KSW 2
Jul 091990
 

Ein Engel für Trautmann

KSW-Betriebsratsvorsitzender zwischen allen Stühlen

(noa) Der wohl am heftigsten attackierte und am wenigsten geliebte Mann in Wilhelmshaven ist zur Zeit schätzungsweise der Betriebsratsvorsitzende der KSW, Reinhard Engel.

Am Tag, an dem 306 Mitarbeiter der KSW ihre Freistellung mitgeteilt bekamen, suchten sie vergeblich Rat und Hilfe bei ihrem Betriebsratsvorsitzenden: Herr Engel hatte Urlaub genommen. Verständlich, denn er konnte in dieser Situation nicht mit allzu viel Sympathie seitens seiner Kollegen rechnen, warfen sie ihm doch vor, daß er nichts unternommen hatte, um die Auswahl der Freizustellenden gerechter zu gestalten.
Nun, daran hätte Herr Engel nichts drehen können. Eine Sozialauswahl ist erst bei einer Entlassung vorgeschrieben (siehe Kasten „Freistellung“).
Zu der Veranstaltung des Ausländerbeirates im Banter Gemeindehaus in der auf die Konkurseröffnung folgenden Woche war auch Reinhard Engel eingeladen.  Er zog es vor, fernzubleiben , da er sich „nicht totschlagen lassen“ wollte.
Es war auch wirklich eine Zwickmühle, in der er sich befand. Mit großer Mehrheit in den Betriebsrat gewählt, ist er allen seinen Kollegen verpflichtet. Doch als es um die Freistellungen ging, glaubte er, nur der einen oder der anderen Hälfte der Belegschaft dienen zu können.
Er unterschrieb einen Interessenausgleich, der dem Vernehmen nach weiter nichts enthält als die Festlegung, daß ein Sozialplan für alle zu Entlassenen aufgestellt wird. Im Sinne eben dieses Teils der Belegschaft wäre es jedoch gewesen, den Interessenausgleich nicht zu unterschreiben.

Bild: Erwin Fiege

Bild: Erwin Fiege

Das Gesetz sieht vor, daß bei einer Betriebsänderung ein Interessenausgleich ausgehandelt wird zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat für die von der Änderung betroffenen Mitarbeiter. Kommt dieser Ausgleich nicht zustande, läßt sich daraus ein Anspruch auf eine Abfindung für die entlassenen Arbeitnehmer herleiten. Ein solcher Abfindungsanspruch ist eine Masseschuld und wird bevorzugt befriedigt.
Zahlungen aus einem Sozialplan hingegen, von vorneherein schon geringer im Umfang, sind keine Masseschulden, sondern Konkursforderungen. Sie werden befriedigt, wenn alle anderen Gläubiger ihren Anteil erhalten haben, denn sie stehen in der Rangfolge ganz weit unten. Wenn dann überhaupt noch Geld da ist, dann nur ganz geringfügige Summen.
Engel unterschrieb den Interessenausgleich, damit die Freigestellten keine Abfindung beanspruchen können und das Geld in der Firma bleibt. Böse Zungen behaupten, er habe dabei in erster Linie seinen eigenen Arbeitsplatz im Sinn gehabt.
Das würde jedoch voraussetzen, daß Reinhard Engel ernsthaft an ein Weiterbestehen der KSW geglaubt hat. Und das war wohl nicht der Fall. Die GTB, mit der er sich beraten hat, ging davon aus, daß nach dem Auftrag, an dem die verbliebenen Mitarbeiter gegenwärtig arbeiten, Schluß sein wird. Hätten bis zu diesem Zeitpunkt einige der Ende Mai Freigestellten Abfindungen erstritten, dann wären sie besser weggekommen als die, die noch zwei Monate länger arbeiten durften, falls sie den Anspruch auf Abfindung denn überhaupt hätten durchsetzen können.
So sieht es nicht aus. „Hier wird um null Mark gestritten“, so der DGB-Kreisvorsitzende Manfred Klöpper am Tag nach der Gläubigerversammlung.
Sei dem, wie es wolle – ob Engel nun nur einfach „gerecht“ sein wollte, ob er die Sinnlosigkeit von Aufhebungsverträgen mit hohen Abfindungssummen sah, oder ob er seine eigene Haut retten wollte – die noch verbliebenen Mitarbeiter waren ihm zunächst dafür dankbar, denn so sahen sie noch die Hoffnung, daß nach dem Konkurs der Laden weiterlaufen würde.
Das würde ein Wunder erfordern, und selbst Engel können keine Wunder bewirken. Es bestand noch ein paar Tage lang die vage Hoffnung, daß doch noch irgendwoher Aufträge kommen würden. Und da vertrat Reinhard Engel, was er schon immer vertreten hat: Ruhe halten, um eventuelle Auftraggeber nicht zu verschrecken.
Ruhe halten, schon immer das war bei KSW angesagt. Und das ist der Vorwurf, den Engel sich nun wird anhören müssen: Eine Rettung des Produktionsstandortes KSW, das zeichnete sich schon seit einigen Jahren ab, wäre angesichts des drastischen Rückganges im Verbrauch von Strickgarnen (von 1986 auf 1987 um ein Drittel) und gegen zwei potente Konkurrenten nur mittels Hilfe vom Staat möglich gewesen. Und wenn man in Bonn und Hannover gehört werden will, muß man recht laut rufen.

Freistellung
Eine Freistellung ist (noch) keine Entlassung. Der Vorgang zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei einer Freistellung ist der: Der Arbeitgeber verzichtet auf die Arbeitskraft des Arbeitnehmers, das Vertragsverhältnis zwischen beiden besteht aber weiter, so daß die Freistellung den Arbeitgeber nicht von der Zahlungspflicht entbindet.
Von seiten des Arbeitnehmers sieht es so aus, daß er beschäftigungslos ist, also dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht. Daraus ergibt sich sein Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Differenz zwischen Arbeitslosengeld und Lohn hat der Arbeitgeber zu zahlen, im Falle eines Konkurses der Konkursverwalter. Der Arbeitnehmer bekommt das Geld in diesem Fall aber nicht ausgezahlt, sondern sein Anspruch wird erst berücksichtigt, wenn es um die Verteilung der Konkursmasse geht – wenn dann noch etwas für diese Zahlungen übrig ist.
Im Falle eines Konkurses, wo es klar ist, daß der Betrieb nur saniert werden kann, wenn Arbeitskräfte entlassen werden, ist absehbar, daß die freigestellten Mitarbeiter auch entlassen werden. Über 300 Entlassungen bei insgesamt 600 Beschäftigten (wie im Falle der KSW) erfüllen jedoch den Sachverhalt der Massenentlassung, und die ist bekanntlich genehmigungspflichtig. Der Konkursverwalter der KSW, Herr Trautmann, hat mit Sicherheit gleich am 1.6. beim Landesarbeitsamt die Genehmigung zur Massenentlassung beantragt.
Bei einer Entlassung muß eine „Sozialauswahl“ stattfinden. Ein Kinderloser muß vor einem Familienvater, ein Doppelverdiener vor einem Alleinverdiener, ein Dienstjüngerer vor einem Dienstälteren entlassen werden. Diese Sozialauswahl ist bei einer Freistellung bedeutungslos. Deshalb war es möglich, daß bei KSW Leute freigestellt wurden, die seit 38 Jahren da gearbeitet haben, ja sogar beide Verdiener von großen Familien.
Gegen eine Freistellung zu klagen, hat wenig Sinn. Zum einen ist die Gefahr groß, dass man vor Gericht unterliegt, denn man kann ja nicht einmal wegen der nicht durchgeführten Sozialauswahl klagen. Selbst wenn man gewinnt, ist der Titel nicht vollstreckbar. Der Prozeß kostet nur Geld, das dann hinterher der Konkursmasse fehlt, aus der u.a. Abfindungen zu zahlen wären. So bekommen die Rechtsanwälte das Geld, das besser in Form von Abfindungen an die Mitarbeiter gehen würde.

 

Aus Eins mach Drei – du sparst dabei
Stellen Sie sich vor, Sie besitzen ein Unternehmen, das in letzter Zeit nicht mehr so viel Gewinn abwirft. Es sieht sogar so aus, als müßten Sie in Konkurs gehen. Sie wollen aber Ihr Vermögen nicht verlieren. Halb so schlimm …
… da gibt es einen ganz legalen Trick: Zunächst einmal sezieren Sie Ihr Unternehmen und machen z.B. drei aus einem.

  • Gesellschaft Nr. 1 wird Eigentümer des immobilen und mobilen Kapitals, sprich der Produktions- und Verwaltungsgebäude sowie der Maschinerie.
  • Gesellschaft Nr. 2 bekommt einen noch rentablen Produktionszweig überschrieben und wird formal ein eigenständiger Betrieb.
  • Für Gesellschaft Nr. 3 bleibt der Produktionsbereich, der Ihnen Kopfschmerzen bereitet, weil er nicht mehr profitabel ist. Er darf die Produktion noch ein Weilchen weiterführen, nun allerdings nicht mehr in den eigenen Räumlichkeiten und mit den eigenen Maschinen, sondern in den von Gesellschaft Nr. 1 gemieteten Hallen – was Ihnen ermöglicht, das bißchen Geld, das die Produktionsgesellschaft erwirtschaftet, der späteren Konkursmasse zu entziehen und für sich zu behalten. Kapiert?

Und nun gehen Sie in Konkurs. Sie müssen nur nach der Sektion Ihres Unternehmens eine Schamfrist von einem Jahr einhalten, sonst fließt das Kapital der Gesellschaften Nr. 1 und Nr. 2 doch in die Konkursmasse ein, und das zu verhüten, war ja genau der Zweck der Übung. Der Konkurs der Kammgarnspinnerei Wilhelmshaven (KSW) ließ nach der Sektion sogar länger als ein Jahr auf sich warten, aber am 1. Juni war es soweit.

 

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