Sanktionen?
– nicht ganz so beliebig!
(noa) Zwei ziemlich aktuelle Gerichtsbeschlüsse* gibt es zum Thema Sanktionen. Einen von ihnen (Az: S 46 AS 1423/08 ER) erwirkte im August ein Wilhelmshavener Alg II-Empfänger beim Sozialgericht Oldenburg gegen das Job-Center Wilhelmshaven. Aus ihm geht hervor: Wird eine Sanktion nicht innerhalb von 3 Monaten nach Bekanntwerden des Sanktionsgrundes verhängt …., bestehen Zweifel, ob überhaupt noch sanktioniert werden darf.
Der betreffende Arbeitslose hatte eine Arbeitsgelegenheit (sog. Ein-Euro-Job) am 2. April abgebrochen. Am 21. April sandte ihm das Job-Center ein „Anhörungsschreiben“. Der Arbeitslose gab am 8. Mai seine Stellungnahme zu der beabsichtigten Sanktion ab. Am 17. Juli schließlich verhängte das Job-Center seine Sanktion in Form einer Regelsatzkürzung für drei Monate.
Das Sozialgericht Oldenburg fand den Zeitraum zwischen Sanktionsgrund (Abbruch der Maßnahme) und Verhängen der Sanktion zu lang. Drei Monate, so das Gericht, sind „angesichts der verbreiteten Zeitabläufe in öffentlichen Verwaltungen“ praxisnah und angemessen – dreieinhalb Monate gehen nicht. Damit ist zunächst einmal die Sanktion hinfällig; die Regelsatzkürzung darf nicht vorgenommen werden.
Die Job-Center unterliegen dem „Controlling“, wie es auf Neudeutsch heißt, und neben anderen Verfahren und „Erfolgen“ wird die Sanktionsquote „controlled“. Da ist es für ein Job-Center blöd, wenn eine Sanktion wegen so einer Verzögerung platzt. So hat das Job-Center Wilhelmshaven in diesem Fall noch versucht, den Zeitverzug zu begründen: „Hier wendet sich der Antragsgegner auch gar nicht gegen eine solche Dreimonatsfrist. In seinem Widerspruchsbescheid macht er vielmehr geltend, dem Antragsteller habe gemäß § 24 SGB X Gelegenheit gegeben werden müssen, sich zu der beabsichtigten Entscheidung zu äußern. Seine Stellungnahme sei am 08.05.2008 eingegangen, so dass der Bescheid über die Festsetzung der Sanktion am 17.07.2008 innerhalb von 3 Monaten erfolgt sei.“ Naja. Das Sozialgericht hat eine andere Auffassung zum Begriff „unverzüglich“: „Der Antragsteller brach die Maßnahme am 02.04.2008 ab. Bereits zweifelhaft ist, ob der Zeitraum von nahezu 3 Wochen, nach dem das Anhörungsschreiben vom 21.04.2008 erging, noch als angemessen angesehen werden kann.“ (Das wäre ja mal ein interessantes Experiment: auf ein Anhörungsschreiben einfach nicht reagieren – dann würde die Behörde logischerweise die Sanktion auch niemals verhängen, oder?)
Der andere Beschluss (Az: S3 V 1605/08) erging im Juni am Verwaltungsgericht Bremen. Eine erwerbslose Frau hatte eine Arbeitsgelegenheit abgebrochen, hatte eine Absenkung des Regelsatzes um 30 % erlitten und gegen diese Sanktion Widerspruch eingelegt. Sie machte geltend, dass sie bei der AGH gemobbt worden sei und zudem eine Tätigkeit auf dem regulären Arbeitsmarkt aufnehmen konnte. Ihr wurde schon während der Probezeit wieder gekündigt, so dass sie schnell wieder auf die Leistungen nach dem SGB II angewiesen war.
Ein sehr interessanter Aspekt dieses Falles ist: Der Träger der AGH, die diese Frau abbrach, leugnete das Mobbing, doch das Gericht hielt dem entgegen: „Ob das Verhalten der Kolleginnen tatsächlich als Mobbing zu bewerten ist, dürfte unerheblich sein. Entscheidend ist vielmehr, dass die Antragstellerin durch eine Fortführung der Arbeitsgelegenheit eine weitere Verschlimmerung ihrer Leiden befürchten musste und tatsächlich befürchtete.“ Die Regelsatzkürzung wurde auch in diesem Fall vom Gericht aufgehoben.
*) Beschlüsse gibt es in Eilverfahren. In solchen Fällen folgt jeweils (sehr viel später) das Haupt- oder Hauptsacheverfahren, das dann mit einem Urteil endet. In den meisten Fällen wird der Beschluss des Eilverfahrens vom Gericht des Hauptverfahrens bestätigt. Ein Eilverfahren strengt man an, wenn man z.B. die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs erwirken will.
Auch am Landessozialgericht hat, einer Pressemitteilung der Landtagsfraktion der LINKEN vom 08.08.08 zufolge, die Anzahl von Klagen von ALG-II-Empfängern im ersten Halbjahr drastisch zugenommen. „Was der Staat durch Hartz IV an Sozialleistungen einspart, wird für Bürokratie und Gerichtskosten verpulvert“, sagt Patrick Humke-Focks, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag. Das Landessozialgericht habe zahlreiche neue Richter sowie weiteres Personal einstellen müssen, um die zunehmende Klageflut von Hartz-IV-Empfängern bewältigen zu können. „Die Erschaffer der Hartz-Gesetze wollten mit ihren Gesetzen eine signifikante arbeitsmarktpolitische Wirkung zu erzielen. Bei den Sozialgerichten haben sie ihr Ziel erreicht: Es gibt viele neue Richterstellen“, sagt Humke-Focks.
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