“Stimmt ja gar nicht!”
Bernd Althusmann, damals noch Staatssekretär, korrigierte eine OECD-Studie, derzufolge die Abiturquote in Niedersachsen gefallen sei und unter dem Bundesdurchschnitt liege. Viele Wege führen an die Universität, und, so Althusmann weiter, müsse man “alle Optionen” berücksichtigen.
Per Gymnasium erreicht Niedersachsen eine Abiturquote von gerade mal 28,7 %. Nicht einmal ein Drittel eines SchülerInnenjahrganges geht zum Gymnasium und schließt es auch erfolgreich ab. Unter Nutzung aller (Um)wege kommen wir aber in Niedersachsen doch auf eine Abiquote von 42 %! (WZ, 13.04.2010)
Es war ja schon etwas ungalant von Althusmann, diesen Text nicht noch Frau Heister-Neumann sprechen zu lassen, bevor er sie im Kultusministerium ablöste. Sie, in der WZ als “glücklos” bezeichnet, hätte wenigstens am Ende ihrer Amtszeit noch einen kleinen Auftritt gehabt.
Aber, Herr Kultusminister: Was halten Sie denn davon, Ihr Amt dazu zu nutzen, dafür zu sorgen, dass mehr jungen Menschen die verschlungenen und meist zeitraubenden Neben- und Umwege zum Abitur erspart bleiben? Wenn wir am Gymnasium nur 28,7 % der jungen Menschen zum Abi führen, noch einmal halb so viele es aber auf anderen Wegen schaffen, dann haben offensichtlich viele Schullaufbahnempfehlungen (damals noch nach Klasse 6 der inzwischen abgeschafften Orientierungsstufe) nicht gestimmt. Bald sind auch die Kinder/Jugendlichen, denen dank der Reform Ihres Vorvorgängers Busemann schon nach Klasse 4 eine wahrscheinlich noch unfundiertere Empfehlung ausgesprochen wurde, im Abi-Alter. Mal sehen, wie weit die Zahlen dann auseinander klaffen!
Althusmann will an der Dreigliedrigkeit des Schulsystems natürlich nichts ändern. (Das wäre vermutlich in der CDU ein Grund für ein Parteiordnungsverfahren! – Am selben Tag, an dem die Kabinettsumbildung in Niedersachsen bekannt gegeben wurde, sah es in einer WZ-Überschrift aber doch glatt so aus, als sei sogar die Kanzlerin mittlerweile für die integrierte Gesamtschule als Regelschule: “Gleiche Bildung für alle”, wird Frau Merkel da in den Mund gelegt. Huch! Haben wir da etwas verschlafen? Nein, auch sie ist streng auf Kurs! Im Artikel steht’s dann richtig: Sie hatte lediglich von “gleichen Bildungschancen” gesprochen. Dann geht’s ja noch.) Um eine höhere Abiquote zu erzielen (?), will Althusmann den Leistungsdruck vorverlegen. So jedenfalls verstehe ich seine Absicht bei der “noch engere(n) Verzahnung von frühkindlicher Bildung in Kindertagesstätten und Krippen bis hin zur Grundschule”, denn er meint: “Das ist maßgeblich entscheidend für den Erfolg von Schülern.” (ZW, 30.04.2010)
Der “Knaller”
war für die Schulen Niedersachsens jedoch nicht der neue Kultusminister, sondern die ebenso neue Sozial- und Integrationsministerin Aygül Özkan.
Als Wulff ankündigte, vier Minister auszutauschen und bei den vier Neuen drei Frauen seien, eine davon sogar “mit Migrationshintergrund”, erhoffte er sich sicher etwas anderes als das, was tatsächlich rauskam. Etwa: Wow, drei Männer und eine Frau raus, dafür drei Frauen und einen Mann rein, wie feministisch! Und dann auch noch eine Muslima als Ministerin, wie integrativ!
Aber dann musste er Frau Özkan noch vor ihrer Amtseinführung zurückpfeifen und gehörig auf den Pott setzen. Dass sie “absolut gegen türkische Schulen” sei, war ja noch okay, aber kurz darauf erklärte sie, nicht nur Kopftücher auf muslimischen Schülerinnenköpfen, sondern auch Kruzifixe an niedersächsischen Klassenzimmerwänden haben zu verschwinden, und das geht ja gar nicht! “Fehlstart”, rügte NWZ-Kommentator Rolf Seelheim, und Wulff stellte “schnell klar, dass die Landesregierung Kreuze in Schulen begrüße” und “Frau Özkan hat ihre persönliche Meinung zur weltanschaulichen Neutralität geäußert, aber sie stellt die niedersächsische Praxis nicht in Frage.” (WZ, 26.04.)
Schade, dass sie so schnell eingeknickt ist. Sie ist durchaus in guter Gesellschaft. Die Theologieprofessorin Uta Ranke-Heinemann z.B. nennt das Kruzifix eine “schwere Belas-tung für Kinder” und sieht im Kreuz “ein Symbol der Erziehung zur Grausamkeit”. (junge welt, 28.04.2010) Und das Bundesverfassungsgericht ist auch an Özkans Seite: “Die Anbringung eines Kreuzes oder Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschute, die keine Bekenntnisschule ist, verstößt gegen Art.4 Abs.1 Grundgesetz” lautet der Leitsatz eines BVerfG-Urteils vom 16.05.1995.
Aygül Özkan stammt aus Hamburg, wo man das Verfassungsgerichtsurteil umgesetzt hat. Woher soll eine Hamburger Deern wissen, wie ihre Partei im Rest der Republik mit Verfassungsgrundsätzen umgeht? Z.B.: Trotz BVerfG-Urteil “hat es bislang wenig Vorstöße gegeben, Kruzifixe aus Klassenzimmern öffentlicher Schuleinrichtungen zu entfernen. Dass gerade eine designierte CDU-Ministerin in Niedersachsen jetzt einen solchen Vorstoß macht, ist völlig unnötig und unangebracht”, findet CDU-MdB Ingrid Fischbach. (junge welt, 27.04.2010)
Ich finde es wie der Freidenker Cornelius Kaal “schon bemerkenswert, dass eine CDU-Politikerin von ihrer eigenen Partei, die immerhin Regierungspartei ist, attackiert wird, weil sie die Einhaltung der Verfassung verlangt.” (ebd.)
Der Sturm ist aber schnell abgeflaut. Die freche Hamburgerin hat eins auf den Deckel gekriegt und wird die Füße jetzt wohl stillhalten.
Girls + Boys = Zukunft
Außer diesen ganzen Aufregungen gab es im April auch noch den Girls Day. Da dürfen Schulmädchen mal einen Tag lang bei Papi auf der Arbeit in einen Männerberuf reinschnuppern. Weil das gleichberechtigungstechnisch aber politisch unkorrekt ist, ist es auch der Boys Day, und die Jungen dürfen einen Tag lang gucken, was Frauen so den ganzen Tag für wenig Geld machen müssen. Und weil es ja reichlich blöd wäre, diese Aktion am “Girls und Boys Day” zu starten, gibt es einen neuen Namen: Zukunftstag. In Berlin hat die Kanzlerin Schülerinnen ermuntert, IT-Berufe zu erlernen – sie selber als Mädchen hat ja auch ein Physikstudium geschafft. Und in Wilhelmshaven durften Schuljungen feststellen, dass Abwaschen “nicht uncool” ist. Die Jungen aus Hohenkirchen und Wilhelmshaven, die am 22. April im Mehrgenerationenhaus gekocht, Tische dekoriert und Geschirr gespült haben, waren es allerdings nicht, die auf die Erkenntnis bezüglich des Abwaschens gekommen sind. Das war die Beauftragte für Chancengleichheit bei der hiesigen Arbeitsagentur, die diesen Ausflug junger Männer in eine andere Welt begleitet hat. Die Jungs wollen nun doch lieber Tischler werden.
Am Zukunftstag dürfen Mädchen auch bei der Bundeswehr feststellen, dass Schießen Spaß macht und dass Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt werden muss. Und hier schließt sich der Kreis zum vorigen Thema dieser Betrachtungen: Sollten denn nicht nur Kruzifixe, sondern auch Werbekampagnen für die Bundeswehr aus Schulstuben verbannt werden?
Mit den Kruzifixen haben wir hier in Wilhelmshaven in den staatlichen Schulen ja keine Last, die hängen eher in Gegenden wie dem Emsland an der Wand. Wir haben mehr damit zu tun, dass die Bundeswehr sich mit stapelweise Propagandamaterial und Plakaten in den Schulen präsentiert. Und angesichts schlechter Berufsaussichten in Wilhelmshaven wollen nun auch immer mehr Mädchen zum Bund. Auf diese Art Zukunft würde ich lieber verzichten.
Anette Nowak
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