Ansprache von Pastor Enno Ehlers
„Wir sind hier zusammengekommen, weil Anhänger der NPD nun Wilhelmshaven als Ort ihrer Kundgebung ausgewählt haben. Nachdem dieses auch vor kurzem in Osnabrück geschah, scheint es wohl das Ansinnen der Organisatoren zu sein, die jeweilige örtliche rechte Szene zu stärken.
Diese Partei verkleistert ihr nationalsozialistisches Gedankengut nur mühsam mit einer demokratischen Tünche. So lange sie nicht verboten ist, müssen wir mühsam akzeptieren, dass dieser Aufmarsch geschehen kann. Wir akzeptieren ausschließlich die juristischen Gründe dafür.
Wir bestreiten allerdings mit allem Nachdruck, dass es irgendein inhaltliches oder gar moralisches Recht gibt, die Gedanken dieser Partei öffentlich zu verbreiten. Es ist gut und notwendig, dass wir klar dazu Stellung nehmen. Den Organisatoren sei Dank dafür gesagt.
Wir bekunden unseren Widerwillen aus verschiedenen Gründen:
Nationalsozialistisches Gedankengut basiert auf der Auffassung, dass Menschen einer bestimmten Herkunft (man spricht dort von Rasse) anderen Menschen durch Geburt überlegen seien und ein höheres Lebensrecht hätten.
Das ist falsch!
Alle Menschen sind gleich und frei geboren. Afrikaner, Araber, Vietnamesen, Europäer und Juden sind von Geburt an Brüder und Schwestern. Sie fügen sich häufig so unendlich viel Leid zu, weil nationalistisches Denken nicht überwunden wird, sondern nach wie vor eine bösartige Geisteskraft besitzt. Es wird entschieden bestritten, dass dieser Ungeist, von den Nazis bei uns wach gehalten, seine offenbare oder auch schleichende Macht ausüben darf. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Idee von der Gleichheit keine Selbstverständlichkeit ist, sondern erst in politischer Wachsamkeit und durch die Beachtung eines sorgsamen Miteinanders Wirklichkeit werden muss.
Nationalsozialistisches Gedankengut basiert ebenfalls auf der Auffassung, dass das Miteinander von Menschen verschiedener Herkunft, Kultur und unterschiedenen Glaubens nicht wünschbar und auch nicht möglich sei.
Das ist falsch!
Jegliches Zusammenleben ist zugleich schwierig und bereichernd. Das ist in Ehen und Arbeitsgruppen genauso wie zwischen den Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft. Die Geschichte zeigt sehr deutlich, dass Kulturen sich nicht gegenseitig voneinander abschotten können. Jede Kultur, auch unsere, ist schon eine Mischkultur. Wer das leugnet, beschreibt nicht die Wirklichkeit, sondern eine dümmliche Illusion.
Wer kann leugnen, dass sich Probleme des Zusammenlebens in dieser Hinsicht auch in unserer Stadt ergeben? Wer aber bietet eine Alternative zur Geltung des Rechts für alle, zur Vernunft und vor allem zur gebändigten Emotion, wenn es um diese Fragen geht? Nationalsozialistisches Denken ist zwar eine Alternative, aber eine erkennbar böse! Das Schicksal dieser Stadt muss nicht beschrieben werden, es ist sehr deutlich!
Nationalsozialistisches Denken beruht auf der Anerkennung des Führerprinzips.
Dieses Prinzip ist falsch!
Wir müssen erkennen, dass so genannte Führerpersönlichkeiten, mittlerweile auch in den Universitäten, Gefolgsleute dirigieren, die blind nachkäuen, was ihnen vorgegeben wird. Diese martialisch aussehenden und zur Gewalt bereiten Mitläufer sind nicht selten wurzellos und finden dort, in den Gruppierungen dieser Partei, eine Heimat, weil sie sonst keine haben. Sie haben häufig keinen Raum in den Herbergen unserer Gesellschaft gefunden. Wer unter uns keine Perspektiven und gültige Regeln für das Zusammenleben findet, der findet sie dort. Da soll man sich nicht wundern.
Wenn es sich dort auch anders äußert, gilt dieses auch für die meisten Mitglieder der so genannten Autonomen Gruppen, deren Vorgehen ebenfalls ganz entschieden abgelehnt werden muss. Bis hin zum Sprechverbot mit Anderen und mit Einsatzbefehlen ist man auch dort straff organisiert.
Wir sind Bürger! Bürger wachen über ihr Gemeinwesen. Die Freude an der friedlichen Sonne über der Gartenlaube ist keine Alternative zu einem politisch wachen und sorgsamen Miteinander. Der Dämmerschlaf in lieben Gewohnheiten bewahrt keine Demokratie. Wilhelmshaven lebt nun mal nicht unter der Protektion eines wohlmeinendes Kaisers, der alles so herrlich regieret. Und wir leben auch nicht mehr unter einem Kanzler, für den Ruhe die erste Bürgerpflicht ist.
Wilhelmshaven lebt von der Wachheit seiner Bürger. Diese Kundgebung ist Ausdruck dessen, sie darf nicht der einzige Ausdruck bleiben.“
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