Militarismus
Feb 062003
 

Im Gleichschritt

Wilhelmshaven: Fest und treu zur Marine

(hk) Als vor 155 Jahren der Jadevertrag abgeschlossen wurde, wurde auch der Grundstein für die Zerstörung Wilhelmshavens im zweiten Weltkrieg gelegt. Wilhelmshaven war durch und durch Militär – eine zivile Seite der Stadt gab es so gut wie gar nicht.

Und so war es nicht verwunderlich, dass Wilhelmshaven ein Hauptziel der alliierten Bomberverbände wurde. Nach dem Schock der Bombenangriffe sollte so etwas nie wieder passieren – das war einhellige Meinung der Wilhelmshavener BürgerInnen und Politiker. Doch es kam natürlich ganz anders. Heute ist Wilhelmshaven wieder der Marinestandort Nummer Eins.
Dann kam die Zeit der Friedensbewegung und der Unsinn militärischer Auseinandersetzungen wurde zum beherrschenden Thema auch in Wilhelmshaven. Viele der Politiker, die heute so bedenkenlos der Marine das Wort reden, demonstrierten auch in Wilhelmshaven gegen den Rüstungswahn.

Alles vergessen?

Der große Umschwung in Wilhelmshaven fand seinen ersten sichtbaren Ausdruck in der Errichtung eines Denkmals für Kaiser Wilhelm I. im Jahre 1994 (?). Da gab es die ersten Gehässigkeiten gegen die „selbsternannte Friedensbewegung“ (OB Menzel), die gegen ein solches Denkmal anging.
Der nächste Schub kam mit der Installierung des Marinemuseums. Die Idee, ein Museum über die Geschichte der Marine und der Marinewerft wurde verworfen, die Kritiker verließen die vorbereitenden Arbeitsgruppen – Militärs übernahmen die Leitung. Heute haben wir am Südstrand ein Museum, in dem schon Kleinstkinder dem gefährlichen Charme der Kriegswaffen und bunten Fahnen erliegen. Es ist ja nicht verwunderlich, dass gerade ein solches Museum der Renner in Wilhelmshavens Museumslandschaft wurde.

Militarismus bis in die letzte Ecke

Wie tief Wilhelmshaven mit dem Militarismus verbunden ist, wurde auf dem Neujahrsempfang der Stadt Wilhelmshaven deutlich. Oberbürgermeister Menzel begann seine Rede folgendermaßen: „Drei Doppelschläge und ein Einzelschlag einer Schiffsglocke, meine Damen und Herren, zeigen uns an: es ist 11.30 Uhr, eine halbe Stunde vor Ende der ersten Wache.  (Ich möchte Sie aber gleich beruhigen: um 12.00 Uhr findet kein Wachwechsel statt!)
Geglast – wie man bei der Marine sagt – wurde mit der Schiffsglocke des Minensuchboots TÜBINGEN. Sie wurde der Stadt Wilhelmshaven vom Kommandeur der Minenstreitkräfte zur Erinnerung an das 6. Minensuchgeschwader überreicht, welches von 1969 bis 2000 in Wilhelmshaven stationiert war.
Die Minensucher sind somit ein wichtiger Teil unserer Marinegeschichte der Nachkriegszeit. Die Schiffsglocke unterstreicht die maritime Bezogenheit Wilhelmshavens und die besondere Verbundenheit zwischen Stadt und Marine. Wir werden in Zukunft bei besonderen Anlässen hier im Rathaus ‚glasen’. … Herzlichen Dank für das Anglasen sage ich Herrn Kapitän zur See Gerd Rose, Standortältester und Kommandeur des Marinestützpunktkommandos Wilhelmshaven, mit ihm begrüße ich für die Deutsche Marine Herrn Admiral Hoch, Dienstält. Offizier am Standort Wilhelmshaven und Kommandeur der Zerstörerflottille, und Herrn Admiral Kolletschke, Admiral Marinelogistik im Marineamt.“
Es fällt nicht schwer, sich bildlich vorzustellen, wie die Damen und Herren verzückt strammstehen und dem Klang der Schiffsglocke eines Kriegsschiffs lauschen.
Und so ist es auch nicht verwunderlich, dass OB Menzel auch gleich das gesamte Verhältnis zum Militär neu ordnen will. Nochmals ein Zitat aus seiner Neujahrsansprache: Lassen Sie mich zur Bundeswehr, zur Marine in Wilhelmshaven folgendes sagen: Die öffentliche Betrachtung hat hier in der zurückliegenden Zeit Fakten, vor Jahren getroffene Entscheidungen, nicht wahrhaben wollen. Dies hat dazu geführt, dass das traditionell gute Verhältnis zur Marine eine Delle erlitten hat, ich habe dies bei vielen Gesprächen in den letzten Monaten festgestellt. In einer Stadt, in der die Marine zu Hause ist, in einer Stadt, aus der sich momentan viele Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen befinden, besonders am Horn von Afrika, müssen wir wieder zur Geschlossenheit im Verhältnis zur Marine zurückkehren. Auch daran werde ich in den nächsten Monaten arbeiten. Allen Soldatinnen und Soldaten im Einsatz gelten heute unsere besten Wünsche, eine gute und gesunde Rückkehr in den Stützpunkt Wilhelmshaven. Wir sollten aber auch denen, die sich neu aufstellen in unserer Stadt, das Gefühl vermitteln, dass sie willkommen sind.
Gerade der letzte Satz dieses Zitats lässt erkennen, wie tief das Denken des Oberbürgermeisters im Militarismus verwurzelt ist. Da ziehen nicht irgendwelche Menschen einfach nach Wilhelmshaven – sie stellen sich neu auf!

Neue Feinde gefunden

Nach dem Zusammenbruch des Ostblocks als militärisches Korrektiv zur Nato trieb viele Militärs die Angst um. Die Angst um ihren Arbeitsplatz. Denn wenn kein Gegner da ist, hat man selbst ja auch keine Existenzberechtigung mehr. Ein neuer Gegner wurde dann ja auch recht schnell gefunden: das Böse! Ganz im Stile der erzkonservativen katholischen Kirche benannte der Kommandeur des Marinestützpunktkommandos Wilhelmshaven, Gerhard Rose, den Feind: „Wir müssen begreifen, dass es das Böse gibt, und dass sich das Böse sogar weiter entwickelt.“ (nach WZ vom 20.1.03)
Und gegen das Böse ist die Marine heute überall auf der Welt wieder im Einsatz – ganz im Stile der Kanonenbootpolitik Wilhelm II. patrouillieren die Schiffe der Marine an den Küsten der ärmsten Länder, um die edlen Leitmotive der westlichen Welt in die Köpfe der vom rechten Weg abdriftenden dritten und vierten Welt zu stempeln.
Mit diesem neuen Feindbild lässt sich gut leben – endlich gibt es keine Diskussion mehr darüber, ob man sich vielleicht für ein schlechtes Gesellschaftssystem ins Zeug legt.

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