Savage Rose
Jun 022005
 

Nix kapiert

(iz) Gelegentlich, wenn man die Theaterkritik von KollegInnen anderer Blätter liest, fragt man sich, ob sie im selben Stück waren. Neulich fragte ich mich aber, ob die Kollegin das Stück überhaupt angeschaut hat.

Die Rede ist von „Savage Rose“, das im Rahmen der Kampagne NEIN ZU VERBRECHEN IM NAMEN DER EHRE“ auf Initiative unserer städtischen Frauenbeauftragten Ellen Wolbergs Ende April im Jungen Theater aufgeführt wurde.

Im Anschluss unterhielt ich mich mit den beiden Darstellerinnen Heike Köber und Karin Sparschuh sowie mit Miriam Henke, die als WZ-Praktikantin über das Stück schreiben wollte. Sowohl die Schauspielerinnen als auch ich waren gelinde gesagt erstaunt über die Fragen und Aussagen der angehenden jungen Journalistin, die offensichtlich keinen Zugang zu Hintergrund und Botschaft des Stückes hatte. Im Anschluss habe ich noch längere Zeit mit ihr gesprochen und den Eindruck gewonnen, dass sie sich schon mit Islam und Koran beschäftigt hat. Um so entsetzter war ich, als ich dann ihren Artikel las (WZ vom 29.4.2005), und nicht nur Frau Wolbergs ging es ähnlich.
Nein, das Stück wurde nicht von „Terre des Femmes“ aufgeführt, sondern von der Interkulturellen Bühne Frankfurt e. V., die seit 1995 als Begegnungsstätte für Menschen unterschiedlicher Herkunft über ihre kulturellen Grenzen hinweg arbeitet. Nein, die zur Einstimmung gezeigten Bilder, eindrucksvoll untermalt mit Musik des links-oppositionellen türkischen Musikers und Komponisten Zülfü Livaneli (der z. B. auch Filme wie „Yol – Der Weg“ von Yilmaz Güney vertont hat), waren alles andere als nichtssagend. Was die dort gezeigte Flüchtlingsfrau aus Darfour mit dem Stück zu tun hat, blieb Miriam Henke unklar – mir nicht.
Zum Inhalt: Nermina, eine Kurdin, soll einen von ihren Eltern gewählten Mann heiraten. Am Tag vor der Hochzeit will sie sich von ihrer großen Liebe verabschieden. Seit Monaten trifft Nermina den jungen Mann, und sie haben sich nur mit den Augen berührt und mit Worten gestreichelt. Doch das ist schon zuviel und wird Nermina zum Verhängnis. Jemand denunziert sie bei ihrer Familie und der des Bräutigams. Ihre eigene Familie beschließt, sie nur deshalb nicht zu töten, weil das der Karriere des Bruders als Rechtsanwalt schaden könnte. Aber man ersinnt eine Strafe, die so schrecklich ist, dass Nermina sehr wahrscheinlich den Freitod vorziehen wird.
Bevor sie ihrem Martyrium tatsächlich ein Ende setzt, gelingt es ihr zu fliehen. Nermina lebt jetzt in einem anderen Land, anonym und „geschützt“ vor Angriffen auf ihr Leben, doch ihrer Seele ist die Flucht noch nicht gelungen. Nun erzählt sie einer ihrer Retterinnen ihre Geschichte und findet dabei Stück für Stück ins Leben zurück.
„Worin besteht die mysteriöse Strafe, die Nermina in den Selbstmord treiben soll?“, fragt Henke. Darin, dass sie, die zuvor geliebtes Familienmitglied war, in einen Stall gesperrt wird und man ihr jeden Tag ein frisch geschliffenes Messer bringt. Ist das Henke nicht drastisch genug? Oder hat sie nicht richtig zugehört? „Welcher Art war ihre Beziehung zu dem Sänger, der die Tragödie ausgelöst hat?“ Genau das soll offen bleiben: Ob sie mit ihm geschlafen hat, oder ob sie ihm nur zugelächelt hat – für ihre Familie ist ein schweres Vergehen.
„In dem Dialog erfährt der Zuschauer inhaltlich nicht viel mehr, als in der Ankündigung stand.“ Doch, und wie. Wenn man wirklich zuhört und zuschaut. „Gewiss müssen Verbrechen dieser Art verurteilt werden, aber man sollte sich schon die Frage stellen, ob der Weg über die Emotionen der richtige ist.“ Welcher bitte sonst? „Und ob nicht über die vielen Andeutungen beim Zuschauer letztendlich falsche Vorstellungen erzeugt werden über eine Kultur, die er nicht kennt.“ Genau die lernt er (und sie, die Zuschauerin) im Stück kennen: Die Liebe und den starken Zusammenhalt in Familien des dargestellten Kulturkreises, von dem sich unser Kultur eine Menge abgucken könnte; die Liebe und Verbundenheit zur Natur und zur Heimatregion; und gleichzeitig den schwierigen Kodex, nach dem diese Gesellschaft funktioniert und der für jedes einzelne Mitglied völlige Integration bis zu konsequentem Ausschluss bedeuten kann.
„Während der Abendvorstellung sollen einige der jüngeren ausländischen Zuschauer unruhig geworden sein.“ Ja, sind sie. Klasse, dass sie da waren, sich dieser Thematik gestellt haben, der Auseinandersetzung mit jenem Kodex, den Henke nicht versteht. „Fühlten sie sich nun in ihrer ‚Ehre’ gekränkt, oder tat es ihnen vielleicht einfach weh, zu sehen, wie ihnen auf diese Weise Dinge unterstellt wurden, für die sie nicht verantwortlich sind …?“ Nichts hat sie kapiert, die Praktikantin. Nicht die wesentliche Botschaft: Jede/r ist verantwortlich, die/der Verstöße gegen die Menschenrechte beobachtet, mitträgt, ohne dagegen aufzubegehren. „Wo warst du, Mutter?“, fleht Nermina in einem ihrer fiktiven Dialoge mit der verloren Familie. Wo war Omas schützender Rock, unter den sie als Kind immer schlüpfen durfte? Und wer war es, der ihr zur Flucht verholfen hat? Der kleine Bruder mit den großen schwarzen Augen, der brachte ihr Essen und ließ dann die Stalltür offen. Nein, in „Savage Rose“ wird alles andere als schwarz-weiß gemalt, keine Kultur, kein Geschlecht allein erhält die Schuld für das, was täglich vielfach passiert und nicht, wie Henke im Pressegespräch meinte, nur eine Ausnahme darstellt.
Und dann setzt sie noch einen drauf: „Und wie würde sich ein Deutscher beispielsweise in England fühlen, wenn man ihm einen Film zeigt, der suggeriert, alle Deutschen seien im Grunde ihrer Seele Nazis?“ Dieser Vergleich ist so was von daneben, dass er keines Kommentars bedarf – außer, dass eine intensive Auseinandersetzung mit der schwierigen Thematik mehr als eine Nummer zu groß ist für eine Praktikantin, die sich zuvor auf einer ganzen Seite über bauchfreie Mode an hiesigen Schulen auslassen durfte, aber hier offensichtlich vom Rest der WZ-Redaktion völlig im Stich gelassen wurde. So was muss doch zumindest von einem erfahrenen Redaktionsmitglied gegengelesen werden!
Von uns jedenfalls: Große Anerkennung für die ehrenamtlich arbeitende Interkulturelle Bühne, deren Darstellerinnen alles andere als amateurhaft agierten. Und großen Dank an unsere Frauenbeauftragte für ihren Mut, sich dieses wichtigen wie heiklen Themas anzunehmen.

Sorry, the comment form is closed at this time.

go Top