Gezeitenwechsel
Bioladen in Not
(hh) Das Geschäft mit biologischen Lebensmitteln geht schlecht. Aus internen Statistiken geht hervor, daß ca. 80% der Geschäfte zumachen, wenn sie kein neues Konzept entwickeln. Folgender Artikel beschreibt einen Neubeginn mit Hindernissen. Es geht um den Naturkostladen Jonathan.
Ungefähr 40 Personen fanden sich am 8.Mai in der Perspektive ein, um über das Überleben ihres Naturkostladens Jonathan mitzubestimmen. Zu dieser Zusammenkunft hatten Walter und Uschi Fürup, Eigentümer des Geschäfts, eingeladen.
Grund dafür war ein besorgniserregender Umsatzrückgang nach den Osterferien, der die beiden in Existenznot zu bringen drohte. So begann denn die Zusammenkunft mit einem leichten Schock für die Anwesenden, indem Walter F. die Situation mit den sehr drastischen Worten „Es geht uns einfach dreckig und wir wollen öffentlich unsere Situation darstellen, bevor wir klammheimlich den Laden zumachen“ begann.
Er schilderte seine und Uschis Beweggründe, ihre ursprünglich erlernten Berufe ganz oder teilweise aufzugeben und „begeistert von Naturkost“ ein Projekt Naturkostladen zu beginnen.
Es klingt schon ein wenig abenteuerlich, wenn man hört, daß die beiden mit je 5.000 DM Startkapital anfingen und die fehlenden Gelder mit Dispokrediten auszugleichen versuchten. Diese Vorgehensweise, die bei den Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre massenhaft entstandenen Naturkostläden sicherlich gang und gäbe war, führte das Geschäft auch jetzt relativ schnell in Finanznot.
Walter und Uschi, die beide aus Hannover gekommen waren, eröffneten im Oktober 82 ihren Laden in der Rheinstraße. 1986 erfolgte der Umzug in die Peterstraße; dort versprach man sich erheblich bessere Bedingungen. Gerade in der Umzugswoche fand in Tschernobyl die Katastrophe statt, so daß das Geschäft schlagartig zum Anlaufpunkt für besorgte Mitbürger wurde. Während dieser Zeit hatten die Mitarbeiter eine ganz wichtige Funktion. Sie waren die ersten, die Daten über verstrahlte Lebensmittel veröffentlichten und Informationsveranstaltungen durchführten.
Natürlich machten die beiden auch Fehler, die sich schnell rächten. Einerseits lagen die Waren zu lange im Regal; andererseits nahm man z.B. größere Mengen an Schuhen ins Sortiment, die sich einfach nicht in der vorgegebenen Zeit verkaufen ließen.
Im Januar dieses Jahres entschieden sich die beiden nun, „noch einmal durchzustarten“ und mit neuem Konzept, neuem Namen und verändertem Standort besser ins Geschäft zu kommen. Dieses Vorhaben hat, zumindest vorerst, nicht geklappt. Offensichtlich waren das zu viele Veränderungen auf einmal. Viele Kunden fanden den Laden, der jetzt ‚Ebbe und Flut‘ hieß, einfach nicht wieder, oder ihnen gefiel das neue Outfit nicht so richtig. Zudem war kein Geld für ausreichende Werbung mehr vorhanden. Die ersten beiden Monate gestalteten sich noch positiv; nach den Osterferien, in denen erfahrungsgemäß viele Käufer wegbleiben, blieben die Umsätze jedoch im Keller. Aufgrund der zu dünnen Finanzdecke konnten Rechnungen schon sehr bald nicht mehr bezahlt werden und Warenverbindlichkeiten mußten teilweise in neue Kredite umgewandelt werden. Den Großhändlern von biologischer Ware, die allesamt ein Zahlungsziel von 7 Tagen haben, geht es zumeist ähnlich schlecht, so daß hier keine Verzögerung rauszuholen war.
Im Anschluß an eine rege Diskussion, in der die Kunden ihre Ansichten und Vorschläge mitteilten, stellte Walter Fürup ein Finanzierungskonzept vor, das die momentane schwierige Situation überbrücken helfen soll. Dies sieht folgendermaßen aus: Die Kunden gewähren dem Naturkostladen, der inzwischen auf Wunsch derselben wieder Jonathan heißt, einen oder mehrere Kleinstkredite im Wert von 200,- bis zu 1.000,- DM zinsfrei für 2 Jahre. Der Kunde ist berechtigt, über 2 Jahre verteilt mit einem Rabatt von 4% einzukaufen. Das entspricht einer jährlichen Verzinsung von 10%. Gleichzeitig sollen Fehler analysiert und Mittel erdacht werden, die zu einer notwendigen Umsatzerhöhung von 20% führen müssen. Dazu gehört ein neues System der Direktvermarktung. Es wurde ein neuer Bioland-Landwirt aus Rastede gewonnen, bei dem die Waren direkt abgeholt und dadurch erheblich frischer und kostengünstiger angeboten werden können. Dasselbe gilt für eine neue Käserei, die „Butendieker“. Besichtigungsfahrten zu den Erzeugern sollen künftig das Verhältnis der Kunden zu den Waren lebendiger gestalten. Ferner soll ein Stehimbiß hinzukommen, wo im kleinen Rahmen z.B. während der Mittagszeit, verschiedene Salate o.ä. verspeist werden können.
Inzwischen sind die Umsätze wieder angestiegen und es hat ein enormer Prozeß der Solidarisierung eingesetzt. Konkret heißt das, daß 14.000,- DM an Einlagen zusammengekommen sind. Die Grenze ist auf 30.000,- DM festgelegt, so dass noch weitere Kunden eingeladen sind, sich an diesem Modell zu beteiligen
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