Substitution
Feb 102010
 

Lösung in Sicht?

Bürgerinitiative für Methadonversorgung lässt nicht locker

(iz) Seit drei Monaten warten Suchtkranke in Wilhelmshaven auf eine Lösung zur verlässlichen Substitution mit Methadon. Überforderte Ärzte warfen das Handtuch, zuständige Institutionen kamen ihrer Verantwortung nicht nach. Ohne die „Bürgerinitiative für die Sicherstellung der Versorgung von Drogenkranken“ wären das Problem und die Betroffenen wohl in einer Sackgasse gelandet.

Hintergrund: Heroinabhängige, bei denen die Entzugstherapie gescheitert ist, können mit Methadon substituiert werden. Sie nehmen täglich in der Praxis des betreuenden Arztes ihre Dosis des Ersatzstoffes ein und haben dann einen geregelten Tagesablauf ohne Entzugserscheinungen und Druck zur Beschaffung. Damit wird dem Teufelskreis aus Beschaffungskriminalität und Sekundärerkrankungen durch infizierte Spritzen bis hin zum tödlichen „Goldenen Schuss“ entgegengewirkt.
Die betreuenden Ärzt/innen brauchen eine spezielle Fortbildung, jede/r darf maximal 50 Substituierte betreuen (ohne diese Zusatzausbildung max. 3 Patienten). Wenn nur zwei Ärzte in einer Stadt oder Region das schultern, bedeutet es Einsatz auch an jedem zweiten Wochenende und an Feiertagen sowie Belastung durch die Budgetierung der Krankenkassen und viel Schreibkram. Mindestens 200 Menschen in Stadt und Umland gehören zu dem Kreis, für den diese Therapie sinnvoll ist. Die Diakonie schätzt die Zahl der hiesigen Heroinabhängigen auf 400.

Chronologie: Anfang November 2009 hatten Drs. Abelmann und Gradwohl angekündigt, die tägliche Versorgung von Patient/innen mit Methadon einzustellen, weil sie sich mit der Aufgabe alleingelassen und überfordert fühlen.
Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) hat den Auftrag, die Behandlung jeder Krankheit sicherzustellen. Die KV Wilhelmshaven blieb hier aber untätig. Die Betroffenen starteten daraufhin eine bundesweit einmalige Aktion: Wochenlang hielten sie in winterlicher Kälte tägliche Mahnwachen vor der KV in der Kirchreihe ab. Schwarze Kreuze erinnerten dabei an Verstorbene, die mangels ausreichender Unterstützung ihrer Suchterkrankung zum Opfer gefallen waren. Die Beteiligten waren selbst schockiert, als ihnen bewusst wurde: 42 Tote waren im Gedächtnis geblieben. Die Mahnwachen schlugen Wogen bis zum bundesweiten Ärztekongress in Berlin, wo Abelmann über die Situation in WHV berichtete. Die Kollegen zeigten sich beeindruckt vom Engagement der Betroffenen.
Die KV blieb stur. Die Mahnwache wurde zum Reinhard-Nieter-Krankenhaus (RNK) verlagert. Wenn eine dezentrale Versorgung nicht mehr gewährleistet ist, bietet es sich an, eine zentrale Schwerpunktpraxis einzurichten. Die Kosten dafür – ca. 60.000 Euro im Quartal – muss die KV übernehmen. Eine große Klinik sollte die Voraussetzungen dafür haben, das Raumangebot und die erforderliche medizinische und personelle Infrastruktur, auch für die psychosoziale Betreuung. Im Rat der Stadt gab es Anträge, um über den Aufsichtsrat des RNK Bewegung in die Sache zu bringen – erfolglos.
Ende November gründete sich die Bürgerinitiative für die Sicherstellung der Versorgung von Drogenkranken und startete eine Informations- und Öffentlichkeitskampagne, unter anderem über eine sehr gut gemachte Website (www.schwerpunktpraxis-wilhelmshaven.de).
Mitte Dezember berichtete SAT1 über die Situation in WHV. Darin ließ KV-Sprecher Scherbeitz verlauten, er könne Ärzte ja nicht zwingen, die Substitution zu übernehmen. Natürlich nicht – aber solange die KV die erforderliche Finanzierung verweigert, macht auch kein Arzt freiwillig mit. Zu der Zeit hatten sich bereits vier Ärzte bereit erklärt, sich zu beteiligen, wenn die Voraussetzungen stimmen.
Anfang Januar trafen sich auf Einladung der BI Betroffene mit Unterstützern im Banter Gemeindehaus. Vertreten waren auch die Wilhelmshavener Aidshilfe und aus der Politik Mitglieder der Linken, der Grünen und der Freien Wähler. Anwesende Ratsmitglieder waren nur Karlheinz Föhlinger (SPD) und Johann Janssen (Linke), der 1989 als Arzt das Methadonprogramm in WHV ins Leben rief und bis zum Ruhestand mit betreute. Janssen moderierte die Diskussion, berichtete über den Sachstand und steuerte fachliche Infos über rechtliche und medizinische Rahmenbedingungen bei. So gelang es, viele schräge Darstellungen der vergangenen Wochen richtigzustellen.

Selber schuld?
Für Empörung sorgte eine Presseinformation von FDP-Sprecher Dr. Michael von Teichman, der forderte, die Betroffenen binnen eines Jahres durch Entzug „zu heilen“. “Methadon hält Betroffene in Abhängigkeit…Somit wäre ein Konzept zu entwickeln, das mittelfristig zu einem Ausstieg aus dem Drogenkonsum führe…Notwendig ist ein Stufenprogramm, um innerhalb Jahresfrist den Ausstieg aus der Abhängigkeit zu erreichen, dann sind auch Mahnwachen und anderes nicht mehr erforderlich. Die dort eingebrachte Energie sollte lieber für den Totalausstieg genutzt werden.” Als Arzt sollte er es besser wissen. „Wie man als Arzt solche Ansichten vertreten kann, ist mir unbegreiflich. Drogensucht ist eine Krankheit, die eben nicht durch Willensakte, sondern durch Behandlung gelindert werden kann, die auch nie „geheilt“ wird“, brachte es Bettina Richter in einem Leserbrief auf den Punkt.
Es gibt noch derbere Kommentare, in der Richtung „lasst sie doch verrecken, sie sind doch selbst schuld an ihrer Sucht“. Zum Vergleich (Anm. d. Red.): In Deutschland sind schätzungsweise 300.000 Menschen heroinabhängig, 3 Mio alkoholabhängig, 1 Mio (plus hohe Dunkelziffer) leiden unter suchtbedingten Essstörungen. Ein „trockener“ Alkoholiker ist noch lange nicht (oder nie) „endgültig geheilt“ – wer käme auf die Idee, ihm Antidepressiva zu verweigern, die er benötigt, um die Krankheit unter Kontrolle zu halten und sein Leben in den Griff zu kriegen? Wer würde jemandem, der sich durch ungesunde Lebensführung, Übergewicht etc. bleibende Schäden wie einen Diabetis, Organ- oder Gelenkerkrankungen eingehandelt hat, die notwendigen Medikamente entziehen wollen? Bei dem Treffen waren übrigens auch zwei Alkoholiker, die den Heroinabhängigen Verständnis und Solidarität entgegenbrachten.
Bewundernswert ist der Mut, mit dem die Betroffenen an die Öffentlichkeit gehen. So die Wilhelmshavenerin Gaby de Winter, die seit über 20 Jahren substituiert. Für sie ist Methadon das „Lebenselixier“. In einem Leserbrief an die WZ schilderte sie die Situation Betroffener. Seitdem erhält sie Drohbriefe von unverbesserlichen „Mitbürgern“, einen Brief hatte sie zu dem Treffen mitgebracht. Unfassbar, was für menschenverachtendes Zeugs die Leute von sich geben.

KV bleibt in der Pflicht
Im Ergebnis blieb es dabei: Auch wenn Stadt, Gesundheitsamt und andere Institutionen ihren Teil beitragen können, die Verantwortung bleibt bei der KV. (Allerdings könnten auch die Krankenkassen von sich aus aktiv werden, dann muss die KV zahlen.) Im Prinzip galt es nur, den Knoten zu zerschlagen: Die substitutionsbereiten Ärzte warten auf ein positives Signal der KV für die Kostenübernahme, diese wiederum sagt, es gäbe noch nicht genug bereitwillige Ärzte.
Dankenswerterweise wurde das Thema von WZ-Redakteur Stefan Giesers von Anfang an pressewirksam begleitet. Er war auch bei dem Treffen in der Banter Kirche anwesend und nahm die Anregung mit auf den Weg, über eine von seiner Zeitung moderierte Podiumsdiskussion die Verantwortlichen unausweichlich in die Pflicht zu nehmen.

Ministeriumsmühlen …
Zwischenzeitlich hat Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler über das Bürgerportal Wilhelmshaven einen offenen Brief erhalten, worin ihm das Problem geschildert wird, mit der Bitte um Abhilfe. Drei Wochen später kam Antwort aus seinem Büro: „ … Der Sicherstellungsauftrag einer Kassenärztlichen Vereinigung umfasst auch die ausreichende Versorgung mit vertragsärztlichen Leistungen bei der Substitutionsbehandlung der Drogenabhängigkeit gemäß den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses. Sollten Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Kassenärztliche Vereinigung ihrem Sicherstellungsauftrag nicht nachkommt, wäre es Aufgabe der zuständigen Aufsichtsbehörde, den Sachverhalt zu überprüfen. Das ist in diesem Fall das niedersächsische Sozialministerium. Das Bundesministerium für Gesundheit ist hierzu nicht befugt.“ Wohl aber wäre das Rösler-Ministerium befugt gewesen, die Angelegenheit mit einem weiteren Brief direkt dem Nds. Sozialministerium zuzuleiten. Das hätte sicherlich eine durchschlagendere Wirkung erzielt, als wenn nun die BI sich dorthin wendet.
Dafür hat Stefan Giesers seine Hausaufgaben erledigt: Anfang Februar lud die WZ KV-Sprecher Helmut Scherbeitz zum Gespräch („WZ-Stammtisch“) mit Matthias Abelmann und Johann Janssen sowie René Grotzek von der Fachstelle Sucht der Diakonie, Ursula Aljets als Vorsitzende des Sozialausschusses und Sozialdezernent Jens Stoffers. Immerhin: Im Mai soll die nächste suchtmedizinische Fortbildung beginnen, kündigte Scherbeitz an. Finanziell sieht er aber „wenig Spielraum und nur die Möglichkeit für eine Starthilfe“. Als „Starthilfe“, also finanzielle Absicherung sind die 60.000 Euro pro Quartal für die Schwerpunktpraxis ja auch gedacht bis die Praxis sich selbst trägt Die Stadt, so Stoffers, kann sich an den Kosten nicht beteiligen, wohl aber zumindest zeitweise personell mit Amtsärzten.
Bis Mai ist es noch lange hin, wobei man die Zeit für die Einrichtung der Praxis nutzen könnte, in der die fortgebildeten Ärzte dann die Substitution betreuen. Für die Betroffenen wird es eng. Seit Anfang Februar bekommen sie ihr Methadon nur noch als „Take home“ verordnet: eine Wochenration, die sie zu Hause einnehmen. Es fordert den Patienten, die ohnehin durch die Ungewissheit und den Kampf der letzten Wochen gestresst sind, viel Selbstdisziplin ab, das Medikament vorschriftsmäßig einzunehmen. Abelmann fürchtet, dass  einige das nicht packen. Wir drücken die Daumen, dass sie dafür die gleiche Kraft mobilisieren können, mit der sie für ihre Rechte auf die Straße gegangen sind. Und dass sich die Verantwortlichen nach dem Austausch am „Stammtisch“ nicht erst mal zurücklehnen und die BI weiterhin breite Unterstützung erfährt.

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