Ratssplitter
Nov 132003
 

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Vom 5. November 2003

Diesmal waren 10 cm Beschlussvorlagen abzuarbeiten. Am umfangreichsten sind immer die Unterlagen für Anträge zum Flächennutzungsplan und Bebauungsplänen. Die bestimmen maßgeblich die Entwicklung des Stadt- und Landschaftsbildes in Wilhelmshaven, wurden aber meist schnell abgewickelt. Über Kleinigkeiten wird hingegen schon mal eine Stunde diskutiert …  

Vera-Maria Haase 

Wir vermissen Frau Haase, die sich stets sanft, aber bestimmt für die Belange „ihres“ Schulausschusses eingesetzt und das Klima im Ratssaal positiv beeinflusst hat. Wir werden ihr ein ehrendes Andenken bewahren. Ratsherr Bickel hat ihren Sitz im Rat übernommen.

Zweierlei Maß

Unlängst wurde für die Werbeausstellung zum JadeWeserPort, die Ende April im Wattenmeerhaus eröffnet wurde, ein städtischer Nachschuss von 245.000 Euro genehmigt. Ein Antrag auf Nachschuss von 50.000 Euro für das Wattenmeerhaus als solches wurde jedoch auf Antrag der SPD von der Tagesordnung genommen, bis ein neues Konzept für das Wattenmeerhaus vorliegt.  Näheres s. gleichnamiger Artikel in dieser Ausgabe.

Überflüssig

findet die Wilhelmshavener Alternative Liste (WALLI) das Amt der/s 2. stellvertretende/n Bürgermeister/in. Das Geld dafür könne man sparen, ohne dass dadurch Nachteile entstehen würden, begründete Ratsherr Tjaden seinen Antrag auf Abschaffung dieses Ratsinstrumentes.
Die FDP teilte die Ansicht der WALLI im Grundsatz, wollte jedoch die derzeitige Amtsinhaberin Ursula Aljets nicht brüskieren und enthielt sich bei der Abstimmung. Die CDU hatte, so Sprecher Reuter, bei der Einführung dieses Amtes dagegen ausgesprochen, sieht jedoch den OB momentan als völlig überlastet an. Er solle sich auf seine Kernaufgaben wie JadeWeserPort, Technologiepark oder Cityhaus konzentrieren können. (Während Aljets die Kleingärtner und Karnickelzüchter beglückt?) Das war gut gemeint oder sollte zumindest so klingen, doch Menzel fühlte sich angefasst und hörte zwischen den Zeilen heraus, dass er seine Arbeit nicht ordentlich erledigt. Sein Parteisprecher Neumann beeilte sich zu betonen, dass die Genossen voll und ganz hinter Menzel stehen würden. Reuter empfand es als „schlechten Stil, Aljets auf kaltem Wege abzuservieren”. Tjaden hat aber überhaupt nichts gegen Frau Aljets persönlich. Deswegen kassiert Reuter  wegen Polarisierung. Menzel verdient  für schlechte Nerven, er hätte Reuters versteckte Kritik gelassener parieren können.
Für die übrige, nicht sachbezogene Diskussion dieses Tagesordnungspunktes verpassen wir Neumann  und dem Ratsvorsitzenden Schmidt und allen anderen Ratsmitgliedern , außer Tjaden und von Teichman (je ). Warum, lesen Sie hier (klicken).

Windige Angelegenheiten

Mit ähnlicher Begündung wie oben will Tjaden auch den Ausschuss für Wirtschaft, maritime Fragen, Stadtmarketing und Tourismus abschaffen, zumal der seiner Aufgabe, Ratsbeschlüsse vorzubereiten, nur selten nachkommt und ebenso wenig eigene Anträge stellt. Deswegen können das auch andere Ausschüsse übernehmen. FDP-Ratsherr Schadewaldt, Mitglied jenes Gremiums, stimmte Tjaden in der Begründung zu. Der Ausschuss würde nur alle 3 Monate tagen und war z. B. bei der Vorbereitung der JadeWeserPort-Ausstellung im Wattenmeerhaus nicht beteiligt und nicht zur Eröffnung geladen. Auch die Vorbereitungen zum „Wochenende an der Jade” gingen am Ausschuss vorbei. Von der Kritik an Organisatorin Aida Kleinschmidt hätte er erst aus einem „sagen wir mal, windigen Blättchen” erfahren, klagte Schadewaldt und blätterte zum Beweis mit spitzen Fingern in einem Exemplar der Augustausgabe des GEGENWIND. Den SCOUT 26 (eine „Pfadfinderzeitung”?), von dessen Problemen mit Kleinschmidt wir dort berichtet hatten, ließ er unerwähnt. Jedenfalls sieht er einen Widerspruch zum städtischen Leitbild, das Information und Kommunikation hochhält. Tjaden stimmte Schadewaldt zu, dass der Ausschuss, würde er denn funktionieren, wichtig wäre, zweifelte jedoch an einer Besserung. Alle anderen lehnten seinen Antrag ab.

Berührungsängste

Es ist bemerkenswert und irgendwie lustig, dass keine Zeitung, die die städtische Politik kritisch betrachtet, im Rat mit Namen genannt wird, sei es der GEGENWIND, die Süddeutsche oder die FAZ, alle Titel werden irgendwie umschrieben. Nur die WZ, deren Kritik meist die Opposition und gelegentlich auch den OB trifft, wird mit dem offiziellen Titel zitiert – wohl aus Angst, dass es sonst am nächsten Tag wieder einen auf den Deckel gibt. Feigheit, die ich meine: 

Avanti popolo

„Populismus” ist ein gern benutzter Begriff im Rat, wenn es darum geht, Anträge anderer Parteien abzulehnen, ohne dies inhaltlich begründen zu können. So betitelte auch CDU-Reuter den WALLI-Antrag auf Abschaffung des Ausschusses mit dem langen Namen. Was bedeutet P. eigentlich? „Von Opportunismus (Nützlichkeitserwägung um persönlicher Vorteile willen) geprägte, volksnahe, oft demagogische (volksverführende, -aufhetzende) Politik, deren Vertreter durch Dramatisierung (aufregendere Darstellung, als es der Wirklichkeit entspricht) der politischen Lage die Gunst der Massen zu gewinnen suchen.”
Aus subjektiver Sicht sind Veränderungen in der Verteilung finanzieller Lasten entweder unbedingt erforderlich oder absolut daneben, ohne näher zwischen Sinn und Unsinn zu differenzieren. Nicht nur in Wilhelmshaven ist es Mehrheitskonsens, im Bereich Kultur, Soziales und Ökologie (s. Wattenmeerhaus, Pumpwerk) zu sparen, während man bei Aufwendungen für die Politik nicht kleinkariert sein sollte. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen und von daher ist es legitim, die genannten Kostenstellen im Detail zu prüfen. Tjaden will ja nicht den gesamten Rat abschaffen.
Der Duden liefert uns noch eine andere Definition für Populismus, und vielleicht hat Reuter Recht, wenn dies Tjadens Ansatz war: „Literarische Richtung des 20. Jh., die bestrebt ist, das Leben des einfachen Volkes in natürlichem, realistischen Stil für das einfache Volk zu schildern.”

Verwöhnaroma

Der Schülertransport in Wilhelmshaven soll nach Willen der SPD im Rahmen eines Modellversuchs schon ab einer Entfernung von 2 km zwischen Wohnung und Schule bezuschusst werden. Klingt familienfreundlich, hier geht es aber nicht um deren Portemonnaie, sondern um das der Stadtwerke, Träger des ÖPNV, wovon wiederum die Stadtkasse profitiert, wie die Antragsteller darlegten. Die anfallenden Kosten übernimmt nämlich das Land Niedersachsen (§ 114 Nds. Schulgesetz). Das fand die städtische Opposition aus CDU und FDP angesichts der leeren Landeskasse gar nicht witzig. Ratsherr Möhle (CDU) verwies auf die aktuell erlassene Haushaltssperre und Überlegungen der Landesregierung, die Beförderungszuschüsse zu streichen. Von Teichman bescheinigte den Antragsstellern, sie hätten „den Schuss nicht gehört”: Der Bürger zahle letztlich auch die Landesschulden, „der Staat stärkt aktuell Eigenverantwortung des Bürgers – warum nicht wir?” Für Reuter verströmt das Ansinnen der Mehrheitsgruppe „Verwöhnaroma” (für die Stadtkasse) und das „Kirchturmprinzip”. Kämmerer Hoff versicherte, dass auch das Land über Steuerrückflüsse von der Regelung profitieren würde. OB Menzel argumentierte, „wir tun nur das, was andere Städte seit Jahren tun.” Und: „Das Land bürdet uns ständig neue Lasten auf”, im Gegenzug sei dies eine gesetzlich legitimierte Einnahmequelle.
Der Opposition missfiel, dass der Schulausschuss bei dieser Entscheidung übergangen wurde.
Sinn und Unsinn des Schülertransports aus medizinischer und ökologischer Sicht wurden nicht diskutiert. Nämlich: Müssen Kinder und Jugendliche, die so schon mehrheitlich an Bewegungsmangel leiden, den Schulweg bereits ab 2000 Metern mit Hilfe von umweltbelastenden Verbrennungsmotoren zurücklegen? Sie müssen die Busfahrt ja nicht in Anspruch nehmen, aber das Angebot ist natürlich verlockend wie alles, was nichts kostet.
Die Mindestentfernung zwischen Wohnung und Schule, von der an Beförderungs- und Erstattungspflicht besteht, bestimmen die Landkreise und kreisfreien Städte selbst. Die kostenlose Busfahrt ab 2 km Schulweg, die in Wilhelmshaven Standard werden soll, orientiert sich denn wohl weniger an kindlichen Bedürfnissen als an maximaler Inanspruchnahme von Landesmitteln: Je kürzer die Mindeststrecke veranschlagt wird, desto mehr Kinder können die Beförderung beanspruchen und desto mehr Landeszuschüsse fließen an die Stadtwerke.

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