Über Notwendigkeit und Nöte der Wilhelmshavener Selbsthilfegruppe suchtkranker Frauen
(iz) Im August vergangenen Jahres hat sich aus der Suchtkranken-Selbsthilfegruppe des Blauen Kreuzes heraus eine eigene Frauengruppe gebildet. Die Initiatorinnen schilderten dem GEGENWIND, welche Probleme sich damit lösen lassen – und welche neu entstehen.
Ingrid Niewint und Ursula Schulte beurteilen die Funktionen und Strukturen von Selbsthilfegruppen aus innerer und äußerer Sicht. Neben der eigenen Betroffenheit verfügen sie über Ausbildung und Erfahrungen als ehrenamtliche Suchthelferinnen. Über jahrelange Arbeit in gemischten Blaukreuz-Gruppen haben sie ihre Krankheit überwunden. Worin sehen sie die Notwendigkeit spezieller Frauengruppen in der Therapie?
Die Gruppendynamik – ob Blaukreuz, Guttempler oder Anonyme AlkoholikerInnen – ist der von gemischten Gruppen anderer Arbeitsbereiche vergleichbar.
Das geschlechtsspezifische Rollenverhalten, das Alltag und Beziehungen prägt (und oft Auslöser der Krankheit ist), findet sich in den Gruppen wieder. Das beginnt beim Sprachverhalten – Männer reden lauter und haben weniger Hemmungen, andere beim Reden zu unterbrechen – und endet damit, nicht adäquat mit den Gefühlen anderer umzugehen. Unter diesen Umständen ist es erst recht unmöglich, frauenspezifische (Sucht-) Probleme zu behandeln.
Weiterhin bergen langjährig eingefleischte Selbsthilfegruppen auch grundsätzliche (nicht geschlechtsspezifische) Gefahren: spätestens nach der zehnten gemeinsamen Wochenendunternehmung herrscht nur noch Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung – in der es unmöglich ist, Konfliktbewältigung zu lernen. Wie soll es dann erst außerhalb der Gruppe möglich sein, gegenüber Dritten Meinungsverschiedenheiten entgegenzutreten, ohne sofort den Konflikt wieder im Glas zu ertränken?
Am schlimmsten trifft es jene, die die Krankheit überwunden haben. Neulinge haben es insofern leichter, als allein die Überwindung der Sucht thematisiert wird – nicht aber der Umgang mit dem „normalen“, trockenen, drogenfreien Alltag.
Viele Suchtkranke entwickeln Strategien, um sich für den Rest des Lebens von der Sucht abzulenken – ein Weg, der nicht grundsätzlich verkehrt, aber ebenso wenig für jede/n der richtige ist und dementsprechend oft im Rückfall endet. So ist es für andere besser, weg vom ständigen Ausnahmezustand offensiv mit dem Alltag umzugehen. Dies bedeutet eine Fortentwicklung im doppelten Sinn – nämlich auch fort von der Gruppe, eine positive Individualisierung ohne falschen Trennungsschmerz.
Die Frauen-Selbsthilfegruppe stellt also nicht herkömmliche Therapieansätze grundsätzlich in Frage. Sie bietet geschlechts- und entwicklungsspezifische Möglichkeiten einer weiterführenden und vor allem selbstbestimmten Therapie. Niewint und Schulte verstehen sich zwar als Begründerinnen, nicht aber als Leiterinnen der Gruppe, deren Inhalte durch Eigeninitiative aller Teilnehmerinnen bestimmt werden. Alle 4 Wochen findet allerdings eine Supervision – letztlich auch Selbstkontrolle – statt.
Daß bislang durchschnittlich nur fünf Frauen regelmäßig die Chancen dieser Gruppe wahrnehmen, ist wohl auf die gleichen Ursachen zurückzuführen, die diese Gruppe erforderlich machen: Rollenverhalten und mangelndes Selbstvertrauen. Die Eifersucht der „Partner“ auf die Gruppe („warum können die Dir helfen, wenn nicht ich“) kann schon bei gemischten Gruppen soweit reichen, daß die Frau aktiv bis gewaltsam am Besuch der Gruppenabende gehindert wird.
Und nicht zuletzt die Reaktion männlicher Gruppenmitglieder: „Und wo bleiben wir, wenn ihr eine eigene Gruppe aufmacht?“
Die Selbsthilfegruppe suchtkranker Frauen trifft sich jeden Montag um 19 Uhr 30 in der Diakonie, Werftstr. 71. Kontakt: Ingrid Niewint, Ursula Schulte
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