Das Urteil ist da!
(noa) Am 3. Februar lag endlich das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen im Rechtsstreit um die Kosten der Unterkunft für Wilhelmshavener Hartz IV-Betroffene schriftlich vor. Auf 28 Seiten (plus Rechtsmittelbelehrung und Erläuterungen zur Prozesskostenhilfe) wird erklärt, dass und warum die hier angewandten Höchstgrenzen für die Miete zu niedrig sind.
Zwar geht es im Urteil zunächst darum, „in welcher Höhe der Beklagte (das Job-Center Wilhelmshaven-noa) die Kosten der Unterkunft der Kläger in der Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2006 übernehmen muss“, doch da es sich um ein Musterverfahren handelte, hat das Urteil grundsätzliche Bedeutung. Das Verfahren hatte sich lange hingezogen, weil das Landessozialgericht die von der Stadt Wilhelmshaven – als Mitträger des Job-Centers – festgelegten Mietobergrenzen endlich überprüfen wollte.
Das Job-Center hatte gegen ein am 24.05.07 zugestelltes Urteil Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen, es „habe die angemessenen Unterkunftskosten in Wilhelmshaven zutreffend bestimmt“. Das in Wilhelmshaven angewandte Verfahren sei sogar besonders gut, da es die leerstehenden Wohnungen berücksichtige, womit auch klar sei, dass Wohnungen zum ermittelten „angemessenen“ Mietzins tatsächlich beziehbar seien. Um das nachzuprüfen, musste das Gericht „die von der Stadt Wilhelmshaven angelegte Datensammlung (14 Aktenordner)“ durcharbeiten. Und bei dieser gewiss sehr mühseligen Arbeit hat das Gericht festgestellt:
„aa) Die Ermittlungen des Beklagten beruhen … auf einer ausreichenden Datengrundlage. … bb) Es begegnet auch keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Ermittlung der Unterkunftskosten nicht durch eigene Mitarbeiter des Beklagten, sondern durch Mitarbeiter der kommunalen Kostenträgerin, der Stadt Wilhelmshaven, durchgeführt worden ist. … cc) Die von Mitarbeitern der Stadt Wilhelmshaven durchgeführten Ermittlungen beruhten auch auf einem schlüssigen Konzept. …
Alles, was die Stadt getan hat, um die angemessenen Kosten der Unterkunft in Wilhelmshaven zu ermitteln, war in Ordnung und wird von Gericht nicht beanstandet. Aber: „Die Stadt Wilhelmshaven und der Beklagte haben aus dem schlüssigen Ermittlungskonzept jedoch unzutreffende Schlüsse gezogen, indem sie die sich aus der Ermittlung ergebenden Durchschnittsmieten als angemessene Mieten im Sinne von § 22 Abs. 1 SGB II festgesetzt haben. Diese Vorgehensweise entspricht nicht der Produkttheorie, nach der aus der Ermittlung ein Quadratmeterpreis hätte abgeleitet werden müssen. Denn die Stadt Wilhelmshaven hat nicht aus verschiedenen Faktoren ein Produkt (Fläche mal Preis = angemessene Miete) gebildet, sondern vielmehr einen Quotienten (Gesamtmieten durch Anzahl = Höchstbetrag).“
Das haben wir an dieser Stelle immer wieder geschrieben. Mit Sicherheit gibt es zahlreiche Wohnungen zu den von der Stadt als Höchstwert festgelegten Mieten; es gibt sogar viele Wohnungen, die noch billiger sind. Doch es gibt nicht genügend so billige Wohnungen für alle Betroffenen. Und es nützt einem Arbeitslosen, dessen Miete höher ist, als das Job-Center erlaubt, überhaupt nichts, wenn ihm bewiesen wird, dass andere aber das Glück hatten, eine billigere Wohnung zu finden.
Ja, und nun hat das Gericht gerechnet. Es hat die Quadratmeterpreise aus 2005 und aus den Quartalen 1/06, 2/06 und 3/06 (die sich aus den von der Stadt vorgelegten Daten ablesen ließen) berücksichtigt, auf den Stand von 2008 hochgerechnet und dadurch Werte für „angemessene Kosten der Unterkunft“ ermittelt, die nicht nur erheblich über den bisher hier geltenden liegen, sondern sogar noch über denen, die in den letzten entsprechenden Verfahren beim Sozialgericht Oldenburg und dem Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen festgelegt worden waren. Ohne die Berufung, die jetzt am 11.12.08 abgeschlossen wurde, wäre die Stadt billiger weggekommen.
Das Urteil enthält auf Seite 26 folgende Tabelle:
Diese Mietpreise hat das Landessozialgericht als für Wilhelmshaven angemessen erkannt, d.h. so viel durfte (darf) eine Wohnung für eine Hartz IV-Bedarfsgemeinschaft kosten und muss vom Job-Center bezahlt werden.
Natürlich muss eine Wohnung nicht so viel kosten. Wenn eine Einzelperson in einer Wohnung zu 310 Euro (brutto kalt) lebt, dann muss diese Miete erstattet werden, nicht mehr. Aber sie muss erstattet werden.
Nehmen wir mal den (wahrscheinlich seltenen) Fall, dass eine Einzelperson doch tatsächlich 2008 monatlich eine Bruttokaltmiete von 345,50 Euro bezahlen musste. Das Job-Center hat ihr aber nur 265 Euro monatlich gezahlt. Diese Person hätte monatlich 80,50 Euro vom Regelsatz abzweigen müssen, hätte im ganzen Jahr 2008 auf 966 Euro, die ihr zustanden, verzichten müssen! Und wenn es „nur“ 200 Euro sind, die jemand pro Jahr eingebüßt hat, dann sind es seit Mitte 2005 (bis dahin hat das Job-Center bei den meisten „KundInnen“ noch die volle Miete getragen) immerhin 700 Euro, die dieser Mensch am Essen, an der Kleidung, an Büchern oder sonstwo einsparen musste.
Gegen das Urteil ist die Revision zugelassen, „weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.“ Ob das Job-Center diese Möglichkeit nutzen wird, sich also an das Bundessozialgericht wenden wird, stellt sich in den nächsten Wochen heraus. Dezernent Jens Stoffers hat in der Sitzung des Sozialausschusses am 22. Januar bekannt gegeben, dass die Stadt in dem Verfahren unterlegen ist und die Entscheidung darüber, ob die Revision angestrengt wird, nach Prüfung des Urteils gefällt wird. Das muss man nun also abwarten.
Alle diejenigen, die ihre Miete nicht voll erstattet bekommen, sollten jedoch nicht abwarten. Gegen den momentan gültigen Bescheid kann man Widerspruch einlegen, wenn er jünger als 4 Wochen ist. Ist er älter, dann ist es für einen Widerspruch zu spät. Doch dann kann man einen Antrag auf Überprüfung des Bescheides gemäß § 44 SGB X stellen. Und der sollte sich dann gleich auf alle bisherigen Bescheide beziehen. Dann muss das Job-Center neu rechnen. Und dann gibt es zwei Möglichkeiten:
- Die Stadt verzichtet auf die Revision und akzeptiert das Urteil. Dann rechnet das Job-Center alles noch einmal nach und erstattet die Beträge, die man bisher eingebüßt hat. Dieser Fall ist eher unwahrscheinlich.
- Die Stadt entscheidet sich zur Revision, akzeptiert das Urteil also nicht. Dann wird das Job-Center auf den Überprüfungsantrag mit einem Bescheid reagieren, in dem stehen wird, dass alles richtig gewesen sei. Und gegen diesen Bescheid muss man dann innerhalb von 4 Wochen Widerspruch einlegen.
Auf jeden Fall müssen Betroffene das jetzt schnell machen. Überprüfungsanträge kann man nämlich nur vier Jahre rückwirkend stellen, und das heißt, dass man jetzt noch alle Bescheide ab Mitte Februar 2005 überprüfen lassen kann. Wenn ein eventuelles Revisionsverfahren irgendwann Ende des Jahres oder noch später stattfindet und abgeschlossen wird, reicht der Zeitraum für ein Überprüfungsverfahren nicht bis zum Anfang der Hartz IV-Zeit zurück. Dann verschenkt man Geld.
Sinnvollerweise bezieht man sich in seinem Widerspruch auf das jetzt vorliegende Urteil (Az: L 13 AS 128/07). Das Job-Center muss dann einen Widerspruchsbescheid schicken. Wenn darin der Widerspruch abgelehnt wird, muss man eine Klage beim Sozialgericht einlegen. Spätestens dann ist es sinnvoll, sich Hilfe zu holen. Unser Tipp wie immer an dieser Stelle: Geht zur ALI!
Die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland (ALI) hat zu dem Urteil des Landessozialgerichts einen wichtigen Beitrag geleistet. Im Urteil lesen wir: „Außerdem haben die Kläger eine Untersuchung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland vorgelegt. Nach den Angaben dieser Untersuchung sind im Jahre 2008 auf dem Wohnungsmarkt in Wilhelmshaven nur sehr wenige Wohnungen angeboten worden, deren Bruttokaltmiete unterhalb der Mietobergrenzen der Stadt Wilhelmshaven gelegen hätten. Diese Wohnungen hätten jeweils nur über eine Ausstattung auf niedrigstem Niveau – z.B. alte, einfachverglaste Fenster, feuchte Wände, verschmutzte Treppenhäuser etc. verfügt. Auf Anfrage der Arbeitsloseninitiative hätten zwei Immobilienmakler erklärt, sie könnten zu den von der Stadt festgelegten Mietobergrenzen keine Wohnungen anbieten. Auch einer der größten örtlichen Vermieter, der Bauverein Rüstringen, der 2.866 Wohnungen vermiete, verlange Mieten, die im Durchschnitt über den Mietobergrenzen lägen. So betrüge allein die Kaltmiete für Wohnungen von bis zu 50 Quadratmetern im Schnitt ca. 240,00 Euro. Hinzu kämen noch kalte Nebenkosten von ca. 61,00 Euro. Auch bei der Spar&Bau Wohnungsgenossenschaft eG – die 3.128 Wohnungen in ihrem Bestand habe – würden nach telefonischer Auskunft Bruttokaltmieten von durchschnittlich 5,88 Euro je Quadratmeter verlangt. Nach einer Recherche im Internet biete auch die größte Wohnungsbaugesellschaft, die Immobilien Management Jade, die ca. 7.000 Wohnungen anbiete, Wohnungen nur zu Preisen an, die oberhalb der rechten Spalte der Wohngeldtabelle lägen. Insgesamt deckten die drei genannten Wohnungsbaugesellschaften etwa ein Drittel des Wohnungsmarktes in Wilhelmshaven ab. Von daher sei nicht verständlich, wie die Stadt Wilhelmshaven zu den von ihr festgelegten Mietobergrenzen gekommen sei.“
Von der Untersuchung der ALI hatte der Gegenwind seinerzeit berichtet. Schön, dass die viele Arbeit, die mehrere ALI-Mitglieder in diese Erhebung gesteckt haben, nun Früchte trägt!
Seit dem 1. Oktober und noch bis mindestens Ende Februar ist Werner Ahrens, der Sozialberater der ALI, selber mal wieder arbeitslos und arbeitet nur ein paar Stunden. Die ALI bekommt keinen Zuschuss von der Stadt und einen ganz kleinen Zuschuss aus Friesland. Der Hauptteil der Ausgaben – neben Werners Gehalt sind das Sachkosten – wird aus Mitgliedsbeiträgen und durch großzügige Beiträge der Gewerkschaften getätigt. Leider kommt die ALI finanziell nie durchs ganze Jahr. Es wäre zu wünschen, dass weit mehr Menschen diese wichtige Initiative finanziell unterstützen.
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