„Nachruf“ auf Boxer & Co.
Berichtenswertes von der Landesbühne im Herbst 1999
(iz) Mit großem Interesse verfolgen wir das Programm unserer Landesbühne. Bedingt durch unsere Erscheinungsweise können wir leider nicht immer zeitnah zum Start einer neuen Inszenierung darüber berichten. In der kommunalen Chronik dürfen jedoch Meilensteine des kulturellen Geschehens nicht fehlen. Damit meinen wir nicht die Querelen zwischen Intendant Hess und seinem Ensemble, die derzeit überall breitgetreten werden. Sondern drei Stücke, die wir sehr wichtig fanden.
Begeistert hat uns diese kurze Geschichte einer scheinbar verrückten Freundschaft zwischen einem Jugendlichen und einem alten Mann. Die Thematik wurde schon in der Spielzeit 1992/93 mit „Zimmer frei“ aufgegriffen: Die anfängliche Verachtung der Jugend für den alten Menschen – letztlich Verdrängung von etwas, das unbekannt, nicht erstrebenswert, vielleicht sogar bedrohlich erscheint. Der Alte, der die seelische Misshandlung geduldig erträgt – bis sich die Chance bietet, einen Draht zueinander herzustellen, eine Beziehung, von der am Ende beide profitieren.
„Das Herz eines Boxers“ kommt – im Unterschied zu „Zimmer frei“ – ohne Klischees und Extreme aus und ist dadurch stärker. Keine Chance, sich vom Schicksal der Protagonisten abzugrenzen, weil sie letztlich exotische Kunstfiguren wären. Jojo ist ein normaler Jugendlicher, auch ohne Drogen oder abstrusen Neigungen hat er Probleme und verursacht welche; und Opa ist nicht immer gütig und geduldig. Ihr Weg zueinander ist behutsam, glaubwürdig und nachvollziehbar. Nach jedem Schnitt Szenenapplaus – im hiesigen Theater eine seltene Erscheinung. Als jedoch Leos erster Fluchtversuch aus dem Heim scheitert und er als einzigen Ausweg den Freitod sieht, verstummt das Publikum mit einem Kloß im Hals. Schließlich geht Leo wirklich, als es zwischen den beiden am schönsten ist – aber nicht in den Tod, sondern mit Jojos Hilfe – jeder der beiden ungleichen Freunde hat seine Stärken – zu einem Freund nach Südfrankreich. Und der Zuschauer, nach ausgiebigem Beifall für Jörg Bitterich (Jojo) und Hans H. Kordeck (Leo), geht lächelnd nach Hause. Das Stück hinterlässt mehr Hoffnung und Erkenntnisse, um die Kluft zwischen Alt und Jung zu überwinden, als so manches Jugendhearing
Ein seltsames Paar begegnet uns auch in diesem Studiostück: Zwei Gastronomieprüfer, der Pedant Fellner und der Prolo Bösel, die wirklich nichts verbindet als ihr gemeinsamer Job. Bösel kommuniziert von Anfang an nur unterhalb der Gürtellinie, Intimsphäre – jedenfalls die anderer – ist ihm ein Fremdwort. Als Fellner auf dem gleichen Niveau nachzieht, scheint es unerträglich zu werden. Doch genau dadurch wird die Annäherung zwischen den beiden möglich. In einem sehr intimen Moment, nämlich als Bösel auf dem Klo sitzt, wird er von Fellner belagert – bis Bösel feststellt: „Wissen Sie, dass sie der erste Mensch sind, in dessen Anwesenheit ich kacken kann?“ Irgendwo zwischen Loriot und Eckhard Henscheid ist diese kabarettistische Groteske angesiedelt, und egal ob man den ernsten Kern dahinter sehen oder einfach mal wieder Tränen lachen will, ist das Stück, das Zusammenspiel von Matisek Brockhues (Fellner) und Thomas Henninger von Wallersbrunn (Bösel) sehenswert. Obwohl es im letzten Drittel einen Bruch gibt: die Komödie wird zur Tragödie. Ende einer Dienstfahrt, Fellner stirbt ruckzuck, wenn auch unter äußerst grotesken Begleiterscheinungen, einfach weg. Als es zwischen den beiden am schönsten ist. Da kriegt das Stück eine richtige Botschaft, und das mag nicht so richtig zum ersten Teil passen, so schnell kann und will man nicht „umschalten“. Durch den nahen Tod kapiert Fellner erst richtig, dass es andere, bessere Lebensphilosophien gibt als seine (geordnete), aber das hätte es gar nicht gebraucht, um zu vermitteln, wie gut es tut, die Dinge mal von einem anderen Standpunkt zu betrachten. Zum Beispiel von Indien aus, das immer herhalten muss, wenn Fellner Bösel zum Umdenken bewegen will.
Verschiedene Standpunkte – nämlich oben und unten – sind auch der Kern von „Berlin Underground“. Oben sind die etablierten, ignoranten Intellektuellen einer gescheiterten, zerrissenen Metropole. Unten sind die Loser. Sie vegetieren, in Brechtscher Tradition („die im Dunkeln sieht man nicht“) in den Schächten der U-Bahn. Das Verkehrsmittel der Großstadt, für die „oben“ Hilfsmittel für hektische Betriebsamkeit, für die anderen die letzte Zuflucht. Diese Symbolik ist im Bühnenbild sorgfältig umgesetzt. In stets wechselnder Perspektive – oben und unten – setzt sich die Botschaft des Stückes wie ein Puzzle aus Dutzenden kurzer Szenen zusammen, über 110 Minuten, in denen dem Publikum bewusst keine Pause gegönnt wird. Am Ende identifiziert man sich mit Frank, der Kernfigur. Dem Fotografen, der daran zerbricht, das allgegenwärtige Elend nicht bewältigen zu können, wie immer er es auch anfasst. Als ihm die Unappetitlichkeit seines Tuns, mit dem fotografisch fixierten Elend berühmt zu werden, bewusst geworden ist; als er erkennt, dass die unten die „Opfer eine Freiheit sind, die nicht existiert“; als daraufhin seine Beziehungen nach „oben“ zerbrochen sind, bleibt er einsam zurück, weil er nach „unten“ keine wirkliche Beziehung entwickeln kann: Er bleibt stets der Voyeur. Eine echte Kommunikation zwischen oben und unten findet nicht statt; wer sich wirklich darauf einlässt, ze
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