Tabu
Jan 271992
 

Eine Mauer des Schweigens

Sexueller Mißbrauch – reden über ein Tabu

(ub) Seit dem Frühjahr 1991 trifft sich in der SOS-Jugendberatungsstelle (Schillerstraße 8) eine Gruppe von jungen Frauen, die über ihre Mißbrauchserlebnisse nicht mehr länger schweigen wollen.

Trotz zunehmender Berichterstattung in den Medien bleibt das Thema „Sexueller Mißbrauch“ ein gesellschaftliches Tabu. In den Köpfen vieler Menschen geistert noch immer die Vorstellung vom Täter als aggressivem, abartig veranlagtem, triebhaftem Mann, der kleine Mädchen im Park mit Bonbons anlockt. Den missbrauchten Mädchen wird immer noch unterstellt, sie seien frühreife, verführerische „Lolitas“, die ihre sexuellen Reize an älteren Männern ausprobierten.
Die Psychoanalytikerin Alice Miller stellt in ihrem Buch „Du sollst nicht merken“ fest, „daß in unserer Kultur nicht der sexuelle Mißbrauch von Kindern verboten ist, sondern das Sprechen darüber.“ Belastet von stärksten Scham- und Schuldgefühlen, sehen sich die Opfer dann auch sehr oft außerstande, Dritten etwas von ihren Mißbrauchserlebnissen zu erzählen. Wagen sie es dennoch, reagiert ihre Umgebung nicht selten mit Unglauben, Ablehnung oder Vorwürfen.
Den Frauen, die sich in der Gesprächsgruppe treffen, bietet die SOS-Jugendberatung einen geschützten Rahmen, in dem ihre Anonymität gewährleistet ist. Sie treffen dort auf Frauen, die mehr oder weniger das Gleiche erlebt haben und deren jetzige Probleme sehr ähnlich sind. Gemeinsam ist ihnen oftmals, daß sie unter Angstzuständen, geringem Selbstwertgefühl und mangelndem Durchsetzungsvermögen leiden. Dazu kommen oft lebensbedrohliche seelische und körperliche Reaktionen wie Selbstmordgedanken, Alpträume, unerklärliche Schmerzzustände und Depressionen.
In der Gruppe haben die Frauen die Möglichkeit, aus ihrer Isolation herauszukommen. Sie können voneinander lernen, wie Frauen die Probleme, die aus dem Missbrauch resultieren, angehen können. Einige Frauen holen sich zusätzlich therapeutische Unterstützung. Sie können diese Erfahrung den anderen Gruppenteilnehmerinnen mitteilen.
Zwei Sozialpädagoginnen begleiten die Gruppe unterstützend. Vom Missbrauch betroffene Frauen können sich dieser regelmäßig dienstags von 18.00 bis 19.45 Uhr stattfindenden Gruppe jederzeit anschließen.

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