahnsinn mit Methode“
Auf der Grundlage der Niederschrift über ein Beurteilungsgespräch sollen Maßnahmen beschlossen werden, z.B. darüber, dass der betreffende Mitarbeiter eine Fortbildungsmaßnahme zu absolvieren hat. Die Frage danach, was passiert, wenn der betreffende Mitarbeiter die für ihn ausgesuchte Fortbildung nicht machen möchte, blieb auf der Personalversammlung unbeantwortet.
Was die Beschäftigten gegen Fortbildungskurse haben? Im Prinzip bestimmt nichts. Nur: Im Entwurf der Betriebsvereinbarung zur Regelung der Leistungsbeurteilung steht als eines der Ziele der Mitarbeiterbeurteilung: „Förderung und Entwicklung der Mitarbeiter/innen, ausgerichtet an den Bedürfnissen des Unternehmens und den persönlichen Wünschen und Fähigkeiten des/der Beschäftigten; hierzu gehört auch die berufliche Förderung.“ Was für eine Förderung außer der beruflichen könnte den Bedürfnissen des Unternehmens denn sonst noch dienlich sein?
Aus sämtlichen Betrieben, in denen Scientologen Schlüsselpositionen innehaben, ist bekannt, da MitarbeiterInnen zum Sciennlogy-Kommunikationskurs geschickt werden bzw. daß Fortbilder ins Haus geholt werden, die diesen Kurs mit Mitarbeitern durchführen.
Alarm war in den Bezirks-AWO-Betrieben, als alle Beschäftigten den „Leitfaden zur Qualität‘ ausgehändigt bekamen. Der erste Eindruck war: Der Text der Broschüre klingt so militärisch, und sie ist herausgegeben von der „Stabsabteilung: Qualitätssicherung“. Stabsabteilung? Solche Begrifflichkeiten gibt es nicht nur beim Militär, sondern auch bei den Scientologen. Die Alarmglocken schrillten noch lauter, als man nachlas, daß die Qualität gesichert werden soll durch „Auditierung“, durchgeführt von „Auditoren (geschultes Personal)… Die Mitglieder eines Audit-Teams dürfen nicht zu dem Bereich gehören, den sie beurteilen.“
Auditoren, die kennt man als Mitarbeiter der Scientology Church, die das Auditing durchführen. Im Glossar des Buches von Renate Hartwig „Scientology – Ich klage an!“ steht die Definition: „Von Hubbard entwickelte Fragetechnik, eine Mischung aus Verhör, Beichte und Therapieform. Soll helfen, Eindrücke wie Mißemotionen, Mißverständnisse und Geburtsängste des Preclears zu löschen. Ausgebildete Auditoren entlocken ihren Klienten persönliche Lebensdaten.“
Als dann noch KollegInnen eine Schulung zum Auditor/zur Auditorin angeboten wurde, hielten viele es für erwiesen, daß bei der AWO die Scientologen jetzt das Sagen haben.
Das ist allerdings damit noch nicht sicher. In ihrem Buch „Scientology – Die Zeitbombe in der Wirtschaft“ macht Renate Hartwig darauf aufmerksam, daß „die europaweite Qualitätsnorm zur Produkt- und Dienstleistungszertifizierung in der Wirtschaft … von Scientology als Vehikel benutzt“ wird, um sich in Betrieben festzusetzen. ISO 9001 heißt die Qualitätsnorm, der die AWO Weser-Ems sich verpflichtet sieht, und es gibt verschiedenenorts schon Betriebe, in denen „die Verwendung der Hubbard Management Technologie … ein Schlüssel zur Erfüllung der ISO 9001 Standards“ war, wie WISE, das World Institute of Scientology Enterprises, sich rühmt. Bei der ISO 9001 werden Begriffe verwendet, die bei Scientology einen festen Platz haben, wie eben z.B. der Begriff des Auditierens. Deshalb kann man aus dem Auftauchen dieses Begriffs in den AWO-Qualitäts-Handbüchern und dem Angebot auf Auditoren-Ausbildung nicht sicher darauf schließen, daß hier die Scientology Church die Feder geführt hat – man muß es aber befürchten.
Der WZ-Artikel vom 14.5.96, in dem über das eingangs erwähnte anonyme Schreiben berichtet wurde, nennt einen sehr konkreten Vorwurf: Hans-Jürgen Böcker sei eingetragenes Mitglied bei Scientology Bremen und habe mehr als 15 Mio. DM aus dem Verband geschleust und Scientology-nahen Unternehmens- und Steuerberatungsfirmen zukommen lassen. Der anonyme Schreiber war entweder gut informiert oder ein besonders dreister Lügner. Mit anonymen Schreiben hat die AWO Weser-Ems schon Erfahrungen. Unter dem Decknamen Johann Seidel lieferte ein Anonymus Ende 1988 Informationen im Zusammenhang mit den Vorgängen, die damals zur Entlassung des Geschäftsführers Haider und einer Neustrukturierung des Verbandes führten. Der jetzige Geschäftsführer Böcker habe damals (von außen, nämlich als Mitarbeiter eines Wirtschaftsprüferbüros) mitgeholfen, Haider zu „überführen“, wissen In“sider, und es gibt Leute, die sich „nicht wundern würden“, wenn das anonyme Schreiben vom Mai 96 Haiders Rache dienen sollte.
In kaum einem anderen Bereich liegen nämlich begründeter und unbegründeter Verdacht so nahe beieinander wie in diesem. Hast du einen Konkurrenten, sag doch einfach: Er ist Scientologe. Bist du Scientologe, sag doch einfach, dein Kritiker ist es auch. (Angelika Mertens, SPD-MdB an 14.3.96 im Bundestag)
Das mag man für wahrscheinlich halten oder nicht – die Hinweise, die den Beschäftigten der AWO-Betriebe (in Wilhelmshaven außer dem Pauline-Ahlsdorff-Haus das Sprachheilzentrum) aufgefallen sind, sind alarmierend genug, um den Vorstand des Bezirksverbandes zu Maßnahmen zu veranlassen, um ihren Verein zu schützen. Und dazu genügt es nicht, den Geschäftsführer zu fragen, ob er Scientologe ist, denn diese Frage wird er auf jeden Fall verneinen, sondern man sollte sich von ihm schriftlich versichern zu lassen, dass er und sein gesamtes Führungsteam (die Leiter der „Stabsabteilungen“) keine Hubbard „Admin Tech“ und keine scientologischen Schulungen in die Betriebe holen. Die beunruhigten Beschäftigten lassen sich von einem einfachen „Nein“ jedenfalls nicht beruhigen.
Sorry, the comment form is closed at this time.