Bildung?
Apr 012004
 

Kurpfuscher am Werk
Eine Kur ist normalerweise ein Heilverfahren. Wer kuriert wird, soll danach gesund oder mindestens gesünder als vorher sein. Begriffe wie „Rosskur“ und „Kurpfuscher“ zeigen, dass gelegentlich auch eine Verschlimmerung statt einer Verbesserung beim Patienten eintritt. Oft ist das bei „Radikalkuren“ so. „An den Schulen beginnt die Radikalkur“, war ein Artikel auf der Niedersachsen-Seite der „WZ“ vom 20. März überschrieben. Zur Schulreform haben wir in dieser Ausgabe gleich zwei Beiträge: „Wo bleibt die Bildung?“ und „Alles im Griff?“.

Wo bleibt die Bildung?

(as/ts) Jetzt ist es also soweit: Die Orientierungsstufe wird abgeschafft und die Lernmittelfreiheit gleich dazu. Da hat sich die neue Landesregierung einiges vorgenommen.

War ja aber auch längst überfällig. An der so genannten OS gab es vieles auszusetzen. Die begabten Schüler fühlten sich unterfordert und die weniger Begabten warfen schon sehr bald das Handtuch, da sie den an sie gestellten Ansprüchen nicht gerecht werden konnten. Auch die sechste Klasse mit ihren „A- B- C- Kursen“, bzw. „Eins- Zwei- Kursen“ in Englisch und Mathematik vermochte daran reichlich wenig zu ändern. Doch nun wird alles anders; kaum mit der Grundschule fertig, liegt die Entscheidung an: Hauptschule, Realschule oder doch Gymnasium? Die Erziehungsberechtigten haben die Qual der Wahl, müssen ihren Schützling schon nach vier Jahren richtig einschätzen. Das ist mitunter schwer…
Und die Lernmittelfreiheit? War einmal! Zunächst sollen die alten Buchbestände der Schulen gegen ein Entgelt an die SchülerInnen ausgegeben werden. Für sozial Schwächere soll die Ausleihe weiterhin kostenlos sein. Laut Kultusministerium sollen die Kosten pro SchülerIn eine 60 €-Grenze pro Jahr nicht überschreiten. Vom Erlös sollen die Schulen dann neue Bücher anschaffen. Was jedoch langfristig mit diesem System geschieht, bleibt im Dunkeln, es kann jedenfalls nur eine Übergangslösung sein.
Aus gegebenem Anlass machten sich zwei Schüler des Gymnasiums am Mühlenweg voller Sorge zu ihrem Direktor, Herrn Dr. Schudnagis, auf, um ihm Fragen bezüglich dieser Thematik zu stellen. Und der erwies sich als ausgesprochen auskunftsfreudig, beantwortete viele Fragen. Das GaM, wie auch alle anderen weiterführenden Schulen Wilhelmshavens, stellt sich dieses Jahr auf drei neue Jahrgänge ein. Alles kein Problem, so der Direktor, die Schule sei „gerüstet“. Sämtliche Fachräume blieben bestehen, eine Umwandlung dieser in Klassenräume würde sich sowieso nicht realisieren lassen, da weder Land noch Stadt in der Lage wären, dies zu finanzieren. Eine ausreichende Kapazität an Lehrkräften sei auch gegeben, an die OS Abgeordnete stehen ab Sommer dem GaM wieder zur Verfügung. Tritt allem zum Trotz ein Engpass auf, so werde dieser durch Neueinstellungen kompensiert. So weit, so gut.
Dr. Schudnagis begrüßt zudem die Abschaffung der Lehrmittelfreiheit. In selbst erworbenen Büchern wäre den SchülerInnen die Möglichkeit geboten, sich Notizen zu machen. Diese würden unter Umständen zum besseren Verständnis des Lehrstoffs beitragen. Weiter befürwortet er grundsätzlich das vorübergehende Ausleihsystem, gibt aber zu bedenken, dass es nicht gerecht sei, für ein noch neues, unbeschädigtes Buch die gleiche Gebühr zu erheben wie für eines in schlechtem Zustand. Also ist selbst das Ausleihsystem nicht unbedingt über alle Zweifel erhaben.
Weniger begeistert ist Dr. Schudnagis jedoch von der Einführung des Zentralabiturs im Jahr 2006. Ab dann sollen die Abiturklausuren für die SchülerInnen in ganz Niedersachsen vereinheitlicht werden. Er gibt dabei zu bedenken, dass es den LehrerInnen somit schwerer gemacht werde, die SchülerInnen optimal auf das Abitur vorzubereiten, da sie selbst nicht wissen, welche Aufgaben die Prüfung letztendlich enthält. Außerdem seien die Lehrkräfte in ihrer Freiheit extrem eingeschränkt, eigene Ideen in den Unterricht einzubringen, weil sie an einen strengen Verlauf der zu behandelnden Themen gebunden sind. Somit leide nicht nur die Motivation der LehrerInnen, sondern auch die der SchülerInnen. Andererseits stelle das Zentralabitur sicher, dass alle Prüfungen den gleichen Schwierigkeitsgrad besitzen. Somit hätten alle SchülerInnen die gleichen Chancen. Die Individualität bleibt jedoch auf der Strecke…
Also keine Frage: Das Schulsystem bedarf einer durchgreifenden Reform. Der Weg dorthin ist allerdings steinig und voller Schlaglöcher. Ob die zahlreichen Neuerungen den erwünschten Erfolg mit sich bringen, steht in den Sternen.

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