Wilhelmshaven-Krimi
Feb 142009
 

Endstation

Der neue Wilhelmshaven-Krimi

Unlängst schickte uns der Oldenburger Schardt-Verlag einen Kriminalroman zur Rezension. Autor ist Olaf Müller, 1964 in Wilhelmshaven geboren und bis 1990 hier heimisch. Zwar zählen Krimis nicht zu unseren Kernthemen, aber der lokale Bezug und zwei ermordete Ratsherren vermochten den Chefredakteur umzustimmen.


EndstationKurz nacheinander werden in Wilhelmshaven ein lokaler SPD-Politiker, ein CDU-Kollege und der Bewohner eines Altenheimes umgebracht. Die FDP-Spitze entkommt knapp einem Anschlag. Haben die Autonomen was damit zu tun? Die lokale Kripo rätselt sich hilflos durch und wird schließlich im Altenheim fündig … Die Idee der Story bietet zwar durchaus Substanz, auch wenn sie nicht neu ist (nämlich, dass das verbindende Motiv für einen Serienmord an Politikern kein politisches ist, sondern eine andere gemeinsame Leiche im Keller). Aber strukturell und stilistisch kommt die Leserin (bzw. der Autor) so oft ins Stolpern, dass Story und Spannung auf der Strecke bleiben.

Historische Diskrepanzen

Durch den Euro (als im Roman verwendetes Zahlungsmittel) ist die Geschichte historisch nach Anfang 2002 angesiedelt – jedoch sind viele lokale Schauplätze zu dieser Zeit nicht mehr wie beschrieben vorhanden. So ist z. B. die bis in die Etage beschrieben Immobilie Weserstr. 77 schon seit langem nicht mehr Kristallisationspunkt der Autonomen, wie auch der alte Bahnhof mit der erwähnten Vorhalle schon in den 1990er Jahren der Nordseepassage weichen musste.
Der langjährig amtierende OB „mit seltsamer Igelfrisur“ und seinem „Offizielle-Anlässe-Grinsen“ ist hingegen schon beinahe zeitlos, wie auch der gleichfalls erwähnte GEGENWIND, auch wenn wir nicht die örtliche „Oppositionszeitung“ sind.

Unsaubere Verortung

Einerseits scheint es dem Autor ein Anliegen zu sein, Schauplätze bis ins kleinste Detail zu beschreiben und zu benennen. Der beabsichtigte Wiedererkennungswert soll wohl Einheimische und Ortskundige besonders in den Bann ziehen. Oft entsteht aber eher der Eindruck, dass Müllers geografische Kenntnis etwas verblasst ist. Wer auf Baltrum am (südseitig gelegenen) Hafen steht, blickt mitnichten aufs weite Meer, sondern aufs nahe gelegene Festland. Und wer die Bremer Straße ostwärts marschiert, muss rechts (und nicht links) abbiegen, um über die Adalbertstraße zur Garnisonkirche zu kommen. Zur Aufklärung der Morde ist das unmaßgeblich, aber es wäre an vielen Stellen klüger gewesen, weniger konkret zu werden, weil es aufmerksame einheimische Leser/innen eher erzürnt als erheitert, wenn es dann nicht hinhaut.

Brüchiger Stil

Einige Themenkomplexe wie Abendschule, Altenpflege und Zivildienst, die den Rahmen für Handlungsstränge bilden, sind sehr detailliert beschrieben. Hier scheint genaue Recherche oder Insiderwissen zugrunde zu liegen. Stilistisch sind diese Schilderungen allerdings eher der Reportage als der Belletristik zuzuordnen, und viele Details sind für die Handlung irrelevant. Diese Stilbrüche wirken weder gewollt noch gekonnt und verursachen Schmerzen bei der Lektüre.
Dann gibt es hier und da den Griff ins Klo überzogener Klischees, wie z. B. eine Zusammenkunft von Autonomen. Da dürfen überquellende Aschenbecher und Che Guevara an der Wand nicht fehlen, und für ganz doofe Leser ist der Satz eingefügt: „Es war ein konspiratives Treffen“. Aua!
Darüber hinaus gibt es noch viel Ärgerliches: phantasielos konstruierte Namen; neu eingeführte Charaktere, die danach nie wieder auftauchen; zermürbende Wiederholungen von Namen oder Dienstgraden, wo das persönliche Fürwort gereicht hätte; kurz aufeinander folgende redundante Schilderungen (z. B. dass bestimmte Beweisstücke in Tüten eingepackt sind oder zwischen welchen Straßen die besagte Weserstraße 77 liegt) bis hin zu übersehenen Fehlern in Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung.

Des Rätsels Lösung

Nein, natürlich verraten wir hier NICHT die Auflösung des Krimis (wobei diese letzten Seiten noch am erfrischendsten sind), sondern den Rahmen seiner Entstehung, der viele der vorgenannten Schwächen erklärt, wenn auch nicht entschuldigt. Olaf Müllers Roman trägt stark autobiografische Züge aus seiner eigenen, wie er sagt, „Sturm- und Drangzeit“ in den 1980er Jahren. Damals machte er eigene Erfahrungen als Zivi, in der Altenpflege (was ihn bis heute emotional bewegt – der Titel „Endstation“ spricht Bände) und am Abendgymnasium. In jener Zeit wurde das Pauline-Ahlsdorff-Haus so umstrukturiert, wie er es beschreibt. Und da gab es noch die Teestube, in der sich die Zivis trafen.
Seit 1990 lebt Müller in Berlin und ist im Bereich Medien und Kommunikation tätig. Er arbeitete u. a. für die Deutsche Welle, wo ihm eine Reportage über Wilhelmshaven Beschimpfungen als „Nestbeschmutzer“ eintrug. Er schrieb Drehbücher, u. a. für einen Film über die Altenpflege. Heute verdient er sein Geld in der Unternehmenskommunikation. Familiäre Bindungen führen ihn häufig nach Wilhelmshaven.
Müllers Krimi ist nicht mehr taufrisch. Das Manuskript hat eine Odyssee durch verschiedene Verlage hinter sich, bis sich schließlich der Schardt-Verlag interessiert zeigte, der auf Regio- bzw. Städtekrimis spezialisiert ist. Müller fühlte sich dort sehr gut betreut, „beratungsintensiv und leidenschaftlich“ sei die Zusammenarbeit gewesen. Anfang Januar 2009 ging sein Werk mit einer Auflage von 1.000 Stück in den Handel und soll einen guten Start gehabt haben, auch wenn ihm Maria Herzog mit ihrem im August 2008 (ebenfalls bei Schardt) veröffentlichten ersten Wilhelmshaven-Krimi „Todesblüten“ zuvorkam.

Weniger wäre mal wieder mehr gewesen

All das weiß man nach einem (netten) Gespräch mit Olaf Müller. Aber das interessiert kaum die Leser/innen, die einen stimmig geschriebenen Krimi erwarten und nicht gleichzeitig ein Essay mit (wenn auch berechtigter) Kritik am System der Altenpflege oder eine Reportage über Abendgymnasiast/innen, die Schule und Beruf, Familie und Freizeit unter einen Hut bringen müssen. Wenn es schon nicht gelingt, solche Botschaften stilsicher im Erzählfluss unterzubringen, könnte man sie z. B. als fiktive Briefe oder Zeitungsartikel einfügen.
Der innerlich engagierte und emotional geprägte Autor (u. a. auch Betriebsrat in seiner Firma) hat einfach zu viel auf einmal auf 200 Seiten verpacken wollen und dabei verschiedene Genres der schreibenden Zunft bunt gemischt. Dies zu erkennen und sorgfältig wieder zu trennen, wäre auch Aufgabe des Verlages gewesen. Das Ergebnis ist kein wirklich guter Krimi, sondern ein etwas hakelig daherkommender Einblick in das Wilhelmshaven der 1980er Jahre. Es hätte schon viel geholfen, den Roman klar dieser Epoche zuzuordnen. Für Müller ist die Geschichte „zeitlos“, aber genau das funktioniert nicht. Zu Zeiten des „Café Kluntje“ hätten seine Protagonisten aufs Handy verzichten müssen, aber es hätte auch erklärt, warum die Mordkommission im Telefonbuch recherchiert statt im Internet.

Imke Zwoch

Müller, Olaf: Endstation. Wilhelmshaven-Krimi. Schardt-Verlag Oldenburg, Januar 2009. 201 S. ISBN 978-3-89841-413-5.

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