Bereitschaftsdienst
Nov 132003
 

Wohltat oder Bärendienst?

Ärzte sind nicht alle glücklich über das Urteil zum Bereitschaftsdienst

(noa) Im September bestätigte der Europäische Gerichtshof, dass sein Urteil vom 20.10.2000 bezüglich der Anerkennung von Bereitschaftszeit als Arbeitszeit auch in Deutschland gilt. Damals schon hatten in vielen Betrieben Beschäftigte, die Bereitschaftsdienste leisten müssen, gehofft, dass ihnen diese Zeit, in der sie ihrem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, bald auch voll vergütet werden würde.

„Gemach, gemach“, hieß es damals sinngemäß auf einer Mitarbeiterversammlung des CVJM, wo ErzieherInnen auch nachts anwesend sein müssen, aber für die Zeit von Mitternacht bis früh um sieben nur zwei Stundenlöhne bekommen, „das muss erst mal in nationales Recht umgesetzt werden.“ Da sich diesbezüglich nichts tat, setzte ein Arzt nach und erkämpfte nun ein EuGH-Urteil, das der Geschäftsführer der Ärztekammer Niedersachsen, Karsten Scholz, freudig begrüßte mit den Worten: „Der heutige Tag ist ein guter Tag für Ärzte – und Patienten.“ („WZ“, 10.09.03)
Je nach Dienstplangestaltung kann ein Krankenhausarzt über 30 Stunden am Stück im Dienst sein. Im Reinhard-Nieter-Krankenhaus sehen die Dienstpläne anders aus, aber auch hier kommen immerhin 24 Stunden Dienst hintereinander zusammen, wenn man Normaldienst und anschließend Bereitschaft hat. Mit viel Glück kann man während der Bereitschaft zwischendurch ruhen, vielleicht sogar einige Zeit schlafen, aber wenn viel los ist, dann heißt das eben, dass man 24 Stunden pausenlos im Einsatz ist. Für die Patienten, deren Leben unter Umständen davon abhängt, dass der Arzt frisch und konzentriert ist, ist das keine gute Vorstellung.
Etwa 1000 neue Ärzte müssten in Niedersachsens Krankenhäusern nach Scholz’ Schätzung eingestellt werden. Auf einer Personalversammlung im RNK Ende Oktober war die Rede von 30 Ärzten, die dieses Krankenhaus zusätzlich bräuchte, doch der Direktor, Prof. Jörg Brost, sagte gleich dazu, dass das finanziell nicht möglich sein wird.
Diese Aussage bekamen wir bei unseren Recherchen so nicht bestätigt. Sowohl im RNK als auch im St. Willehad Hospital waren unsere Gesprächspartner zwar freundlich, aber nicht auskunftsfreudig. Herr Zwarte (RNK) versicherte uns, dass man sich Gedanken mache und plane. Die Leiter der einzelnen Kliniken seien in die Überlegungen einbezogen, aber leider könne er im Moment noch überhaupt nichts Näheres sagen. Frau Ehbrecht (Willehad) war eben erst auf einem Seminar gewesen, in dem es um die Umsetzung des Urteils ging, aber auch sie konnte noch nichts Genaues mitteilen.
Obwohl das 2000er Urteil des EuGH nach einer Klage von Ärzten ergangen war und auch das neue Urteil aus diesem Jahr durch die Klage eines Arztes errungen wurde, betrifft das Thema nicht nur Ärzte. In Krankenhäusern arbeiten auch Pflegekräfte nach ähnlichen Dienstplänen und leisten Bereitschaftsdienste. Pflege- und Wohnheime, Feuerwehr, Einrichtungen der Jugendhilfe und viele Bereiche mehr sind betroffen. Die Grundrichtlinie 89/391/EWG, die den beiden Urteilen zugrunde liegt, „findet Anwendung auf alle privaten und öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.“ und nimmt nur „Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z.B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten“ aus.
Bei der Wilhelmshavener Berufsfeuerwehr hat der Personalrat sofort nach dem neuen Urteil die Dienstpläne (die bekanntlich zustimmungspflichtig sind) gekündigt.
Vermutlich wird ein solches konsequentes Vorgehen notwendig sein, um eine möglichst schnelle Umsetzung des Urteils zu erreichen.
Im Reinhard-Nieter-Krankenhaus wird das Problem der Umsetzung des EuGH-Urteils auf den Stationen heiß diskutiert. Die Krankenhausleitung erwartet von den Ärzten und Ärztinnen Vorschläge zur Umsetzung, aber die Vorschläge sollen „kostenneutral“ sein. Solche Vorschläge mag jedoch niemand machen, denn für die Ärzte und Ärztinnen ist die Abschaffung der Bereitschaften keineswegs kostenneutral.
Im RNK gibt es vier Kategorien von Bereitschaftsdiensten, durchnummeriert von A bis D. Diese Abstufung richtet sich nach der Belastung, die während eines solchen Dienstes erfahrungsgemäß herrscht. Während man eine Dienstbereitschaft A, u.U. auch der Kategorie B, von zu Hause aus machen kann (Rufbereitschaft), aber auch nicht viel Geld dafür bekommt, finden Bereitschaften C und D auf jeden Fall im Krankenhaus statt. Für Bereitschaften der Kategorie D bekommt man 80 % der Normalvergütung. Bei fünf, manchmal auch sechs Bereitschaften pro Monat bedeutet das ca. 30 % des Einkommens, auf die die Assistenzärzte (die sind es, die diese wegen der relativ hohen Vergütung begehrten Dienste machen) bei Wegfall der Bereitschaften verzichten müssten.
Angesichts eines Normalgehaltes von BAT II müsste man nun nicht befürchten, dass so ein Assistenzarzt dann bald Hungers sterben würde. Doch wer sich mit seinem Lebensstandard in Erwartung gleichbleibend hoher Bezüge eingerichtet hat, z.B. ein entsprechend teures Haus abzubezahlen hat, will verständlicherweise nicht verzichten. Von den Ärzten wird die Krankenhausleitung also schwerlich Vorschläge zur kostenneutralen Umsetzung des Urteils erwarten können.
Soll die Abschaffung der Nachtbereitschaften kein Geld kosten, also ohne Einstellung neuer Ärzte und Ärztinnen geregelt werden, dann geht das nur über die Umverteilung der verfügbaren Arbeitsstunden auf den ganzen Tag, und das heißt Schichtarbeit. Das heißt weiter, dass während der bislang normalen Arbeitsstunden weniger Personal als bisher vorhanden wäre. Im ungünstigsten Fall könnte das auch heißen, dass Operationen für 22.30 Uhr, Mitternacht oder 3.40 Uhr geplant werden würden – was wohl kein Patient wollen würde. Eine Beibehaltung der Bereitschaftsdienste, um so etwas abzuwenden, liegt allerdings auch nicht im Interesse der Patienten.

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