Alles neu macht der Mai
Die ALI informierte über Neuregelungen für Erwerbslose
(noa) Nach ausgiebiger Information über das Bildungs- und Teilhabepaket im März und April widmete sich die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland (ALI) in ihrer Monatsversammlung am 10. Mai den anderen gleichzeitig verabschiedeten Neuregelungen des SGB II.
Verabschiedet zum 01.04., in Kraft tretend aber zu unterschiedlichen Daten, bergen diese Neuregelungen wie fast alle vorher reichlich Sprengstoff und werden dazu beitragen, dass die Gerichte weiterhin viel zu tun haben. Nicht nur die Sozialgerichte – auch das Bundesverfassungsgericht wird sich wieder damit befassen müssen.
Rückwirkend zum 01. Januar ist die Neufestsetzung des Regelsatzes in Kraft getreten. Der heißt jetzt übrigens Regelbedarf (das Wort ist eine Lüge in sich) und ist, wie wohl alle mitbekommen haben, für eine allein lebende Person um 5 Euro auf 364 Euro gestiegen. Zur großen Freude vieler gab es im Mai eine Nachzahlung. Und die war höher als die erwarteten 25 Euro (5 mal 5 Euro), denn auch die Warmwasserpauschale (für einen Erwachsenen 6,47 Euro/Monat) ist mit der Neuregelung zum 01.01. entfallen.
Für Kinder sind geringere Regelbedarfe ermittelt worden, und so werden sie auch nicht in den Genuss der jährlichen Anpassung an die Nettolöhne (sollten diese steigen) kommen, denn jede Erhöhung wird mit dem verrechnet werden, was sie jetzt angeblich zuviel haben.
Die neuen Sätze (pardon: Bedarfe) sind jetzt wie folgt:
Eine erwachsene Person, wenn sie allein lebt, 364 Euro; als Teil einer Bedarfsgemeinschaft nur 328 Euro, 18- bis 25-Jährige 291 Euro, 14- bis 18-Jährige 287 Euro, 6- bis 14-Jährige 251 Euro, unter 6-Jährige 215 Euro.
Eine neue Berechnung, nachvollziehbar und transparent, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 09. Februar 2010 gefordert hatte, ist nicht erfolgt, und es ging in den Verhandlungen zum Schluss auch nicht um die Frage, was ein Mensch tatsächlich zum Leben braucht.
Und so empfehlen die Erwerbsloseninitiativen, gegen die Bescheide juristisch zu kämpfen, damit das Bundesverfassungsgericht für seine Befassung mit der fehlerhaften Umsetzung seines Urteils Futter bekommt. Ein solches juristisches Vorgehen beginnt mit einem Widerspruch, und wie der aussehen könnte, stellen wir hier dar.
Musterwiderspruch
Name, Vorname, BG-Nummer
Straße, Hausnummer
Postleitzahl, Ort Datum
An das Job-Center Wilhelmshaven
Herderstraße
26382 Wilhelmshaven
Widerspruch gegen den Bescheid vom……….
Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren,
ich beantrage, den Regelbedarf neu festzusetzen und bei der Neuberechnung die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtsurteils vom 9. Februar 2010 zu beachten.
Begründung:
Der Widerspruch richtet sich gegen die Höhe der im Bescheid genannten Regelleistung. Denn diese reicht nicht für die Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe ermöglichen würde.
Damit genügt die Regelleistung nicht den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 9. Februar 2010 an die Ermittlung eines verfassungsgemäßen Anspruchsumfangs gestellt hat.
Das Bundesverfassungsgericht forderte, dass der Regelbedarf in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht zu bemessen ist.
Insbesondere folgende Punkte widersprechen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts:
Die gewählte Statistik- und Verbrauchsmethode wurde mit anderen Methoden der Bedarfsermittlung vermischt, mit der Folge, dass es zu erheblichen Bedarfsunterdeckungen kommt.
Bei den für die Ermittlung relevanten Einpersonenhaushalten wurde die Stichprobe der Referenzgruppen durch Zirkelschlüsse verfälscht. So wurden beispielsweise die verdeckt Armen nicht aus der Stichprobe herausgenommen.
Die Senkung der Erfassung des Verbrauchsverhaltens der in der Einkommensskala unteren 20 Prozent auf das der unteren 15 Prozent wurde nicht sachgerecht begründet.
Diese Fehler machen die neu festgesetzten Regelbedarfe ungültig.
für Bedarfsgemeinschaften, in denen Kinder leben, kann zusätzlich in der Begründung angeführt werden:
In Bezug auf Kinder und Jugendliche ist nach allgemeiner Einschätzung von Sachverständigen die Datengrundlage nicht geeignet zur Ermittlung der spezifischen Bedarfe von Kindern und Jugendlichen, weil die Referenzgruppe zu klein ist, um seriöse Aussagen zu machen.
Eine Expertise des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund weist nach, dass unter realistischen Annahmen eine ausreichende, geschweige denn gesunde Ernährung für Kinder und Jugendliche mit den hierfür vorgesehenen Mitteln nicht möglich ist.
Zum 01. Juli wird eine geringfügige Änderung der Freibetragsregelung für Erwerbsfähige in Kraft treten. 100 Euro darf man ja ohne Abzug hinzuverdienen. Und die 20 % Selbstbehalt bei einem Zuverdienst von 100 bis 800 Euro sind ausgeweitet worden auf 100 bis 1000 Euro, was vom gelben Koalitionspartner in der Berichterstattung darüber als Anreiz zum Arbeiten bezeichnet wurde. Es betrifft tatsächlich nur sehr wenige Hartz IV-Berechtigte, denn wenn die überhaupt einen Zuverdienst erzielen, dann haben sie im Allgemeinen nur Minijobs (400 Euro) oder Midijobs (800 Euro). Aber hier hat der Gesetzgeber einen Grund für Verfassungsklagen eingebaut: Diese Regelung tritt, wie gesagt, zum 01.07. in Kraft. Jedoch nur für die, deren Bewilligungszeitraum mit dem 01.07. beginnt; für die anderen beginnt die Gültigkeit dieser Gesetzesänderung mit dem Beginn der Gültigkeit des nächsten Bescheides. D.h.: Erwerbslose bzw. Aufstocker, deren Bewilligungszeiträume jeweils am 01.12. und 01.06. beginnen, bekommen diese paar Euro fünf Monate lang nicht. Und da stellt sich die Frage, ob ein Gesetz, das den Gleichheitsgrundsatz unserer Verfassung missachtet, überhaupt sein darf. Irgendjemand von den wenigen Betroffenen wird hoffentlich dagegen klagen, so dass diese Frage früher oder später beantwortet wird.
Mit Sicherheit nicht verfassungsgemäß, weil den Gleichheitsgrundsatz verletzend, ist die Streichung der Möglichkeit der Überprüfung aller Bescheide für die vergangenen vier Jahre. „Das ist eine Riesensauerei!“, schimpfen die Berater der ALI. Warum?
Es geht um 44 SGB X über die „Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes“, der in Absatz 1 bestimmt: „Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.“ Dieser Paragraf ist im SGB X unverändert geblieben. Aber SGB II (=Hartz IV) und SGB XII (Sozialhilfe) wurden dahingehend geändert, dass die vier Jahre Rückwirkung auf ein Jahr reduziert wurden. Im SGB II § 40 liest sich das so: „(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 Absatz 4 Satz 1 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt.“ Für Arme wurde also ein Recht stark eingeschränkt, das andere Menschen noch haben. Und das passt ganz bestimmt nicht zusammen mit dem Grundsatz, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind.
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