Südzentrale
Jun 292011
 

Die fünfte Chance

Der Kampf um die Südzentrale ist noch nicht verloren

(iz) Mit der Rodung der Gehölze rings um die Südzentrale im Februar schien das Schicksal des einzigartigen Baudenkmals besiegelt: Den Kettensägen soll zeitnah die Abrissbirne folgen. Doch die Bürgerinitiative zur Rettung der Südzentrale kämpft bis zuletzt. Mitte Juni trafen sich erneut namhafte Fachleute und engagierte BürgerInnen zu einem Symposium, um verbliebene Chancen zum Erhalt des Gebäudes auszuloten.

Eingeladen hatten das “Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale” und die Oldenburgische Landschaft. Über 100 Interessierte drängten sich im Sitzungsraum des Marinemuseums. Nicht vertreten waren die Spitzen aus Rat und Verwaltung der Stadt. Dabei war in der Ratssitzung wenige Tage zuvor über das Symposium gesprochen worden, es gab Ankündigungen in der Presse, und im Stadtgebiet waren 5000 Einladungskarten verteilt worden.

Zunächst wurden alle Fakten und Erkenntnisse zusammengetragen, die in der bisherigen Auseinandersetzung um das Baudenkmal eine Rolle spielten. Auf dieser Grundlage wurden am Nachmittag die notwendigen Schritte diskutiert. Da die Zeit drängt, wurden zwei Sofortmaßnahmen beschlossen:

  • eine Resolution zum Erhalt der Südzentrale (siehe Kasten)
  • die Gründung eines gemeinnützigen Vereins, der im Unterschied zum bisherigen Forum rechtsfähig ist, offizielle Sprecher entsenden und Spenden sammeln kann.

Resolution Südzentrale Wilhelmshaven

Mit dem folgenden Text werden ab Ende Juni (auch auf dem „Wochenende an der Jade“) Unterschriften zum Erhalt der Südzentrale gesammelt:

Gegen Abriss, für Erhalt!
Die Südzentrale ist ein unwiederbringliches Kulturdenkmal der Gründungsgeschichte der Stadt Wilhelmshaven und ein Industriedenkmal von internationalem Rang. – Der Abriss muss verhindert werden.
Wir fordern die politisch Verantwortlichen auf, umgehend das Gespräch mit dem Eigentümer der Südzentrale aufzunehmen.
Wir fordern einen öffentlichen Diskurs über das Schicksal der Südzentrale unter verantwortlicher Mitwirkung der städtischen Verwaltung.
Wir fordern die erneute Überprüfung der Grundlagen der erteilten Abrissgenehmigung.
Wir fordern auf, den Eigentümer auf die Pflicht zur Sicherung und Erhaltung des Baudenkmals hinzuweisen.
Mit heutigem Datum, dem 18.6.2011, befindet sich ein Verein zum Erhalt der Südzentrale in Gründung, der es sich zur Aufgabe macht, das bürgerschaftliche Engagement zum Erhalt der Südzentrale zu vertreten und konstruktiv Planungen, Ideen und Mitteleinwerbung zu diesem Zwecke zu betreiben.

 Bemerkenswert hochkarätig

Nicht zum ersten Mal sind Fachleute aus ganz Niedersachsen und darüber hinaus an einem Wochenende nach Wilhelmshaven gekommen, um ihre Kompetenz für den Erhalt der Südzentrale einzusetzen. Das sollte nicht nur unseren Politikern zu denken geben: Wenn die Fachprominenz einen solchen Aufwand betreibt, muss ihnen die Südzentrale persönlich ein besonderes Anliegen sein.

Martin Thumm, Prof. für Architektur, Baugeschichte und Baudenkmalpflege an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) Hildesheim, moderierte das Symposium. Corinna Nickel, Motor des Forums Südzentrale, verlas den Vortrag des erkrankten Jörg Michael Henneberg (stv. Geschäftsführer der Oldenburgischen Landschaft) mit dem Titel „Wilhelminische Zweckarchitektur und die Bedeutung der Südzentrale für diese Zeit“. Als Mitbegründer der „Gesellschaft für wilhelminische Studien“ hält Henneberg den Erhalt des „bedeutenden Ensembles der Moderne“ (KW-Brücke und Südzentrale) für unverzichtbar: „Die Kaiser-Wilhelm-Brücke braucht die Kulisse der Südzentrale!“

Vor allem die Politiker haben die Bodenhaftung verloren, die glauben nur noch an die Globalisierung. Sie sehen nicht, wie sehr die Menschen an den alten Bauten hängen und wundern sich dann über die Proteste.
Gottfried Kiesow, Vorsitzender der Deutschen Stiftung Denkmalsschutz

Als Ortskuratorin der deutschen Stiftung Denkmalschutz machte Micaela Schweers-Sander deutlich, wie die Stiftung mit erheblichen Zuschüssen zum Erhalt von Baudenkmalen wie der Südzentrale beitragen kann. Aktuell wird die KW-Brücke mithilfe verschiedener Fördertöpfe saniert. Auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz leistet ihren Beitrag. Man hätte die Fördermittel an die Bedingung knüpfen können, auch die Südzentrale zu sanieren – diese Chance wurde leider verpasst.

Dr. Stefan Huck, Leiter des Marinemuseums, berichtete über die „Idee zum Museum im Kraftwerk – der tägliche Blick auf den Verfall“. Beinahe wäre das Marinemuseum damals dort eingezogen, doch man schreckte davor zurück, das immense Raumangebot auch tatsächlich füllen zu müssen. Mit ihrem „unglaublichen Charme“ könne die Südzentrale, im Ensemble mit der KW-Brücke, zu einem „Aushängeschild“ der Stadt werden.

Tom Nietiedt hielt das engagierte Referat „Bestand sanieren und nutzbar machen – Potenziale der Südzentrale aus der Sicht eines Wilhelmshavener Unternehmers“. „Die Stadt sollte tief in sich gehen, um Visionen für die Finanzierung zu entwickeln.“ Die Kommune könne das Gebäude immer noch erwerben, trotz des klammen Stadtsäckels sei für wichtige Investitionen immer Geld vorhanden. Seine Idee für eine kreative Finanzierung: eine „Sanierungsaktie“. Es könne nicht die Vision der Stadt sein, nach dem Abriss das Gelände für einen Parkplatz zu planieren – „das wäre ein Schandfleck“.

Sachstand

Wissenswerte Fakten, die beim Symposium zusammengetragen wurden:

  • Entgegen anderslautender Gerüchte ist die Südzentrale seit 1987 ein geschütztes Baudenkmal. Durch die Abrissgenehmigung wird der Denkmalsschutz nicht aufgehoben.
  • So lange das Gebäude steht, sind die Eigentümer verpflichtet, es zu sichern. Offene Fenster und Türen ermöglichten den Diebstahl wertvoller Elemente wie Jugendstil-Geländer oder Terrazzo-Fußböden. Das hätte nie passieren dürfen. Mittlerweile besteht beim Betreten des Gebäudes hohe Verletzungsgefahr durch herabfallende Teile.
  • Die Stadt ist als Ordnungs- und untere Denkmalbehörde verpflichtet, den Eigentümer auf seine Sicherungspflicht hinzuweisen. Kommt er dieser nicht nach, so muss die Stadt das übernehmen und ihm die Kosten in Rechnung stellen („Ersatzvornahme“).
  • Aktuelle Interessen zur Nutzung nach einem Abriss bestehen seitens eines benachbart angesiedelten Unternehmens, alternativ Nutzung als städtischer Parkplatz.

Neue Entwicklungen nach dem Symposium:

  • Die Eigentümer haben Kontakt zum „Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale“ aufgenommen und Interesse an einer Zusammenarbeit gezeigt.
  • Die Stadt hat den Eigentümern wieder Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Dipl. Ing. Hermann Schiefer und Dipl.-Ing. Wolfgang Ness vom Landesamt für Denkmalpflege Niedersachsen (Hannover) informierten zum „Denkmalstatus Südzentrale, Chronologie von möglichem Potenzial und verpassten Chancen“. Sie bedauerten, dass die Stadt es 1993 „verschlafen“ hat, die Südzentrale zu einem damals noch moderaten Preis vom Bund zu erwerben. Man müsse der Stadt „ganz deutlich vorwerfen“, dass Anstrengungen zum Erhalt dieses „Identifikationsmerkmals für die BürgerInnen“ nicht von den Stadtspitzen mitgetragen wurden.

Vier verpasste Chancen

Schiefer blickte zurück auf die verpassten Chancen zum Erhalt des Gebäudes:

  • Die Nutzung für das Marinemuseum – „die größte Chance, die die Südzentrale je hatte“
  •  Die Eigentümer hatten ein Konzept für eine gemischte Nutzung – die Stadt hielt an der Nutzung des Geländes für hafenwirtschaftliche Zwecke fest
  •  Die Gründung der Bürgerinitiative „Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale“
  •  Förderprogramm „Städtebaulicher Denkmalsschutz“ – dazu gab es im November 2010 einen großen Termin in WHV mit Eigentümern und Sozialministerium – für die Aufnahme ins Programm ausreichende Nutzungsperspektiven wurden dem Ministerium nicht dargelegt.

Die fünfte Chance ist nun das Symposium mit den daraus resultierenden Ergebnissen und Aktivitäten. Schiefer betonte, dass die Chance zur Förderung weiterhin besteht – „der Antrag hat im Moment nicht oberste Priorität, steht aber in der Warteschleife“.

Dipl.-Ing. André Winter vom Staatlichen Baumanagement Weser-Ems (Beitrag „Wege für den Erhalt; Südzentrale – was bleibt?“) graust es vor „geschredderter Geschichte“, die er am Beispiel der Banter Kaserne anschaulich darstellte.

Prof. Dr. Uwe Meiners, Leiter des Museumsdorfes Cloppenburg, nahm sich zwischen anderen Terminen an diesem Tag die Zeit, nach Wilhelmshaven zu kommen und über die Möglichkeiten zur Erhaltung historisch bedeutsamer Bauten zu berichten. Pastor Frank Morgenstern, der den Erhalt der Südzentrale seit langem aktiv unterstützt, nahm sich vor einem Trauungstermin die Zeit für einen „Blick zurück – Glaube – Hoffnung – Begleitung durch die Gemeinde“.

In Wilhelmshaven treiben Wilhelms wahnsinnige Erben immer noch ihr Unwesen, und im dreckigen Sumpf paaren sich unverdrossen Ignoranz und Korruption. Architektur und Stadtgeschichte werden als Schandfleck gebrandmarkt und sollen für privaten Profit niedergemacht werden. Während die Bürger für den Erhalt eines Kulturdenkmals kämpfen, sieht die Politik beim Anblick der Südzentrale nur das Geld. Der Verwaltung im kaiserlichen Wilhelmshaven fehlt es ganz entschieden an demokratischen Umgangsformen.
Henning Venske, Journalist, Schauspieler, Kabarettist, Träger der Biermann-Ratjen-Medaille der Stadt Hamburg für besondere kulturelle Verdienste

Motivationsschub

Axel Föhl ist der Begründer der Industriedenkmalpflege in Deutschland und hat sich u. a. als Sprecher von Fachgremien, als Lehrbeauftragter und durch Veröffentlichungen und Ausstellungen zur Industriearchitektur und Technikgeschichte europaweit einen Namen gemacht. In seinem halbstündigen Bildvortrag präsentierte Föhl eindrucksvolle Beispiele von der Geschichte, dem Verfall, der Sanierung und neuen Nutzung historischer Industriebauten in Deutschland und Europa. Seine seit Jahrzehnten ungebremste Begeisterung übertrug sich sofort auf das Publikum. Solch ein Vortrag vor dem Rat der Stadt hätte mit großer Wahrscheinlichkeit einen einstimmigen Ratsbeschluss zum Erhalt der Südzentrale bewirkt!

Eine unselige Allianz jedoch aus chronischem Geldmangel und ignoranter Tatenlosigkeit sowie allmächtiger Hafenwirtschaft im Hintergrund vereitelte immer wieder, was in anderen Städten mit konstruktivem Wollen gelingt.
„taz“ – Bericht über die Südzentrale „Unterschätztes Erbe“ vom 16.5.2011

 Was nun?

Wenige Tage nach dem Symposium wurde die Gründung des Vereins zum Erhalt der Südzentrale, hinter dem auch prominente Namen stehen, auf den Weg gebracht. Die Unterschriftensammlung für die Resolution hat begonnen. Die Eigentümer der Südzentrale sind an das „Forum“ herangetreten, Die Stadt sucht das Gespräch mit den Eigentümern. Einige Ratsmitglieder, die beim Symposium waren, hatten versprochen, sich im Rathaus für die Südzentrale stark zu machen. Ob es ihnen zu verdanken ist oder dem guten Bericht in der WZ – Hauptsache, die Stadt bleibt jetzt dran.

Kommentar

Ihr könnt doch, wenn ihr nur wollt!

Wenn es um Visionen geht, fällt vielen nur das abgedroschene Zitat von Altbundeskanzler Helmut Schmidt ein, wonach, wer Visionen hat, besser zum Arzt gehen sollte. Gähn. Ich habe die Vision, dass Axel Föhl sich ins Goldene Buch der Stadt einträgt; unser Oberbürgermeister ist stolz, dass er den obersten Industriedenkmalsschützer Deutschlands als Ehrengast begrüßen darf. Im Tageblatt ein anerkennender Bericht über ein zierliches Energiebündel namens Corinna Nickel, gebürtig in Wilhelmshaven, die es mit beharrlichem Einsatz geschafft hat, unsere Stadt als bedeutenden Standort des Denkmalsschutzes weithin bekannt zu machen. Nicht zu vergessen das Foto mit Menzel & Co bei der Einweihung der neuen Stadthalle im renovierten Gebäude der Südzentrale.

Vielleicht sollte ich wirklich zum Arzt gehen. Jedenfalls wird mir immer schlecht angesichts der Ignoranz, mit der unsere Betonköpfe dem Phänomen Südzentrale begegnen. Dabei können sie doch so viel erreichen, wenn sie es nur wollen: Durch unermüdliche Anstrengungen ließen sie ihre Vision vom JadeWeserPort Wirklichkeit werden! Derweil wurde die Südzentrale gebetsmühlenhaft als “Schandfleck” abgestempelt und die Kommunikation mit den Eigentümern darauf reduziert, bereitwillig den Abriss zu genehmigen.

Das Symposium Mitte Juni schlug ein wie eine Bombe: Plötzlich reden wieder alle miteinander, in deren Händen das Schicksal der Südzentrale liegt. Jetzt gilt es für alle Beteiligten, diese vermutlich letzte Chance zum Erhalt der Südzentrale anzupacken.

Imke Zwoch

 

 

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