Schulpolitik
Jun 022005
 

Gegenwind für Busemann

Über die niedersächsische Schulpolitik der letzten Monate

(noa) Längere Zeit haben wir es versäumt, die schulpolitische Entwicklung in Niedersachsen zu verfolgen und zu kommentieren. Es ist ja auch nicht so ganz ein lokales Thema. In mancher Hinsicht aber doch, und uns liegen viele Meldungen und Artikel der letzten Monate auf dem Schreibtisch und auf dem Magen.

Am 11. März lasen wir in der „WZ“ die Forderung des Verbandes Bildung und Erziehung nach „Gesundheitsprävention für Lehrer“ – jeder dritte Pädagoge leidet bereits an „Anzeichen von Überforderung und Resignation“, und das liege u.a. an der „unkoordinierte(n) Reformwut“ der Landesregierung.
Die Klassen sind (außer an Hauptschulen) größer geworden – das allein reicht eigentlich schon, um als LehrerIn zu leiden. Aber das ist ja nicht alles, was das Kultusministerium in den letzten Monaten angeleiert hat.
Am 13. April berichtete die Niedersachsenseite der „WZ“ von „mehr Freiheit“ für die Schulen. „130 Schulen in Niedersachsen sollen demnächst ihr Schicksal teilweise selbst in die Hand nehmen“ und damit „die Qualität ihres Unterrichts verbessern“. Allerdings: „Eine herbe Enttäuschung gab es für Busemann aber schon vor dem Auftakt. Statt der angekündigten 200 Schulen beteiligen sich nur 130 an dem Projekt. In vielen Regionen des Landes gab es gar kein Interesse.“
Das könnte vielleicht u.a. daran liegen, dass Schulen und Lehrkräfte auch schon ohne diese zusätzlichen Belastungen überfordert sind. Der CDU-Nachwuchs sieht Mängel in der Lehrerausbildung. „Die Junge Union (JU) fordert Bernd Busemann (CDU) auf, sich intensiv der Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer zu widmen (…) Zugleich warf ihnen der CDU-Nachwuchs Untätigkeit in diesem Bereich vor“ („WZ“ vom 9. April).
Und auch der Koalitionspartner erteilt dem Kultusminister eine „kalte Dusche“, wie die „WZ“ am 21. April mitteilte. „Nicht nur die Opposition attackierte ihn bei der Schuldebatte im Landtag, auch der Koalitionspartner FDP ging deutlich auf Distanz.“ Und selbst aus der eigenen Partei bekommt Busemann die Aufforderung, „auf die Reformbremse zu treten“.
Schon am 13. April hatte die „WZ“ einen Kommentar mit dem Titel „Tempo drosseln“ veröffentlicht. Marco Seng kritisiert hier das Projekt „Eigenverantwortliche Schule“ mit der Bemerkung, dass es „mit ein paar Fragebögen (…) allerdings nicht getan sein“ wird und „eine radikale Reform der bisherigen Schulstruktur“ erforderlich sein wird.
Am 4. Mai titelte die „WZ“ auf Seite 1: „Minister startet neuen Schul-TÜV“ und auf der Landesseite: „Alle drei Jahre kommt der Inspektor“. Die Schulinspektion ergänzt das Projekt „Eigenverantwortlichkeit“, ist allerdings im Unterschied zu diesem nicht freiwillig.
Laut „WZ“ vom 10. Mai beteiligt sich die IGS Wilhelmshaven am Projekt „Eigenverantwortliche Schulen und Qualitätsvergleich“. Das muss dem Kultusminister stinken – ausgerechnet eine Gesamtschule, die er ja gar nicht mag, macht dabei mit! Die IGS weiß natürlich, was sie da macht: Sie beweist, dass die gemeinsame Beschulung aller Kinder deren Leistungen steigert, während Busemann strikt auf das gegliederte Schulsystem setzt und die Selektion um zwei Jahre vorverlegt hat.
Mittlerweile gab es noch eine Neuerung aus dem Hause Busemann, weniger spektakulär angekündigt, vielleicht weil sie vermeintlich weniger wichtig ist, da sie nur einen Teil der Schülerinnen und Schüler betrifft. Busemann plant einen Erlass zur Förderung von Kindern mit Lese-, Schreib- und Rechenschwäche. Darauf haben u.a. auch Eltern in Wilhelmshaven dringend gewartet. Ein Jahr ist es jetzt her, dass Busemann bei einer Veranstaltung des Stadtelternrates Wilhelmshaven zugesagt hatte, sich um das Problem der Kinder und Jugendlichen mit Lernstörungen kümmern zu wollen (sh. Gegenwind 199). Der StER-Vorsitzende Bernd Rahlf hatte Busemann damals von einem Vater berichtet, der im Begriff stehe, sich ins benachbarte Schleswig-Holstein versetzen zu lassen, wo legasthene Kinder wegen ihrer Teilleistungsschwäche nicht sitzen bleiben müssen. Nun kündigt Busemann an, „bis zur 10. Klasse solle die Versetzung künftig nicht mehr durch solche Probleme gefährdet werden.“ („WZ“ vom 25. April) Hoffentlich kommt dieser angekündigte Erlass noch rechtzeitig für den Wilhelmshavener Jungen aus der Freiherr-vom-Stein-Schule, der bei sehr guten bis befriedigenden Leistungen in allen Fächern außer Deutsch und Englisch, wo bedingt durch seine Legasthenie Fünfen drohen, nicht versetzt werden soll!

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