Demokratie geht auch anders
Die Stadt Schortens kämpft für ihren Forst
(iz) In Wilhelmshaven dürfen BürgerInnen allenfalls wählen, andere Instrumente einer demokratischen Beteiligung wie ein Bürgerbegehren oder ein von Jugendlichen geplantes Klimacamp werden systematisch unterbunden. In der Nachbargemeinde Schortens wehren sich Politik und Verwaltung gemeinsam mit den BürgerInnen gegen eine sinnlose Abholzaktion, und das Rathaus stellt die Unterschriftenlisten selbst zur Verfügung.
Die Wehrbereichsverwaltung Nord will auf Weisung der NATO im Forst Upjever eine Fläche von 60 Hektar roden, um die Einflugschneise des Fliegerhorstes der Bundeswehr zu verbreitern. Und das, obwohl der Militärstandort eher ein Auslaufmodell ist. Mit Auflösung des Jagdbombergeschwaders wurde der Flugbetrieb erheblich eingeschränkt. Der Fliegerhorst wird nur noch 14 Tage im Jahr zu Übungszwecken genutzt und den Rest des Jahres nur zur Instandhaltung. Auf der anderen Seite ist der Forst ein bedeutendes Naherholungsgebiet für die gesamte Region; zudem stehen etwa 30 Hektar der geplanten Rodungsfläche seit Januar 2008 als FFH-Gebiet (Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU) auf höchstem Niveau unter Naturschutz. Der über 200 Jahre alte Eichenbestand ist ein einmaliger Lebensraum für Tiere des Waldes. „Was im Voslapper Groden die Rohrdommel ist, ist im Upjever Forst der Mittelspecht“, so Förster Jochen Starke (WZ 2.8.).
Der Fliegerhorst Upjever wurde 1935 eingerichtet. Die heute 85-jährige Tochter des damaligen Revierförsters Liebich erinnert sich, dass schon ihr Vater damals völlig verzweifelt war: „Meinen ganzen Wald wollen sie zerstören“. (WZ 16.7.2008) Gerodet wurden damals 200 der 1000 Hektar Waldfläche. Tochter Ruth kritisiert die „seelenlose Militärbürokratie“. Ihre Lebenserfahrung macht sie misstrauisch: „Damals waren wir einem totalitären Regime ausgeliefert. Sind wir das heute immer noch, oder wieder?“
Zumindest in Schortens muss sie nicht befürchten, dass sich die örtliche Politik auch heute noch kritiklos dem Willen übergeordneter Institutionen unterwirft. „Um das einhellige Ansinnen über alle Fraktionsgrenzen hinaus zu untermauern“, traf sich der Rat der Stadt Schortens am 22.7. unter freiem Himmel im Forst Upjever zu einer öffentlichen Sitzung und verabschiedete dort einstimmig eine gemeinsame Resolution zum Erhalt des Waldes. Gleichzeitig wurde beschlossen, eine Unterschriftenaktion gegen die Abholzung unter dem Briefkopf der Stadt Schortens zu vorgenanntem Zweck durchzuführen. Die entsprechenden Listen wurden im Rathaus, Bürgerhaus und Freizeitbad ausgelegt und außerdem als Download unter http://schortens.de/files/forst_upjever.pdf bereitgestellt.
Eine Woche darauf verabschiedete auch der Rat der Stadt Jever eine Resolution gegen die Abholzung. Auch Bürgervereine und andere Organisationen ließen sich von Förster Carsten Streufert über die Pläne und deren Auswirkungen informieren und engagieren sich z. B. bei der Unterschriftenaktion. Niedersachsens Umweltminister Sander machte sich vor Ort ein Bild und sieht die Rodungspläne kritisch: „Das ist für jeden normal denkenden Menschen nicht zu verstehen“ (NWZ 15.8.). Informiert und um Unterstützung gebeten wurde auch Matthias Groote, Mitglied des Europäischen Parlaments. Zahlreiche Einzelpersonen und Gruppen beteiligen sich mit Aktionen wie z. B. Briefen an das Verteidigungsministerium am Protest, von dem sich selbst Thomas Kossendey, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, „beeindruckt“ zeigte (NWZ 2.8.). Bei einer Ortsbegehung kündigte er gegenüber den örtlichen Vertretern einen Kompromiss an. Bevor es konkrete Zusagen gibt, wird aber der Protest vor Ort fortgeführt. Inzwischen hat der grüne Bundestagsabgeordnete Thilo Hoppe Verteidigungsminister Jung aufgefordert, seine Position darzulegen.
Wie uns die Stadt Schortens mitteilte, werden Anfang September die bisher gesammelten knapp 4.000 Unterschriften gegen die Abholzung an das Bundesministerium der Verteidigung geschickt. Die Sammlung läuft aber weiter und beschränkt sich nicht auf BürgerInnen der Anliegergemeinden des Forstes, auch hier in Wilhelmshaven können Unterschriften gesammelt und an die Stadt Schortens weitergeleitet werden!
Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird: Der Protest gegen die Abholzung des Forstes, der sich quer durch alle Interessens- und Altersgruppen und politischen Fraktionen zieht, ist beispielhaft. Und sollte auch andernorts dazu ermutigen, alle Register zu ziehen, die unser demokratisches System zulässt, statt sich von vornherein „der Obrigkeit“ zu beugen.
Weitere Informationen unter http://www.schortens.de und http://www.upjever-forst.de.tl/
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