Ungetrübte Badefreuden?
Eine Nachlese von Gisela Gerdes
Bedrohen die Fäkalieneinleitung und zunehmende Industrialisierung am Jadebusen den Tourismus in Wilhelmshaven? Dieses Thema diskutierten Frau Monika Giesche-Emmerich (Bürgerinitiative Die Kaiserlichen KanalarbeiterInnen), Frau Susanne Bauermeister (FDP), die Herren Werner Biehl (Bündnis 90/Die Grünen), Raimond Kiesbye (Touristik und Freizeit GmbH), Dr. Jens Graul (Stadtrat und Umweltdezernent) sowie als Moderator Otmar Willi Weber während der Sendung ‚Nordwestradio unterwegs’ am 05.05.2011 im Wattenmeerhaus.
Ähnlich wie Trauben, die bei der ersten Lese übrig blieben, sollen hier einige Worte der Veranstaltung, die hängen blieben, nachgelesen werden.
‚Wahrnehmungsproblem’: Davon sprach der Umweltdezernent, ohne auszuführen, wer ein solches haben könnte und womit. In Assoziation mit dem Fäkalienproblem am Südstrand liegt es nahe, an visuell nicht wahrnehmbare fäkale Bakterien, Viren und Einzeller in den Ausscheidungen zu denken, die immer noch, trotz Reduzierung, bei Regen an den Badestrand entlassen werden, ohne den Weg über die Kläranlage zu nehmen. Früher war das mit der Wahrnehmung etwas anders. So warnten wir als Kinder, wenn wir zur Sandbank schwammen, vor im Ebbstrom treibenden geformten „Wachtmeistern“. Heute ist die Wahrnehmung solcher fäkaler Produkte im Badegewässer schon allein deshalb problematischer, weil sie durch das inzwischen eingebaute Feinsieb gequirlt werden. Das Feinsieb wird als eine der Maßnahmen der 50-%-Reduktion der Einleitungen gelobt. Es hat zwar keine Bedeutung für die Zurückhaltung der mikroskopisch kleinen Fäkalkeime, hält aber immerhin grobe Teile zurück und hat somit ästhetischen Wert.
Der Umweltdezernent knüpfte wahrscheinlich an seine ehemalige Aussage an (sinngemäß): wer’s nicht weiß, kann’s auch nicht wahrnehmen. Wer hat schon ein Mikroskop, um ausgeschiedene Darmbewohner wahrzunehmen. Es sei denn, sie verursachen bei Badenden gesundheitliche Probleme, deren Wahrnehmung im Bereich der Haut, Atemwege, Augen oder des Magen-Darm-Traktes dann allerdings recht unangenehm sein kann.
Verantwortung, Ehrlichkeit, zwei weitere Worte, die in der Diskussion fielen: Es zeugt nicht von Verantwortung, Gefahren durch Abwasser am Badestrand herunterzuspielen. Es ist nicht ehrlich, gute Wasserqualität vorzugaukeln, wenn dafür Daten ohne zeitlichen Bezug zu einer Einleitung verwendet werden. Es ist nicht ehrlich, die „gute Badequalität“ des Südstrandes in Presse und sonstigen Verlautbarungen zu loben, wenn es keine adäquaten Untersuchungen über den Zustand des Badestrandes während und kurz nach einer Einleitung gibt. Es ist nicht ehrlich und entspricht auch nicht den Vorschriften, den Strand nach einer Einleitung wieder zum Schwimmen freizugeben, ohne zuvor durch Beprobung Gewissheit zu erlangen, dass die Konzentration der gefährlichen Keime wieder unter den vorgeschriebenen Grenzwerten ist. Die Diskussion um die Einleitungen reizt seit 1976 (Bau der Kläranlage) zu falschem Zungenschlag in Presse und Behörden (nur Regenwasser!).
Reduzierung, ein anderes Wort, wurde unisono von den Vertretern der Stadt und der stellvertretenden Kreis- und Fraktionsvorsitzenden der FDP genutzt. Man feierte die 85-%ige Reduzierung der Einleitungen (50% bereits in erster Ausbaustufe letztes Jahr, eine geplante zweite Druckrohrleitung zur Kläranlage werde zukünftig weitere Reduzierungen bringen). Leider blieb unklar, was verringert wird: Einige Bürger glauben denn auch, dass es der Anteil des Schmutzwassers am Mischwasser sei.
Hierzu gibt es ein Zitat aus dem Beitrag „Lügen mit Statistik“: „Die häufigste statistische Lüge ist das absichtliche Vermischen von Anzahl und Anteil“. In unserem Beispiel reichen schon die verkürzte Sprache und der Zauber der Zahlen (50-85%) aus, um die Frage nach der Bezugsgröße der Berechnungen zu vergessen. Diese ist, wie eine Präsentation der WEB/TBW ausführt, die Anzahl der Abschläge pro Vorjahr. Kommt es zur Einleitung, werden somit Badende immer noch von 100% belastetem Mischwasser tangiert, sofern sie ins Wasser gehen, weil sie das Warnsystem nicht (er)kennen, das WTF aber, wie Herr Kiesbye betonte, „im Griff habe“.
Der Jubel über die 50 bzw. 85%-Reduktion lässt zudem vergessen, dass der unberechenbare Wettergott ein Wörtchen mitzureden hat. Fiel im Jahr 2009 eine Regenmenge von 905 mm, so im Jahr 2010 nur von 772 mm. Das relativiert die Aussage, dass die 50%-Reduktion im Jahr 2010 allein ein Resultat der Kanalbewirtschaftung und des Feinsiebes sei. Ein weiterer Aspekt spiegelt die Situation der Badenden realer wider als die glättenden Jahreszahlen: die Verteilung der Einleitungen im Jahr. So lag im Jahr 2010 fast die Hälfte der Einleitungen in der Badesaison.
Mischungsverhältnisse: Der Umweltdezernent führte aus, dass das Abwasser stark verdünnt, das Mischwasser somit nur schwach belastet sei. Vorschrift sei ein Mischungsverhältnis von maximal 1:7. Zumeist sei es am Banter Siel ohnehin größer (hierzu muss allerdings gesagt werden, dass es überhaupt keine realen Messungen der Mischungsverhältnisse am Banter Siel gibt; wie uns von der WEB gesagt wurde: es handelt sich um rein technische Werte).
Reale Mischungsverhältnisse wurden an anderen Orten (nicht WHV) empirisch ermittelt. Dabei zeigte sich, dass sich gefährliche Situationen für Badende durch rasch wechselnde Mischungsverhältnisse zwischen Regen- und Abwasser ergeben, bedingt durch Wechsel der Intensität, Dauer und Häufigkeit des Regens sowie plötzliche Regen nach längerer Trockenperiode (wie wir sie z.B. im April/Mai d.J. hatten). Resultate sind erhebliche Schwankungen der Konzentrationen fäkaler Keime in Mischwässern. Bei uns werden solche Schwankungen den Schwimmern, die von der braunen Soße umflossen werden, nicht mitgeteilt (wer’s nicht weiß, kann’s auch nicht wahrnehmen), Vorschriften oder Worthülsen wie „Es geht alles nach Recht und Ordnung“ können aber das Nachdenken nicht ersetzen. Sich auf statistische Angaben zum Mischungsverhältnis zu verlassen, hilft ebenso wenig wie der Blick ins Wasser auf der Suche nach Bakterien.
Worum geht es den Behörden und Politikern eigentlich? Um den realen Schutz der Badenden vor Fäkalkeimen aus der städtischen Kanalisation, oder um die Absicherung durch allgemeine Vorschriften bzw. statistisch geglättete Kurven? Mir scheint, dass, ähnlich wie Ringelnatz es in seinem Gedicht über Logik meisterhaft erreichte (siehe Kasten unten), verschiedene Ebenen von Logik so vermischt werden, dass der Bürger nicht mehr zwischen Soll und Ist, ideeller und realer Wirklichkeit unterscheiden kann und schließlich bereit ist, alles zu glauben, was an Pseudo-Argumenten vorgebracht wird.
Kumulative Prozesse: Dieser Begriff fiel im Zusammenhang mit der Frage nach der Belastung der Jade. Fakt ist: Die Jade ist einer Vielzahl unterschiedlicher Belastungen ausgesetzt (siehe Ausbau und Betrieb des JadeWeserPort, Schiffsemissionen, Verschwenkungen der Fahrwasser, Ausbaggern der Rinnen und Zufahrten, Sandabbau, Verklappungen ungeeigneten Bodenmaterials, Resuspension ab- und eingelagerter Altlasten, Abwasserfrachten, Nährstoff- und Schadstoffzufuhren, Hormone aus tierischen und menschlichen Abscheidungen, Niederschläge aus Schornsteinen, schadstoffbelastete Abwässer aus Kraftwerken, Industrie und kommunalen Anrainern, Aufheizungen des Gewässers durch die Kraftwerke, Soleeinleitungen aus den Kavernierungen). Leider bewerten Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht die wechselseitigen Einflüsse und Rückkoppelungen (synergistischen Effekte) der Einzelmaßnahmen. Partikularistische Bewertungen gaukeln ökologische Unbedenklichkeit vor, der gesamtökologische Zustand bleibt außen vor. Der niedersächsische Umweltminister (FDP) konterkariert die Ursachen des schlechten ökologischen Zustandes der Jade durch Schuldzuweisung an die Landwirtschaft und ‚vergisst’ den großindustriellen Ausbau.
Ökodilettantismus aus dem Munde von Entscheidungsträgern ist gefährlich für die natürliche Umwelt. Mit Bezug auf die o.g. Diskussion nur so viel dazu: Selbst wenn ein Monitoring ausweist, dass sich Einzelparameter des Wasserkörpers nicht signifikant ändern, ist das noch nicht aussagekräftig für den ökologischen Zustand der Jade als Küsten- und Übergangsgewässer, das seit längerem ökologisch nur noch mäßig bis unbefriedigend bewertet wird.
Bürgerrechte: ein Wort, das in den Leitparolen der FDP auftaucht und in der o.g. Diskussion genutzt wurde, um Bürger zu verteidigen, weil sie zur Finanzierung der Optimierung des Abwassersystems der Stadt mit Abgabenerhöhungen zu rechnen hätten. Der mahnende Zeigefinger richtete sich auf die Bürgerinitiative der Kaiserlichen KanalarbeiterInnen, die seit fünf Jahren Beschwerde gegen das Fäkalienproblem am Südstrand führt. Derartig dreiste Forderungen seien unnötig; Frau B.: „Wir sind doch schließlich in Deutschland“! Was sollte dieser Satz ausdrücken? Weil wir in Deutschland sind, sei offene Kritik an den Versäumnissen von Politik und Verwaltung, an Beschönigungen, dem Verschweigen von Tatsachen und den Falschinformationen unnötig? Der Obrigkeit sei zu glauben, dass alles gut sei, da ja das Entwässerungssystem den Regeln der Technik entspräche, das Mischungsverhältnis statistisch der Vorschrift und die Badewasserqualität trotz Einleitungen einwandfrei sei? Schade, wenn das Wort Bürgerrecht derartig klein geredet wird.
Logik
Von Joachim Ringelnatz
Die Nacht war kalt und sternenklar,
da trieb im Meer bei Norderney
ein Suahelischnurrbarthaar.
Die nächste Schiffsuhr wies auf drei.
Mir scheint da mancherlei nicht klar,
man fragt doch, wenn man Logik hat,
was sucht ein Suahelihaar
denn nachts um drei am Kattegat?
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