Todesstoß für Dornröschen?
Noch ist die Südzentrale nicht verloren
(iz) Für die einen ist es ein Schandfleck, für die anderen das wichtigste Zeugnis der Stadtgeschichte: das ehemalige Marinekraftwerk „Südzentrale“ an der Kaiser-Wilhelm-Brücke. Jetzt scheinen die einen Recht zu behalten: Im September erteilte das städtische Bauordnungsamt die Abbruchgenehmigung. Doch das „Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale!“ gewinnt weiter an Unterstützung aus der Bevölkerung.
Eine neuerliche Informations- und Diskussionsveranstaltung des Forums im Oktober stieß wieder auf großes Interesse. BürgerInnen, VertreterInnen von Vereinen und Verbänden und Fachleute füllten das „Metropol“ bis auf den letzten Sitzplatz. Zur Einstimmung sahen sie einen NDR-Beitrag zur Südzentrale, der am Rande der Windjammer-Regatta gedreht und ausgestrahlt wurde. Das Filmteam zeigte sich vom Flair der alten Gemäuer tief beeindruckt. Wie die meisten Menschen, die das Gebäude besichtigen, das seit 1994 ungenutzt hinter wuchernder Vegetation im Dornröschenschlaf liegt.
Dann erläuterten die Forums-Sprecher Geschichte und Bedeutung der Südzentrale, die Entwicklung seit der Stilllegung und deren politische und wirtschaftliche Hintergründe (sh. Kasten und GEGENWIND-Berichterstattung der letzten 2 Jahre). Kaisertreuen wie dem Oberbürgermeister legten sie ans Herz, dass das Ensemble Südzentrale/KW-Brücke dem Kaiser Chefsache war: „Wilhelm hat das so gewollt“.
Im Anschluss wurden in einer lebhaften Diskussion Kenntnisse, Meinungen und Befürchtungen ausgetauscht und Strategien überlegt, um dem Willen vieler WilhelmshavenerInnen, das Denkmal zu erhalten, Ausdruck zu verleihen, und um eine Nutzung des Gebäudes durchzusetzen, die seinen Erhalt sichert und gleichzeitig dem wirtschaftlichen Aufschwung wie dem Image der Stadt dienlich ist.
Vor allem braucht das Forum Wilhelmshaven personelle wie finanzielle Unterstützung. Engel und Janssen müssen neben Beruf bzw. Diplomarbeit viel telefonieren und organisieren, um z. B. den lang erbetenen Termin mit dem Oberbürgermeister und anderen wichtigen Entscheidungsträgern zu erhalten. Sie drucken Infos und Plakate (mit Unterstützung einer Grafikerin sehr professionell), die sie bislang aus eigener Tasche finanziert haben. Zur Mittelbeschaffung wurde die Gründung eines gemeinnützigen Vereins angeraten. Es müssten sich mehr Unterstützer direkt an Verantwortliche in Rat und Verwaltung wenden. Aktuell soll es im Rathaus einen Meinungswandel geben: Immer mehr Ratsvertreter plädieren für den Erhalt der Südzentrale, vielleicht ausgelöst durch den im Kinopolis gezeigten Film „Majestät brauchen Sonne“, eine unterhaltsame Dokumentation über den „Reisekaiser“. Ein Bürgerbegehren könnte diese Entwicklung unterstützen.
Mehrere schlüssige Nutzungsmöglichkeiten für das Denkmal wurden von den Teilnehmern diskutiert, sei es als Gründerzentrum, als Logistikzentrale oder Lagerhaus für die Hafenwirtschaft, für Wohnungen, Büros, Ateliers, Museums- und andere kulturelle Zwecke. Viele dieser Ideen hatten in der Vergangenheit schon Eigentümer und möglichen Nutzergruppe, nichts davon hatte die Stadt genehmigt. Ein „handfestes“ wirtschaftliches Nutzungskonzept schien einem Teilnehmer die einzige Möglichkeit, den Abriss zu verhindern.
Bis Mitternacht saßen Teilnehmer der Veranstaltung, die um 19.30 begonnen hatte, zusammen, um Perspektiven für „ihre“ Südzentrale zu diskutieren. Um Spuren ihrer Geschichte zu retten, die sich durch einseitiges Interesse nicht so leicht verwischen lassen werden.
Das Marinekraftwerk „Südzentrale“ wurde 1908 erbaut und erst 1994 stillgelegt. Nach dem 2. Weltkrieg sorgte Oberbürgermeister Friedrich Paffrath für den Erhalt. Das bundesweit einmalige Relikt der Industriegeschichte steht unter Denkmalschutz. Die Stadt genehmigte den späteren Privateigentümern keine der geplanten Nachnutzungen. Damit hat sie gegen ihre Pflicht zur Erhaltung des Denkmals (§6 Nds. Denkmalschutzgesetz) verstoßen. Die Stadtwerke möchten das Gelände hafenwirtschaftlich nutzen.
Vor allem durch Vandalismus wirkt das Gebäude heute baufällig, die mächtige Stahlkonstruktion würde jedoch noch Generationen überleben. Ohne Nutzungsmöglichkeit ist die Immobilie für die Eigentümer mittlerweile ein wirtschaftliches Desaster, weshalb das Bauordnungsamt (nach §7 Nds. DenkmalschutzG) den Abriss genehmigen durfte.
Das „Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale“ kämpft für den Erhalt des Denkmals, das wie kein anderes die wechselvolle Geschichte der Stadt widerspiegelt.
Wilhelmshaven, nicht Bundesrepublik
„Maritime Tradition sollte in unserer jungen Stadt 2003 ganz groß geschrieben werden … Baumeister und Mariner … nutzten die Stadt für technische Neuerungen, kulturelle Entwicklungen und reformerische Projekte … Ich würde mir wünschen, wir würden mehr … die Botschaft von unseren Vorzügen hinaustragen“ schwärmte OB Menzel noch im Juli in seiner Rede zum Stadtjubiläum. Menzels Wertbegriffe werden von der Südzentrale perfekt repräsentiert; dass auch er sie abreißen will, nimmt seinen Worten jede Glaubwürdigkeit. Mit immer neuen Tricks arbeitete die Stadt daran, den Denkmalschutz auszuhebeln. Zum Beispiel erfuhr der Bezirkskonservator unlängst aus der Zeitung, dass er einem Abbruch zugestimmt hätte. Das war ihm neu.
Bestimmte Interessen werden in unserer Stadt auf eine Art durchgesetzt, die viele BürgerInnen mit ihren Vorstellungen von „Transparenz“ und „Allgemeinwohl“ nicht unter einen Hut kriegen. „Wir sind hier in Wilhelmshaven, nicht in der Bundesrepublik”, fasste ein Veranstaltungsteilnehmer diese Vorgänge zusammen. Dem folgte ein mehr resigniertes als fröhliches Gelächter im Saal.
Politik, Verwaltung und Wirtschaft sind stets darauf bedacht, das „Image” Wilhelmshavens in Deutschland und aller Welt in ein goldenes Licht zu tauchen. De facto bestimmen immer wieder die Interessen einiger weniger, was hier passiert und was nicht. Und die „Wilhelmshavener Zeitung” wird nicht müde, diesen Eigennutz als imagefördernd darzustellen.
Was „draußen” ankommt und wie es bundesweit in den Medien reflektiert wird, liest sich meist ganz anders. Was BürgerInnen und Gäste davon halten, dass die Südzentrale einem Tiefkühlbetrieb weichen soll, ist etlichen WZ-Leserbriefen und anderen Diskussionsbeiträgen zu entnehmen. Meinungen, Ideen, Engagement und Mitwirkungswille aufmerksamer Bürger wird von unserer Obrigkeit jedoch nicht als Chance genutzt, sondern als Bedrohung empfunden. „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns”, deklamiert der Oberbürgermeister, und immer mehr BürgerInnen gewinnen den Eindruck, dass mit „uns” nicht sie gemeint sind.
Imke Zwoch
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