Bunt statt braun
Apr 012009
 

Antifaschismus zweigeteilt

Am 28. März gab es in der Stadt gleichzeitig zwei unterschiedliche antifaschistische Aktionen und viel Polizei – und erfreulicherweise (fast) keine Faschisten

(mt / red) Am 9. Februar erschien auf der Homepage der Antifa Esens ein Aufruf zu einer antifaschistischen Demonstration am 28. März in Wilhelmshaven. Zur Begründung hieß es da, die Nazi-Strukturen in Wilhelmshaven hätten sich in den letzten Jahren verfestigt und an Popularität gewonnen, und das „Palazzo“ sei – besonders freitags – eine Neonazi-Stammkneipe. „Also steht auf, es reicht uns! ES IST SCHLUSS MIT LUSTIG!“, endete dieser Aufruf.


Die AG Wiking, die zum Glück in Wilhelmshaven eher unbedeutend ist, nahm diesen Aufruf zum Anlass, für denselben Tag zu einer Demonstration gegen den „Rotfaschismus“ aufzurufen und bundesweit dafür zu mobilisieren.
Das Wilhelmshavener „Netzwerk gegen Rechts“ bereitete zu der Zeit eine antifaschistische Demonstration für den 25. April vor, weil die DVU für diesen Tag eine Kundgebung in Wilhelmshaven angemeldet hat. Nach dem Aufruf der AG Wiking sah sich das Netzwerk genötigt, seinerseits eine Kundgebung am 28.3. abzuhalten.
Die Aktion der AG Wiking wurde verboten, die beiden antifaschistischen Aktionen dagegen durften stattfinden.
So kam es, dass am 28. März zwei unterschiedliche Gruppierungen getrennt voneinander ihre antifaschistischen Aktionen durchführten. Symbolträchtig um fünf vor zwölf versammelten sich auf dem Börsenplatz Vertreter von Gewerkschaften, SPD, Jusos, Grünen, MLPD, Kirchen und andere; gleichzeitig tummelten sich zwischen Nordseepassage und Hertie (auf „dem Rampla“, wie es im Aufruf geheißen hatte) zahlreiche schwarz gekleidete junge Leute mit zum Teil sehr bunten Haaren. Natürlich war auch Polizei reichlich vertreten – mit ca. 250 Beamten kam beinahe auf jeden Demonstranten ein Polizist. Die einzigen, die nicht gesichtet wurden, waren die Neonazis.

Rechtsextreme suchen neue Wege

Redner der Kundgebung des Netzwerkes auf dem Börsenplatz waren Tim Sommer (SPD/Stopp Rechts), Norbert Schmidt (SPD / Ratsvorsitzender), Doro Jürgensen (Kreisvorsitzende DGB), Helmut Stumm (SPD-Kreisvorsitzender), Peter Sokolowski (Bündnis 90/Die Grünen) und Hannes und Konrad von Pentz (Rebell bzw. MLPD). Aus Platzgründen können wir nicht alle zitieren, hier einige Auszüge.
Doro Jürgensen wies eindrücklich darauf hin, dass es nicht übertrieben ist, vor der braunen Gefahr zu warnen. „Die rechtsextreme Szene in Deutschland ist vielschichtiger geworden. Neonazis setzen immer mehr auf Musik, lebensnahe Themen und abwechslungsreiche Freizeitgestaltung, um Menschen für sich zu vereinnahmen. Sie versuchen auf unterschiedliche Weise Jung und Alt, Erwerbslose oder Beschäftigte zu erreichen. Und dabei ist ihnen jedes Mittel recht. Sie nutzen Gedenkveranstaltungen wie z. B. in Esens oder 1. Mai-Veranstaltungen wie in Hannover, in Sachsen-Anhalt richteten sie sogar Beratungsstellen für Erwerbslose ein … Sie geben sich als Vorkämpfer für die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus und tarnen dabei nur ihren Hass auf Demokratie und Andersdenkende. Sie werben mit dem Schlagwort eines ‚Nationalen Sozialismus‘ und meinen dabei eine faschistische Diktatur. NPD und DVU fungieren als parlamentarischer Arm, ‚Freie Kameradschaften‘ und andere Neonazis sind für die Straßen zuständig.“ Die negative Abgrenzung zum Rassismus und Faschismus, so Jürgensen, reicht allein nicht aus: „Wir sehen es auch als unsere Aufgabe, die Ursache von Rechtsextremismus zu bekämpfen. Wir müssen gemeinsam Bündnisse gegen Rechts, aber und vor allem auch Bündnisse gegen Armut und Sozialabbau schmieden.“
Norbert Schmidt rief die Erinnerung an die Geschehnisse des 9. November 1938 wach, als deutschlandweit, auch in Wilhelmshaven, unter dem Jubel umstehender Gaffer 12.000 Synagogen in Brand gesteckt und Zehntausende jüdische Mitbürger verschleppt, Hunderte allein in jenen Tagen ermordet wurden. „Aus dem deutschen Reich wurde eine kriminelle Vereinigung zum Zwecke des Massenmords an Juden. Zu hart ausgedrückt? Ich sage Nein!“ Für ihn ist es unabdingbar, die Erinnerung wach zu halten: „Es liegt eine trügerische Ruhe über unserer Jetztzeit. Viele Menschen – leider auch viele junge Menschen – wollen die damalige Zeit und die Geschehnisse nur sehr verklärt zur Kenntnis nehmen. Sie versuchen wieder einmal in einer – zugegeben sehr kritischen wirtschaftlichen Zeit – Menschen auf ihre Seite zu ziehen. Klare Sprache, einfache Lösungen auf komplexe Fragen, vieles kommt mir bekannt vor. Rechte Parolen, rechtes Gedankengut, rechte Gewalt: Dagegen müssen wir aufstehen! Allen neonazistischen Aktivitäten müssen wir deshalb mit friedlichen Mitteln begegnen. Kein Raum den Neonazis in unserer Stadt Wilhelmshaven! Aufmärsche der Rechten dürfen nicht stattfinden!“
Klare Ansage. Mit einer kurzen Lesung aus „Und wenn wir nur eine Stunde gewinnen…“ von Peter Schneider unterstrich Schmidt, dass auch im Dritten Reich Widerstand möglich war (es geht um die Frauen der „Rosenstraße“, Frauen, die Widerstand leisteten, Frauen, die für die Freilassung ihrer jüdischen Männer kämpften – der faschistische Staat war machtlos dagegen – Anm. Gegenwind) und bis heute weiter nötig ist: „Es ist und bleibt unsere gemeinsame Aufgabe, nach unserer wiedergewonnenen Freiheit nach 1945, wachsam zu sein und zu bleiben.“
antifaInsgesamt hinterließ die Kundgebung das gute Gefühl, dass alle ernsthaft hinter der gemeinsamen Sache stehen – es gab keine partei- oder verbandspolitischen Sonntagsreden.
Die Veranstaltung auf dem Börsenplatz verlief friedlich, wie auch die Demonstration des Arbeitskreises „Harlingerland gegen Rechts“, welche fast ausschließlich von Autonomen durchgeführt wurde. Sie startete auf der Rambla gegen 13.00 Uhr und wurde an unterschiedlichen Stellen von einigen wenigen Neonazis gestört. Als die Demonstration auf dem Börsenplatz eine Pause einlegte, wurden die Teilnehmer durch ein Fenster eines Wohnhauses von Neonazis fotografiert.
Zum Ende der Demonstration bewegte sich der Zug auf der Bahnhofsstraße Richtung Nordseepassage und sollte eigentlich zurück zur Rambla. Jedoch bog der Zug spontan links in die Mitscherlichstraße ab, was unter den ca. 250 Mann starken Einsatzkräften der Polizei Verwirrung und Unruhe auslöste. Der Zug wurde von den Einsatzkräften gestoppt. Es kam zur Rebellion der Demonstranten, jedoch entschärfte sich die Situation schnell wieder, so dass es ohne Gewaltanwendung abging.

Keine Rede gab es am 28.3. von der Partei DIE LINKE, was einige Leute nicht verstanden, da die WZ deren Presseerklärung nicht veröffentlicht hatte, in der es hieß: Erst nach einem Demonstrationsaufruf einer Antifa-Gruppe für den 28. März meldete die AG Wiking eine „Gegendemonstration“ für denselben Tag an – Grund für das Netzwerk, eine Kundgebung gegen Neonazis zu planen. Der Anlass ist herbeigeredet, doch viele Organisationen sehen sich nun genötigt, bei dieser Gelegenheit aufzutreten und einen Beitrag zu leisten. Wer nicht mitmacht, setzt sich dem Verdacht aus, nicht antifaschistisch zu sein; wer am Samstag fehlt, versäumt eine Gelegenheit, sich zu zeigen und zu profilieren. Die LINKE.Wilhelmshaven und die LAW lassen sich nicht zur Teilnahme an einer so zustande gekommenen Kundgebung nötigen.


„Am Samstag, den 25.04.2009 veranstaltet die faschistische „Deutsche Volksunion“ (DVU) ihren Auftakt zum Europawahlkampf auf dem Valoisplatz in Wilhelmshaven.
antifa 2Das Wilhelmshavener Netzwerk gegen Rechts wird aus diesem Anlass am 25.04.2009 einen Aktionstag am Pumpwerk unter dem Motto „Bunt statt Braun“ ausrichten.
Kleinkunst, Vorträge, Filme, Ausstellungen, Diskussionen und am Abend ein Rock gegen Rechts-Konzert bilden das Rahmenprogramm zu diesem Tag des Antifaschismus.
Beginn des Aktionstages ist am Samstag, den 25.04.2009 um 11.00 Uhr am Pumpwerk. Weitere Infos im Internet unter www.stop-rechts.de“

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