Demokratieverständnis
Nov 132003
 

Neumann schießt ein Eigentor

Vom merkwürdigen Demokratieverständnis des SPD-Fraktionschefs

(iz) Siegfried Neumann, Sprecher der rot-grünen Mehrheitsgruppe im Rat, ist dafür bekannt, dass er hemdsärmelig auftritt, Vertretern der Opposition nicht zuhört und deren Vortrag stört, indem er sie unterbricht oder laut mit seinen Sitznachbarn quatscht. Jetzt hat Neumann den Bogen überspannt. Wir berichten, was wir erlebt haben und kommentieren, was zwischen den Zeilen herauszuhören war.

NeumannIn der Ratssitzung Anfang November nahm Neumann WALLI-Ratsherr Joachim Tjaden ins Visier, der einen Antrag zum Thema ‚Stellvertretung des Oberbürgermeisters‘ gestellt hatte. Tjaden wolle, so Neumann, in Wilhelmshaven „alles zunichte machen, Arbeitsplätze und Steuergelder vernichten”. Überhaupt säße Tjaden nur im Rat, weil er gegen den JadeWeserPort sei. Tjaden sei „scheinheilig“, und er, Neumann, würde sich freuen, dass keiner Tjadens Antrag zustimmen würde. Und empfahl: „Schlag nach bei Max Schmid“ – dessen Kommentar in der „Wilhelmshavener Zeitung“ zum WALLI-Antrag sei „nichts hinzuzufügen“.
Ratsvorsitzender Norbert Schmidt schwieg, statt Neumann zur Ordnung zu rufen. Aus der ganzen Versammlung war zunächst keine Kritik an Neumanns Verhalten zu vernehmen, allerdings auch keine eindeutige Zustimmung. Dann erhob sich FDP-Ratsherr Michael von Teichman und richtete das Wort an Neumann. Er stellte voran, dass er, von Teichman, für den JadeWeserPort sei. Tjaden sei dagegen, aber der vertrete im Rat die Bürger, die ihn gewählt haben – „die haben früher vielleicht Sie gewählt, Herr Neumann“. Er wies darauf hin, dass der aktuelle Tagesordnungspunkt mit dem JadeWeserPort nun überhaupt nichts zu tun hatte und dass jedes Ratsmitglied sich zu jedem Thema äußern und Anträge dazu stellen könnte – auch Herr Tjaden. Der schwieg zu dem Vorfall.
Direkt im Anschluss lenkte von Teichman die Diskussion zurück zum WALLI-Antrag (s. „Ratssplitter“) und ersparte damit allen die übliche Widerrede des SPD-Fraktionsvorsitzenden und eine längere Diskussion jenseits der Sache.

Selbst entlarvt

Der Vorfall im Rat spricht Bände. Zunächst: Man muss die FDP nicht lieben, um festzustellen, dass von Teichman (wieder mal) im Rat ein Vorbild für Toleranz und sachliche Umgangsformen bot. Zwar sind auch seine Auftritte nicht immer frei von Polemik, gehen aber nie unter die Gürtellinie. In diesem Fall lieferte Neumann selbst die Steilvorlage: Tjadens Ratspräsenz hängt mit dem umstrittenen Containerhafen zusammen, da hat Neumann nichts Falsches gesagt, räumte damit aber unabsichtlich ein, dass Tjaden für eine Menge BürgerInnen steht, die seine Positionen teilen und ihn gewählt haben, damit er sie im Rat vertritt.
Als die anderen Ratsmitglieder schwiegen, habe ich mich für sie geschämt auf meinem Pressestuhl und gedacht: Sind das die Leute, die sich auch im Alltag raushalten, wenn einem Andersdenkenden oder Schwächeren Gewalt angetan wird?
Tjaden ist alles andere als schwach, hat aber als Querdenker keine Lobby bei den Rats„kollegen“, außer bei von Teichman – trotz unterschiedlicher politischer Vorstellungen. Die beziehen sich allerdings in der Regel auf das Hafenprojekt, während WALLI und FDP z. B. in ökologischen oder sozialen Fragen oft einheitlich argumentieren und abstimmen.
Neumanns Unterstellung, Tjaden wolle der Stadt bewusst Schaden zufügen, ist einfach nur dumm: Welchen politischen oder persönlichen Vorteil sollte sich Tjaden davon erhoffen? Mit seinem unsäglichen Ausfall gegen Tjaden hat sich Neumann endgültig disqualifiziert. Hinter Arroganz verbirgt sich oft Unsicherheit, und angesichts der Tatsache, dass Tjaden sich bei der Kommunalwahl als Senkrechtstarter erwies und das Hafenprojekt in Politik und Wirtschaft außerhalb Wilhelmshavens nicht unumstritten ist, hat Neumann allen Anlass dazu. Seine Unbeherrschtheit verrät, dass er Tjaden inhaltlich wie intellektuell nicht gewachsen ist. Wenn gar nichts mehr hilft, muss der „große Bruder“ herhalten: Die allmächtige Wilhelmshavener Zeitung. In seiner Verzweiflung gibt Neumann offen die informelle Allianz mit seinem Genossen von der Lokalredaktion zu. Er stiftet seine KollegInnen dazu an, Tjaden auszugrenzen, selbst wenn es nicht um den Hafen geht („Ich freue mich jetzt schon, dass gleich niemand ihrem Antrag zustimmen wird“) und sich der Meinung der WZ zu unterwerfen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Tjaden von Neumann und anderen JadeWeserPort-Fanatikern im Rat angegangen wurde, wenn auch nicht in dieser Schärfe. Dass Tjaden so viel „Aufmerksamkeit“ in Form von Mobbing erhält, zeigt, dass er gefährlich ist für das herrschende Bündnis aus SPD, Hafenwirtschaft und WZ – andernfalls würde man ihn einfach ignorieren.
Und Tjaden? Er ließ sich von Neumann nicht provozieren, sich auf dessen Niveau herabzulassen. „Es wurde zwar schon alles gesagt, aber …“ beginnt Neumann oft sein Schlusswort zu Diskussionen, in denen schon alles gesagt wurde. Tjaden fand wohl, dass Neumann genug und von Teichman alles Nötige gesagt hatten, und schwieg mit einem feinen Lächeln. Weniger ist oft mehr.

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