Arbeitsloseninitiative
Jun 022005
 

Kommunikationsstörung

Miese Stimmung auf der Versammlung der Arbeitsloseninitiative

(noa) Am 10. Mai war Peter Lutz, Geschäftsführer der Bundesagentur für Arbeit in Wilhelmshaven, Gast bei der Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative. Es war die erste derartige Versammlung seit langem, bei der fast nichts rauskam. In einem Psychologieseminar würde sie vielleicht als Paradebeispiel für missglückte Kommunikation nützen.

Ob es daran lag, dass die versammelten Arbeitslosen Herrn Lutz schon von vornherein als Gegner sahen und ihm entsprechend voreingenommen begegneten oder ob Lutz gleich zu Beginn einen Fehler machte und damit die TeilnehmerInnen gegen sich einnahm – es war jedenfalls die ganzen zwei Stunden hindurch so, dass beide Seiten sich über rein gar nichts verständigen konnten.
Vielleicht frustrierte Lutz die Anwesenden mit seiner Abgrenzung gleich zu Beginn: Sein Amt ist nur zuständig für das Arbeitslosengeld und den Arbeitsmarkt; die Kosten der Unterkunft, die den Alg II-Empfängern am meisten Sorgen machen, obliegen einzig und allein der Stadt bzw. dem Landkreis – darauf hat die Arbeits-Agentur überhaupt keinen Einfluss. Folglich hatte es keinen Sinn, dieses Thema anzusprechen, aber vielleicht hätten viele der Versammelten genau dazu etwas zu sagen gehabt.
Wenn Peter Lutz mit dem, was er außerdem „vorweg“ sagte, den unbefriedigenden Verlauf festgelegt haben sollte, dann wäre es wenigstens schmeichelhaft für uns vom Gegenwind. Er sagte nämlich vor seinem eigentlichen Vortrag, unser Artikel „Rechtsbruch, Missbrauch, Willkür“ in der Ausgabe 207 sei völlig unzutreffend. Der Rechtsanwalt Alfred Kroll hatte in der April-Versammlung behauptet, etwa 70 % aller Alg II-Bescheide seien falsch, und dem setzte Lutz entgegen, dass nur gegen einen Bruchteil der Bescheide Widerspruch eingelegt worden sei und nur jedem fünften Widerspruch stattgegeben worden sei.
Ein Teilnehmer fragte empört, was aber mit den Widersprüchen sei, die „nebenbei“ erledigt werden, indem der Widersprechende „den Schwanz einzieht“. Dieser Einwand war schnell weggefegt: Das ist dann kein Widerspruch. Stimmt. Und leider weiß keiner, wie viele Menschen zur ARGE gehen, mündlich äußern, dass sie dies oder das an ihrem Bescheid nicht verstehen und ungerecht, falsch oder ungesetzlich finden, weiter aber nichts unternehmen, weil sie sich danach nicht trauen, dem Berater etwas zu entgegnen, ihm zu widersprechen.
„Rechtsanwendung ist Ermessenssache; Ermessen hat nichts mit ‚richtig’ oder ‚falsch’ zu tun“, belehrte Lutz die Versammlung. Insofern stimmt es natürlich, dass die von Kroll aufgestellte und im letzten Gegenwind wiedergegebene Behauptung über die falschen Bescheide unzutreffend ist. Ob das Recht so oder anders anzuwenden ist, das entscheidet im Zweifelsfall das Sozialgericht, und hier erinnerte Lutz daran, dass im vergangenen Jahr Überlegungen angestellt wurden, den kostenfreien Zugang zum Sozialgericht abzuschaffen. Ob ihm das persönlich oder von Amts wegen lieber gewesen wäre, kann man nur vermuten. Einige Teilnehmer vermuteten es tatsächlich, aber zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung zwischen Lutz und den Versammlungsteilnehmern schon so mies, dass sie alles Böse vermutet hätten.
Gut, dass wenigstens trotzdem noch ein paar wichtige Infos rüberkamen. Alles, was laut SGB III für die BezieherInnen von Arbeitslosenhilfe möglich war, gilt auch für Hartz IV, also für die BezieherInnen von Alg II (Eingliederungs- und Weiterbildungsmaßnahmen), so Lutz, und zusätzlich gibt es die 1 Euro-Jobs und Einstiegsgeld. Letzteres kann gewährt werden, wenn ein Alg II-Empfänger Arbeit aufnimmt oder sich selbständig macht. Zu Ersterem sagte Lutz (wie schon viele vor ihm, u.a. OB Menzel und Lutz’ Amtsvorgänger Müller auf früheren ALI-Versammlungen), dass der Begriff „1 Euro-Job“ eigentlich falsch sei, da man da ja nicht für einen Euro pro Stunde arbeite, weil man das Alg II, die KdU und die Heizkosten dazurechnen müsse. Und er provozierte damit wie alle anderen, die das auf ALI-Versammlungen gesagt haben, den Widerspruch von Ernst Taux, der wieder einmal erklärte, dass es nicht richtig ist, Lohn und Lohnersatzleistungen durcheinanderzubringen und dass überhaupt die Mehrbedarfsentschädigung von einem Euro pro Stunde kein Lohn sei. Wie auch immer: Geld für 1 Euro-Jobs ist für dieses und nächstes Jahr genug da, und Lutz betonte: „Ich bin dagegen, wenn 1 Euro-Jobs reguläre Arbeitsverhältnisse ersetzen.“
Das läutete die nächste Runde ein. Wie er das denn bemerken und verhindern wolle, wurde er gefragt. Klar, manches Mal wird er es bemerken und verhindern (wenn etwa ein Pflegeheim den fünften Antrag auf eine Vorlesekraft einreicht, welches Beispiel er nannte), viele Male aber nicht. Nur, dafür kann er als Ausführender des Gesetzes nichts, das liegt am Gesetz selber, und daran hat er nicht mitgewirkt.
Kurz erwähnte er die Änderung bei der Zuverdienstregelung, die jüngst der „Job-Gipfel“ beschlossen hat, ging jedoch nicht näher darauf ein. Sie wird zum 1. Juli in Kraft treten und wäre wohl das richtige Thema auf der Juli-Versammlung der ALI.
Wenn überhaupt die Gereiztheit im Raum noch steigerbar war, dann bewerkstelligte Lutz das mit Andeutungen über die Unehrlichkeit von Arbeitslosen: Lebensgemeinschaften gingen „uns gegenüber“ auseinander, sagte er (übrigens nichts Neues unter Hartz IV, das sei bei Arbeitslosenhilfe auch schon so gewesen), und dabei steige auch die Zahl der Bedarfsgemeinschaften. Als bei einer Nachfrage die in seiner Bemerkung enthaltene Unterstellung ausgesprochen wurde (ein Alg II-Empfänger trennt sich angeblich von seiner Partnerin, damit sie ihn nicht finanzieren muss), entgegnete er, dass er das nicht gesagt habe. Stimmt, explizit hat er das nicht gesagt.
Es konnte nicht ausbleiben, dass einige TeilnehmerInnen der Versammlung in den Ton von Misstrauen, Unterstellungen und Andeutungen einstimmten und Vorwürfe hinzufügten: Dass Amtspersonen allesamt (oder doch jedenfalls viele von ihnen) auf dem hohen Ross säßen und sich unangreifbar fühlten, mit ihren KundInnen arrogant umgingen und dergleichen.
Am Ende gab es nur einen Punkt, in dem eine Übereinstimmung zwischen der ALI-Versammlung und ihrem Gast hergestellt werden konnte: Sowohl die Arbeitslosen als auch Herr Lutz wünschten sich, dass die Alg II-Bescheide nachvollziehbarer wären.

Kommentar:

Wozu ein extra Kommentar,
wo mein Bericht über die ALI-Versammlung schon an vielen Stellen kommentierend geraten ist? So sehr wie an diesem 10. Mai war ich noch niemals persönlich irritiert, verärgert, empört, aber auch genervt über die unterschwelligen und offensichtlichen Animositäten und Ressentiments bei einer Veranstaltung, über die ich berichten sollte. Es war halt ein sehr missglückter Kommunikationsversuch zwischen den ALI-Mitgliedern und Herrn Lutz. Und als ich aus meiner Rolle (als Beobachterin und Berichterstatterin) fiel und einen Redebeitrag hielt, kriegte ich dasselbe ab wie die anderen im Saal, so dass ich von einem weiteren Klärungsversuch absah und den Mund wieder hielt.

Die 70 % angreifbaren Alg II-Bescheide, von denen der Anwalt Kroll berichtet, auf der einen Seite und andererseits die lediglich 823 Widersprüche bis zum 9. Mai, von denen Lutz spricht (wobei bei den abgelehnten Widersprüchen nur in 10 bis 12 % der Fälle Klage erhoben wurde), könnten durchaus beide stimmen, so gab ich zu bedenken: Der Anwalt kann nur über die Bescheide etwas aussagen, die er gesehen hat. Und es ist schon möglich, dass 70 % der Bescheide, mit denen MandantInnen in seine Kanzlei kamen, so zweifelhaft waren, dass er meinte, ein Widerspruch oder eine Klage könnten lohnen. Daraus, dass bei der Widerspruchsstelle bis zum 9. Mai nur 823 Widersprüche angekommen sind und dass viele dieser Widersprüche abgelehnt worden sind, lässt sich nicht zwingend folgern, dass alle anderen 20000 oder mehr Bescheide in Ordnung seien – viele Leute wissen nicht genügend über das Gesetz, um überhaupt auf den Gedanken zu kommen, ihren Bescheid von einem Juristen überprüfen zu lassen, viele Leute kommen vielleicht auf den Gedanken, trauen sich aber nicht. Ich kenne jedenfalls von beiden Gruppen viele.
Als Herr Lutz nach dem ersten Gedankengang, den ich äußerte, die Geste des Geldzählens machte und damit andeutete, dass so etwas hauptsächlich für den Anwalt lohnend sei, hatte ich Mühe, sachlich zu bleiben und weiterzusprechen. Nach meinem Beitrag erklärte Lutz für die, die es nicht gesehen oder verstanden hatten, seine nonverbale Botschaft mitten in meinem Beitrag: Widersprüche und Klagen lohnten hauptsächlich für den Anwalt, für den aber auf jeden Fall, da er auch dann daran Geld verdiene, wenn der Bescheid der ARGE bestätigt wird. Auf den Inhalt meines Beitrages ging er nicht ein. So sollte ein Mensch in der Position von Herrn Lutz sich auf einer öffentlichen Veranstaltung nicht verhalten!

Anette Nowak

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