Kein Umzug – keine Arbeit
Warum Frau T. weiterhin ein Wilhelmshavener Sozialfall ist
(ub) Seit 12 Jahren lebt Erika Taubert von der Sozialhilfe. Da sie durch eine Erkrankung an Kinderlähmung stark gehbehindert ist, sind die Möglichkeiten der allein erziehenden Mutter, durch eigene Erwerbstätigkeit den Unterhalt für sich und ihre 15-jährige Tochter zu verdienen, mehr als schlecht. Eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung als Gebärdendolmetscherin könnte plötzlich eine (und die vielleicht letzte) berufliche Chance für die 39-jährige eröffnen. Nicht hier in Wilhelmshaven, aber Erika Taubert ist bereit, für diese Chance in die Nähe von Hamburg zu ziehen. Das Sozialamt Wilhelmshaven sieht Gründe, ihr die Umzugsfinanzierung zu verweigern. Die Frage, ob Frau Taubert ihre Wiedereingliederungschance erhält oder aber womöglich noch sehr lange auf Sozialhilfe angewiesen ist, wird jetzt vor Gericht entschieden.
Erika Taubert hat über ihren Rechtsanwalt Klage gegen die Stadt Wilhelmshaven erhoben.
Im Juli dieses Jahres hat Frau Taubert beim Sozialamt der Stadt Wilhelmshaven die Übernahme der Umzugskosten und der Kaution sowie der ersten Monatsmiete für eine Wohnung in Pinneberg beantragt. Dorthin wollte sie ziehen, weil ihr im Großraum Hamburg von einem Weiterbildungswerk Arbeit als Gebärdendolmetscherin angeboten wurde. In Hamburg hat auch der Gehörlosenverband seinen Sitz. Diese Organisation vermittelt ebenfalls Honorartätigkeiten für Gebärdendolmetscher/innen. Allerdings – und daran stoßen sich Sachbearbeiter und Amtsleiter des Wilhelmshavener Sozialamtes – einen Arbeitsvertrag, aus dem u. a. auch hervorgeht, wie hoch ihr zukünftiges Arbeitsentgelt sein wird und der auch den Arbeitsumfang vertraglich regelt, kann Erika Taubert nicht vorweisen. Die zuständige Sachbearbeiterin des Sozialamtes verweist in ihrem Ablehnungsbescheid darauf, dass das Hamburger Weiterbildungswerk der Firma Salo und Partner in einem Schreiben an Frau Taubert „nicht sicherstellt, dass Sie dort zum 01.09.1999 eine Arbeitsstelle haben, sondern es ist in dem Schreiben die Rede von einem Interesse an der Zusammenarbeit mit Ihnen“. Auch der Gehörlosenverband hat Interesse bekundet, bei Bedarf an Frau Taubert entsprechende Honorartätigkeiten zu vermitteln. Gebärdendolmetscher/innen arbeiten nahezu ausschließlich freiberuflich. Sie werden nach Bedarf vermittelt. Sei es, um eine berufliche Weiterbildungsmaßnahme für Hörbehinderte über einen längeren Zeitraum zu betreuen, oder sei es, weil ein/e Gebärdendolmetscher/in punktuell von Amts wegen bspw. vor Gericht notwendig ist. Auf Bitten von Frau Taubert hat eine Mitarbeiterin der Firma Salo Partner Weiterbildungswerk Hamburg dem Sozialamt telefonisch erklärt, warum „ein schriftlicher Anstellungsvertrag nicht geschlossen werden kann. Es ist so, daß mit Wirkung ab 1.9.99 Frau Taubert als Selbständige freiberuflich für die Firma als Gebärdendolmetscherin in Schwerin tätig werden soll…“ (Aus dem Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid). Diese übliche Praxis beim Berufsbild der Gebärdendolmetscherin ist dem Sozialamt auch durch entsprechende Informationen des hiesigen Arbeitsamtes bekannt. Auch der Gehörlosenverband hat per Fax die Aufnahme in die Gehörlosendolmetscherkartei zugesagt. Die Volkshochschule Pinneberg hatte bereits mit Frau Taubert einen Honorarvertrag zwecks Ausbildung von Gehörlosendolmetscher/innen abgeschlossen. Dem Sozialamt Wilhelmshaven liegt ein Kursverzeichnis der VHS Pinneberg mit Frau Taubert als Kursleiterin vor.
Dennoch wird von Amts wegen weiterhin quasi Unmögliches verlangt. In dem von Amtsleiter Schulz unterzeichneten Ablehnungsschreiben bezüglich des Widerspruchs von Frau Taubert heißt es erneut: „ Laut dem von Frau Taubert vorgelegten Schreiben der Firma war…nicht sichergestellt, dass Frau Taubert dort zum 01.09.1999 eine Arbeitsstelle hat, sondern es ist in dem Schreiben die Rede von einem Interesse an der Zusammenarbeit mit ihr … Durch die … vorgelegten Schreiben wird aber eine … Arbeitsaufnahme nicht definitiv dokumentiert. Sondern nur in Aussicht gestellt.“
Die Nachfrage nach qualifizierten Gebärdendolmetscher/innen ist größer als das vorhandene personelle Angebot. Über mangelnde Arbeit könnte sich Frau Taubert vermutlich nicht beklagen. Bei einem üblichen Stundenhonorar von ca. 78.- DM ist davon auszugehen, dass sie zudem auf Dauer unabhängig von der Sozialhilfe leben könnte. Um aber Anfangsschwierigkeiten auszugleichen, hatte Frau Taubert an der VHS Pinneberg eine Honorartätigkeit als Kursleiterin angenommen. Dass sie auch zusätzlich noch einen 630. – DM-Job bei einer Immobilienfirma als Telefonistin nachweisen kann, wird ihr anscheinend endgültig zum Verhängnis.
Wurde zunächst von Seiten des Sozialamtes bezweifelt, dass Frau Taubert in Pinneberg überhaupt Arbeit bekommt und damit auch erst eine Sozialhilfeleistung in Form von Umzugsfinanzierung gerechtfertigt ist, wird plötzlich angezweifelt, „dass Frau Taubert diese verschiedenen Arbeitsstellen wahrnehmen kann…es ist zu berücksichtigen, daß Frau Taubert einen GdB (Schwerbehinderung –ub- ) von 80 % hat.“ (Amtsleiter Schulz in der Abweisung des Widerspruchs).
Einen weiteren Grund, den Antrag von Frau Taubert abzulehnen, sieht das Sozialamt in der Miethöhe der von Erika Taubert in Pinneberg angemieteten Wohnung. Die neue Miete ist „sozialhilferechtlich nicht angemessen.“ (ebenda) Zwar wird anerkannt, dass Erika Taubert aufgrund einer 80%igen Schwerbehinderung auf eine behindertengerechte Wohnung angewiesen ist, aber „bei Frau Taubert handelt es sich (jedoch) um eine gehbehinderte Dame, nicht um eine Rollstuhlfahrerin.“ (!!) Das Sozialamt hat errechnet, dass sich die Kosten incl. der Renovierung der jetzigen Wohnung E. Tauberts, des Möbeltransports, der Mietkaution sowie der 1. Monatsmiete auf ca. 13.500.- DM belaufen würden. Dazu heißt es im Ablehnungsschreiben: „Bei objektiver Betrachtung sind die anstehenden Kosten unangemessen hoch.“ (ebenda)
Frau Taubert verweist gegenüber dem Gegenwind darauf, dass anderen Ortes der den Behörden aufgrund obiger Sachlage durchaus zur Verfügung stehende Ermessensspielraum weitaus entgegenkommender genutzt worden wäre. „In Friesland“, so wurde ihr dort zugetragen, „hätte schon allein die Honorartätigkeit bei der VHS Pinneberg einen positiven Unterstützungsbescheid erwirkt.“ Das Verwaltungsgericht Oldenburg hat sich allerdings in der Ablehnung einer von Frau Tauberts Rechtsanwalt beantragten einstweiligen Anordnung gegen die Stadt Wilhelmshaven der Argumentationslinie des Wilhelmshavener Sozialamtes weitestgehend angeschlossen. Erika Taubert glaubt nicht mehr an eine einvernehmliche Lösung des Problems. Alle Angebote ihrerseits, die Kosten des Umzuges durch aktive Einbindung ihres Freundeskreises so weit als möglich zu reduzieren, haben nicht zum Einlenken der Wilhelmshavener Sozialbehörde geführt. Erika Taubert will aber auch nicht aufgeben. „Dieser Job ist vermutlich meine letzte Chance, jemals ohne das Sozialamt leben zu können.“ Sie hat deshalb ihren Rechtsanwalt beauftragt, eine Klage gegen die Stadt Wilhelmshaven zu führen.
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