Job-Center
Sep 032008
 

Haarsträubend

Der Gegenwind sprach mit Wolfgang Burkert, Geschäftsführer des Wilhelmshavener Job-Centers

(noa) Wer mal vor dem Job-Center eine Weile rumsteht, z.B. weil er auf jemanden wartet, bekommt in kürzester Zeit ganz haarsträubende Geschichten zu hören. Wir haben uns, als es uns gar zu abenteuerlich erschien, beim Geschäftsführer des Job-Centers, Herrn Burkert, persönlich erkundigt.


„Stell dir vor, die (ein Wort, das wir lieber nicht schreiben) hat mir gesagt, wenn ich nicht klarkomme, soll ich einfach einmal eine Monatsmiete nicht zahlen!“ oder „Der (s.o.) hat mir doch tatsächlich gesagt, dann soll ich eben schwarzarbeiten!“ Bei diesen beiden Beispielen schüttelte Herr Burkert nur den Kopf; dass das tatsächlich beim Job-Center vorgekommen sein soll, konnte er sich nicht vorstellen. Und tatsächlich ist es ja denkbar, dass jemand in der Erregung das, was man ihm auf dem Amt gesagt hat, ein wenig zurechtbiegt.
Wenn in einer Stube des Job-Centers Worte gefallen sind, die ein „Kunde“ so verstehen kann, mag das vielleicht an Stress und Arbeitsüberlastung eines Mitarbeiters liegen? Der Personalbestand unseres Job-Centers ist den Zahlen nach ausreichend. Da aber ein Teil des Personals statt auf Planstellen auf befristeten Jobs sitzt, gibt es Fluktuation und damit immer wieder Reibungsverluste wegen Einarbeitungszeiten, und so erklärt sich wohl das gelegentlich schwache Nervenkostüm der Beschäftigten, besonders, wenn ein „Kunde“ pampig wird.
Bei der folgenden Geschichte jedoch wurden wir Zeuge, wie Herr Burkert sein Kopfschütteln zurücknahm: Ein Mensch kommt, warum auch immer, einmal mit seinem Alg II nicht durch den ganzen Monat und bittet erfolgreich um einen Vorschuss. Da der im nächsten Monat direkt einbehalten wird, kommt er natürlich wieder mit dem Geld nicht hin und holt sich wieder einen Vorschuss. Im dritten Monat wird er sanktioniert. Und das heißt: Für drei Monate wird sein Regelsatz um 30 % gekürzt. Da auch Herrn Burkert einleuchtet, dass dieser Mensch dann erst recht nicht mit dem Geld auskommen wird, fragt er bei Herrn Peter nach und bekommt bestätigt: Doch, so etwas kann vorkommen und steht auch so im Gesetz: § 31 (4) SGB II sieht eine solche Sanktion bei „wirtschaftlicher Unverhältnismäßigkeit“ vor.
Teamleiter Herr Peter, der zum Gespräch dazukommt, erläutert den Sinn dieser Bestimmung: Wenn jemand wiederholt z.B. unverhältnismäßig hohe Handyrechnungen hat und deshalb einen Vorschuss braucht, danach aber wieder zuviel Geld vertelefoniert, kann deswegen eine dreimonatige Regelsatzkürzung erleiden. Nun, wenn jemand aber aus einem sehr vernünftigen Grund (z.B. weil er die kaputte Waschmaschine reparieren lassen musste) einen Vorschuss holt und ab dann mit seinen Ausgaben immer einen halben Monat vor dem Zahltag bleibt, muss hoffen, dass er/sie eine/n verständnisvolle/n Fallmanager/in hat.
Droht das eventuell auch einer Bedarfsgemeinschaft, die ein Kind eingeschult und dafür 300 € extra gebraucht hat? Schulbedarf ist im Regelsatz für Kinder nicht vorgesehen – das ist im Mai dieses Jahres endlich auch dem Bundesrat aufgefallen, weswegen er die Bundesregierung aufgefordert hat, hier tätig zu werden (vgl. GW 237, „Kinder haben ein Recht auf Bildung!“), und in den vergangenen Jahren wurden Anträge auf Schulkosten stets abschlägig beschieden. Nein, sagt uns Herr Burkert, für Schulkosten wird ein Darlehen gewährt. Nun, da das Darlehen natürlich in der folgenden Zeit in Teilbeträgen einbehalten wird, heißt das immer noch, dass der Schulbesuch der Kinder die Familienkasse belastet . Aber immerhin gibt es keine zusätzliche Sanktion.
Wie wir in früheren GW-Ausgaben schon in der Rubrik „Hartz IV und Recht“ berichtet haben, gab es immer mal wieder Fälle, in denen ein Job-Center einem Hartz IV-Berechtigten während eines Krankenhaus- oder Kuraufenthaltes den Regelsatz gekürzt hat – wegen „häuslicher Ersparnis“. Gegen diese Praxis gab es Gerichtsentscheidungen, weswegen das Job-Center Wilhelmshaven es dann gelassen hat. Bis 31.12.2007 hat es keine Abzüge wegen Krankenhausaufenthalts mehr vorgenommen. Nachdem zum 1.1.2008 das Bundesministerium für Arbeit die Verordnung erlassen hat, dass dieser Abzug in einem solchen Fall doch erfolgen soll, wird es wieder gemacht, wenn es sich um einen Aufenthalt von mehr als 21 Tagen handelt.
Das könnte spannend werden. Es ist ja damit zu rechnen, dass Gerichte weiterhin nach dem Gesetz und nicht nach einer Verordnung ihre Urteile finden werden. Da uns aus 2008 noch kein Präzedenzfall bekannt ist, können wir nur abwarten, bis jemand aus Wilhelmshaven ins Krankenhaus oder zur Kur geht, den Regelsatz gekürzt bekommt, Widerspruch einlegt und nach abschlägigem Widerspruchsbescheid klagt. Die beiden Herren von Job-Center sind darauf ebenso gespannt wie die Gegenwindlerin.

 

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