Getrenntes Gedenken
Der Rat der Stadt sowie die Antifa mit dem DGB erinnerten erstmalig in zwei Veranstaltungen an die Reichspogromnacht.
(ub) Gleich zwei Gedenkfeiern zur Erinnerung und Mahnung an die faschistischen Zerstörungen jüdischer Einrichtungen und den Terror gegen die jüdische Bevölkerung vor 58 Jahren fanden am 9. November in Wilhelmshaven am Synagogenplatz statt. Der Rat der Stadt und der DGB mit dem antifaschistischen Bündnis riefen erstmals zu getrennten Veranstaltungen auf. Ein Gegenwind-Gespräch mit dem alten und neuen Oberbürgermeister Eberhard Menzel beleuchtet die Hintergründe dieser Vorgehensweise. Im Anschluß an die Kundgebung der Antifa wurde der Versuch, das Gebäude der WZ mit brauner Farbe symbolträchtig anzustreichen, nach wenigen Pinselstrichen von einem massivem Polizeiaufgebot gestoppt.
Vielleicht 25 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, unter ihnen etliche Kommunalpolitiker/innen, waren dem Aufruf des Stadtrates gefolgt und fanden sich bereits um 12 Uhr am Synagogenplatz ein. Der einzige Redner dieser ersten Gedenkveranstaltung, OB Menzel, erinnerte an das Schicksal der jüdischen Bevölkerung, als 1938 auch in Wilhelmshaven der faschistische Rassenwahn tobte, jüdische Geschäfte geplündert, eine Synagoge in Brand gesteckt und willkürlich jüdische Mitbürger „durch überlegtes und blitzschnelles Zufassen in Schutzhaft genommen und der Jahn-Halle zugeführt“(WZ vom 11.11.1938) wurden, OB Menzel erinnerte in seiner Gedenkrede auch an die politischen Vorgänge der jüngsten Zeit und kritisierte insbesondere, daß die Partei der Republikaner in einer ganzseitigen Anzeige in der „Neuen Rundschau“ ihren unverhohlenen Ausländerhaß publizieren konnte. Er forderte die anwesenden Kommunalpolitiker/innen „zum aktiven politischen Handeln“ gegen die jetzt im Rat vertretenen Republikaner auf.
Noch während die offizielle Gedenkfeier der Stadtpolitiker ablief, mobilisierte das Antifaschistische Bündnis in deutlicher Distanz zum Geschehen am Synagogenplatz mit einer Plakat- und Flugblattaktion zu einer für den späteren Nachmittag angesetzten Kundgebung. Knapp 100 Menschen (unter ihnen auch einige sozialdemokratische Kommunalpolitiker/innen, die zuvor an der 12-Uhr-Kundgebung teilgenommen hatten und damit augenscheinlich eine Spaltung des antifaschistischen Handeins nicht akzeptieren mochten) folgten diesem Aufruf und umringten den Gedenkstein auf dem Synagogenplatz, als Gudrun und Arne Klöpper an die Wurzeln des Rassismus erinnerten und anhand von Textauszügen aus einem bereits 1899 erschienen Pamphlet „Die Sünde wider das Blut“ von Artur Dinter sowie einer Hetzschrift von Julius Streicher mit dem Titel „Deutsche Volksgesundheit aus Blut und Boden“ belegten, „daß Rassismus und Antisemitismus nicht erst nach 1933 mit den Nationalsozialisten in Deutschland eine Basis fanden“ (G. Klöpper). Für die „aktiven Jugendlichen der DGB-Jugend Wilhelmshaven“ rief Kai Steinhagen dazu auf, „den Faschisten jegliche Grundlage für ihre Hetze zu entziehen“ und forderte das Verbot aller faschistischen Organisationen. „Einfach mal abwarten, wie sich die Faschisten im Rathaus machen und hoffen, daß sie beim nächstenmal nicht wieder gewählt werden“, so Steinhagen, „ändert nichts und verbreitet Resignation.“ Steinhagen verwies auf die Verantwortung der internationalen Monopolkonzerne,“ die die Massenarbeitslosigkeit als Dauererscheinung verursachen“ und damit den neuen faschistischen Organisationen den politischen Boden bereiten.
Was zunächst wie eine bauliche Verschönerungsmaßnahme an der Außenfassade der Wilhelmshavener Zeitung aussah (und aussehen sollte), entpuppte sich alsbald als eine gezielte Aktion einiger Antifaschisten. „Ein Arzt aus dem Stadtnorden, der der linksextremen Szene zugerechnet wird, und ein Wilhelmshavener, der bei der Kommunalwahl für die PDS kandidiert hatte“ (WZ vom 11.11.1996) ließen mit ihrer Malaktion Erinnerungen an das Agitprop-Theater der 70er Jahre wach werden. Für eine kurze Zeit unbehelligt begannen sie, das Mauerwerk des WZ-Gebäudes mit brauner Farbe zu bestreichen.
In einem gleichzeitig verteilten Flugblatt erinnerten sie an die Zeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft, in der sich „die WZ … als bloßes Propagandablatt der Nazis“ erwiesen hatte. Gleichzeitig zeigten sie auf, daß in den Publikationen des WZ-Verlegers Adrian die Republikaner ungestört ihren Wahlkampf mit ausländerfeindlichen Anzeigen führen konnten. Ein ungewöhnlich schnell am Ort des Geschehens und offensichtlich gut vorbereitetes größeres Polizeiaufgebot beendete die Aktion.
Entgegen der politischen Tradition der letzten Jahre hatten die Offiziellen der Stadt Wilhelmshaven auf eine gemeinsame Aktion mit allen antifaschistischen Kräften verzichtet und Tage zuvor in der örtlichen Presse zu einer separaten Gedenkveranstaltung aufgerufen. Zwar war Kennern der politischen Szene in Wilhelmshaven bekannt, daß unter anderem das Abstimmungsverhalten der Sozialdemokraten bezüglich der Aufstellung des Kaiser Wilhelm Denkmals, die Verbreitung eines Artikels der Süddeutschen Zeitung mit persönlichen Anwürfen an den OB Menzel oder auch die Beteiligung von Antifaschisten aus dem autonomen Lager an der letztjährigen Reichspogromnacht-Gedenkfeier zu Unstimmigkeiten geführt hatten. Jedoch hatte die Trennung am 9. Nov. – hier Rat der Stadt, da DGB und Antifa – bei etlichen Antifaschisten Verwunderung und Unverständnis ausgelöst. Dem GEGENWIND erläutert OB Eberhard Menzel die Bedenken
der Stadt hinsichtlich einer gemeinsamen Veranstaltung. Menzel verwies auf die noch kurz vor dem 9. Nov. unklaren politischen Verhältnisse. Laut Menzel wollte man einem politisch neu zusammengesetzten Rat mit womöglich einem/einer neuem/r OberbürgermeisterIn „die diesen Kreis (Antifa- ub) nicht kennt … nicht zumuten. in eine solche Veranstaltung zu gehen.“ Menzel auf die Frage, ob nicht auch durch Dispute in der jüngeren Vergangenheit Berührungsschwierigkeiten zwischen ihm und dem Antifaschistischen Bündnis sowie dem DGB entstanden seien: „Nein, es hat bei mir nie Berührungsängste gegeben. Es gibt allerdings seit zwei Jahren, ich weiß nicht aus welchen Gründen, immer wieder Attacken bei dieser Veranstaltung gegen die Etablierten in dieser Stadt, gegen die Stadt und gegen mich. Es spielt natürlich auch eine gewisse Rolle, dass seit Kaiser Wilhelm und all den Dingen, die sich darum gerankt hatten, sich auch gewisse persönliche Animositäten ergeben haben.“
Ob es in Zukunft wieder ein gemeinsames antifaschistisches Agieren geben wird, macht OB Menzel abhängig von der Bandbreite, in der sich das Antifaschistische Bündnis zukünftig präsentiert. Er kündigte gegenüber dem Gegenwind ein Gespräch mit dem DGB-Kreisvorsitzenden Manfred Klöpper an. Menzel: „Wenn man die Wenigen, die überhaupt noch bereit sind, sich für diese Themen zu engagieren, auch noch aufspaltet, dann ist das nicht im Interesse der Sache. Wenn das antifaschistische Bündnis als Veranstalter auftritt und die Stadt ist mit einbezogen, und dann entwickeln sich Aktionen wie jetzt passiert (Aktion vor dem WZ-Gebäude – ub) ist das natürlich problematisch. Ich möchte mit Manfred Klöpper zu einem abgestimmten Ablauf für die nächsten Jahre kommen. Wir müssen da wieder auf einen gemeinsamen Nenner kommen.“
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