Ratssplitter
Jul 012001
 

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vom 20. Juni 2001

Abzocke der Bürger

ist nach Meinung von CDU-Ratsherr Ender die Straßenausbaubeitragssatzung der Stadt. Oder besser: war, denn der Rat beschloss jetzt beinahe einhellig, diese erst vor zwei Jahren erschlossene Einnahmequelle wieder abzuschaffen. Es gab so viele juristische Auseinandersetzungen mit betroffenen BürgerInnen, dass der damit verbundene Verwaltungsaufwand in keinem Verhältnis zu den Einnahmen stand. Die Verwaltung empfahl, die Satzung beizubehalten. Nach Meinung von Oberstadtdirektor Schreiber sei der Haushalt gerade lobenswert konsolidiert worden und hätte sich „auf einer sicheren Basis stabilisiert“ (worüber man noch trefflich streiten könnte, denn seit dem warmen Regen durch Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft vor nicht mal einem Jahr sollen sich schon wieder zweistellige Millionensummen an Schulden angesammelt haben). Kämmerer Wolfgang Frank befürchtete, die Rücknahme der Satzung würde „bei der Aufsichtsbehörde nicht sehr positiv ankommen.“ Diese hatte damals weitere Bedarfszuweisungen davon abhängig gemacht, dass die Stadt zunächst sämtliche Einnahmequellen ausschöpfen würde. Eine Rechtspflicht zur Erhebung von Straßenausbaubeiträgen besteht laut Nds. Gemeindeordnung nicht. Frank wies auch darauf hin, dass nach Aufhebung der Satzung ca. 1 Mio DM an vormals beitragspflichtige BürgerInnen zurückgezahlt werden müssen.

Ta-taaaa! …Wilhelmshaven bekommt eine neuen Flächennutzungsplan!

Nach fast einem Vierteljahrhundert und an die 50 Änderungen soll nun das stadtplanerische Puzzle zu einer nagelneuen Basis zusammengefügt werden. Anlass ist – wer hätte das geraten? – die Planung zum JadeWeserPort, durch den, so Mehrheitsgruppensprecher Siegfried Neumann, die Fläche des Stadtgebietes um 1/3 wachsen wird (da ist wohl die 2. Ausbaustufe schon mit kalkuliert). Drei Jahre und eine halbe Million DM sind für die Überarbeitung veranschlagt – Investitionen, die sich lohnen. Meinen auch wir (der GEGENWIND) und sicher auch die Naturschutzverbände – und zweifeln gleichzeitig daran, dass der neue Plan richtungsweisend für eine ökologisch orientierte Stadtplanung sein wird. Im schlechtesten Falle hilft er, auch die letzten innerstädtischen Biotope zu entlarven und zielgerichtet zu versiegeln. Nachdem Grüne und CDU sich fertig gestritten hatten, wer als erster schon vor etlichen Jahren einen neuen FNP gefordert hatte, wurde der Antrag der Mehrheitsgruppe bei einer Gegenstimme verabschiedet.

Staun!!…

ein Antrag von FDP-Ratsvertreter von Teichman fand allgemeine Zustimmung des Rates. In der Regel hat er die „KollegInnen“ der anderen Parteien gegen sich und umgekehrt (so stimmte er als einziger gegen den neuen Flächennutzungsplan – „wir leben seit 1973 mit dem alten, ist der Stadt dadurch Schlechtes widerfahren?“), doch seinem Vorschlag, durch eine/n zusätzliche/n VertreterIn des Stadtelternrates vor allem die Stellung der Berufsbildenden Schulen im Schulausschuss zu stärken, wurde in bemerkenswert sachlicher Form beigepflichtet.

Und hier ein Rats-Meteorit:

Des Kaisers neue Kleider: Ein Leidbild

oder Lightbild? Oder wie auch immer – soll Wilhelmshaven in eine zukunftsorientierte Entwicklung führen. Vor einigen Monaten wurden VertreterInnen von 60 hiesigen Institutionen ein Wochenende zusammengepfercht und – unter Moderation eines sicher nicht billigen Instituts (KOMET) – zum kreativen Gedankenaustausch für ein LEITBILD angehalten, bis weißer Rauch kam. KOMET hat die Ergebnisse zu einem 14seitigen Papier zusammengetragen, davon 2 Seiten Ist-Analyse („so sehen wir uns heute – darauf bauen wir auf“) und 9 Seiten Visionen („so wollen wir sein – die zukünftige Entwicklung“). Das Papier wäre, als Realsatire, ganz lustig – wenn es nicht ernst gemeint wäre. Fürwahr, ein schöner Traum (s. Kasten).
Beeindruckt zeigte sich Ratsfrau Aljets über die Methode, mit der das Leitbild zusammengetragen wurde. Auch Neumann sprach von einem „wohltuenden Moderationsverfahren“. Nun durfte der GEGENWIND mangels Einladung nicht live bei der Veranstaltung dabei sein (Radio Jade wurde übrigens, als es aktiv Interesse an der Teilnahme bekundete, konkret ausgeladen), doch wir vermuten mal, dass KOMET moderne Moderations- und Kreativtechniken eingesetzt hat, wie sie heute gang und gäbe sind. Wie sie z. B. von Christina Heide und Carsten Feist kompetent bei zahlreichen Treffen zur Lokalen Agenda 21 eingesetzt wurden. Und hier kommen wir wieder zum „chronischen Außenseiter“ von Teichman, der, in diesem Fall für uns nachvollziehbar, deutliche Vorbehalte gegenüber dem Leitbild äußerte: Er verwies nämlich auf eben die Agenda und deren Ergebnispapier, das nun seit einem Jahr „auf Eis liegt“ – von Teichman plädiert dafür, zunächst dessen Umsetzung zu verfolgen, statt ein neues Schubladenpapier hochzujubeln (Ergänzung der Redaktion: Die Agenda entstand in einem vergleichbaren, allerdings ausführlicheren Prozess wie das Leitbild und führte zu einem – vom Aufbau her – vergleichbaren Papier. In den Randnotizen sind gleichfalls Visionen ohne Konjunktiv als greifbare Ziele zusammengefasst. Nur dass die Agenda einschließlich Ergebnisbericht ohne vergleichbares Brimborium ehrenamtlich von stinknormalen BürgerInnen erarbeitet wurde und entsprechend keinen Nachhall in der Tagespresse fand …) Hätten sich Frau Aljets und andere KollegInnen, wie von Teichman (übrigens als einziger Ratsvertreter), von Anfang bis heute intensiv an der Agenda beteiligt – des Kaisers neue Leitbild-Kleider hätten sie wohl weit weniger beeindruckt. Wenig positiv beeindruckt war übrigens auch Ratsherr Dasenbrook: Das Ergebnispapier wurde erst kurz vor der Ratssitzung ausgeteilt – und jene Ratsmitglieder, die an der Entstehung nicht beteiligt waren, sollten es ohne vorherige Lektüre mit verabschieden. Dass Dasenbrook gleich im Anschluss an die Ratssitzung seinen Austritt aus der SPD bekundete, hatte allerdings andere Gründe.
Was fehlt, ist, bis wann diese Ziele des Leitbildes umgesetzt sein sollen: 2020? 2050? 3002? Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie den GEGENWIND ab Ausgabe 1: Wenn die Verantwortlichen weiter so handeln und entscheiden wie gehabt, werden auch ihre Ururenkel die Verwirklichung der Vision einer Traumstadt nicht mehr erleben.

Auszüge aus dem „Leitbild für die zukunftsorientierte Entwicklung Wilhelmshavens“
„Ein moderner und leistungsfähiger öffentlicher Personennahverkehr … gewährleistet durch ein bedarfsgerechtes und preislich attraktives Angebot die Mobilität der Bevölkerung … Wilhelmshaven ist eine fahrradfreundliche Stadt … Wilhelmshaven ist eine Stadt mit hoher Lebensqualität, in der sich Bürgerinnen und Bürger und Besucher wohlfühlen … Die Stadt ist frei von sozialen Brennpunkten … In der Stadt herrscht ein vorbildliches Integrationsverhalten gegenüber … ausländischen Mitbürgern … Ausdruck des maritim geprägten Denkens und Handelns ist nicht zuletzt die Weltoffenheit der Stadt Wilhelmshaven … Wirtschaftliche Entwicklung ist gewünscht, deren Ausgestaltung erfolgt umweltverträglich. Die zahlreichen Grünflächen innerhalb der Stadt dienen auch der Naherholung … Wilhelmshaven steht in gemeinsamer Verantwortlichkeit aller Beteiligten für die Entwicklung eines attraktiven und lebendigen „Einkaufs- und Erlebnisraums Innenstadt“ mit hoher Aufenthaltsqualität und ansprechendem Erscheinungsbild … Wilhelmshaven hat eine klare positive Botschaft, mit der sich die Bürgerinnen und Bürger identifizieren und die sie selbstbewusst nach innen und außen kommunizieren. Die Bürgerinnen und Bürger erleben die hohe Lebensqualität in Wilhelmshaven und sind von ihrer Stadt überzeugt … Wilhelmshaven ist geprägt von einer fairen Zusammenarbeit aller an der Entwicklung der Stadt beteiligten Institutionen, Verbände und Vereine. Informationsaustausch und Kommunikation besitzen einen hohen Stellenwert. In Wilhelmshaven ist das Handeln von Verwaltung und Politik von einer deutlichen ‚Bürgerorientierung’ geprägt …“ und so weiter und so fort.
Free Peter

sagte sich ein Investor, der in Kürze den Seehundknast am Südstrand einschließlich Seehafenrestaurant Columbus zu einer für Mensch und Tier attraktiven Einrichtung umbauen will. In diesem Sinne befürwortete der Rat die kurzfristige Schließung des Seewasseraquariums in der laufenden Saison, da aus Gründen des Deichschutzes der Umbau bis zum Winter über die Bühne gehen muss. Die Fische werden weder ausgewildert noch von Nordfrost zu Stäbchen verarbeitet, sondern in ein Institut nach Kiel verbracht. OB Menzel, vor der Sommerpause um eine humorvolle Einlage bemüht, enttäuschte die RatskollegInnen, das erwartete Fischessen fiele also aus, beruhigte sie aber gleichzeitig, die Tiere kämen nicht nach Cuxhaven (s. unten). Für Seehundveteran Peter und seine Leidensgenossen gibt es bislang noch kein Asyl. Vielleicht findet sich nach Veröffentlichung in „Guten Morgen Sonntag“ jemand mit einer ausreichend großen Badewanne.

„Sauer bis zum Geht-nicht-mehr“

ist Wilfried Adam über das „laufende Störfeuer“, mit dem Cuxhaven gegen den Entscheid für einen Containerhafen in Wilhelmshaven mobil macht. Unter anderem war in den Cuxhavener Nachrichten von einer „Fehleinschätzung der SPD-Landesregierung“ die Rede. Uwe Biester, dessen Cuxhavener CDU-Parteifreund Christian Biallas für den Pressekrieg gegen Wilhelmshaven verantwortlich gemacht wird, mahnte jedoch, gelassen zu reagieren: „Cuxhaven kann Wilhelmshaven nicht ernsthaft gefährden“. Schließen wir an dieser Stelle mit der abgelutschten Zeitungsfloskel: Wir sind gespannt, ob Herr Biester Recht behält.


 

Die Ratssplitter wurden mal wieder zusammengekehrt von Imke Zwoch

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