Hinter dem Horizont...
Die Südzentrale trägt einen Geist in sich, der stärker als alle Willkür ist.
(hk) Es scheint sich ja das Gerücht zu bewahrheiten, dass es um die Zukunft der Südzentrale so schlecht gar nicht aussieht. Nach bisher noch nicht offiziell bestätigten Angaben will der Kraftwerksbetreiber e.on das Gebäude erstehen und einer neuen Nutzung zuführen.
Ob allerdings die Aussage stimmt, dass ein hoher städtischer Beamter gesagt hat, „wenn die schon keine Steuern zahlen, können die wenigstens die Südzentrale kaufen“, wird wohl auch weiterhin mit einigen Fragezeichen versehen bleiben.
Das „Forum Wilhelmshaven – Erhaltet die Südzentrale“ setzt sich seit mehreren Jahren für den Erhalt der Südzentrale ein und fällt mit fachlich versierten Aktionen und Informationen immer wieder positiv auf.
In diesem Jahr konnte das Forum die Landesbühne Nord für eine Zusammenarbeit zum bundesweiten Tag der Architektur gewinnen. Regisseur Frank Fuhrmann, bekannt als Theaterpädagoge des Jungen Theaters, inszenierte Texte zur Geschichte des Gebäudes. In einer Bewegungsperformance verarbeitete das Junge Theater Texte, Klänge, Musik und Spiel in einer Freiluft-Aufführung vor dem ehemaligen Kraftwerk.
Die Texte stammen aus der Diplomarbeit (Begegnungen mit Geschichte, neuem Leben und unwiederbringlichem Wert) von Corinna Nickel (geb. Janssen), aus Zeitungsberichten (z.B. aus dem Gegenwind) und aus Veröffentlichungen zur Architektur. Wir versuchen im Folgenden, die unserer Meinung nach aussagekräftigsten Passagen des 45-Minuten-Stückes zu dokumentieren. Um die Textpassagen nicht zu verwirrend wirken zu lassen, veröffentlichen wir sie ohne Zuordnung zu Personen (Reporterin, Arbeiter, Politiker, Architekt…).
Architektur ist die einzige Kunst, die jeder wahrnehmen oder ertragen muss – wir bewegen uns alle in geschlossenen Räumen zwischen Gebäuden; es kommt deshalb auf den Millimeter an bei dem, was ein Architekt zeichnet.
Mehr als 50 mal hat der Kaiser seine Stadt besucht. Er liebte diese in seinem Sinn entstehende Stadt. Das am Reißbrett in Berlin von Architekten der Schinkelschule entwickelte Wilhelmshaven wurde in Preußen „Schlicktown“ genannt.
1856 – 1869 galt das preußische Marineetablissement Wilhelmshaven mit seinem Hafenbau als größte Baustelle Europas. Technische Neuerungen wurden eingesetzt. Hier fand quasi eine späte industrielle Revolution statt. Gerade in der Bauplanung der Industrie wurden immer modernere und schlichtere Bauten bevorzugt. Als deren repräsentatives Meisterstück ist das Ensemble von Kaiser-Wilhelm-Brücke und Südzentrale zu sehen.
Im August 2003 wurde der Abbruch der Südzentrale genehmigt.
Das schöne Werk ist wahrer als der Künstler. Die Südzentrale hat zwei Weltkriege unbeschadet überstanden, was alleine wie ein Wunder erscheint. Denn tägliche Bombenangriffe demonstrierten die Funktion dieser Stadt in der deutschen Kriegsmaschinerie. Die Demontage nach dem Zweiten Weltkrieg wurde verhindert. Es blieb ein Kraftwerk, das zugleich Zeitzeuge einer Vergangenheit ist.
Nichts gedeiht ohne Pflege, und die vortrefflichsten Dinge verlieren durch unzweckmäßige Behandlung ihren Wert. Wer an Architektur denkt, versteht darunter zunächst immer die Bauglieder, die Fassaden, die Säulen, die Ornamente, und doch kommt das alles nur in zweiter Linie. Das Wirksamste ist nicht die Form, sondern ihre Umkehrung, der Raum, das Leere, das sich rhythmisch zwischen den Mauern ausbreitet, von ihnen begrenzt wird, aber dessen Lebendigkeit wichtiger ist als die Mauern.
Die Südzentrale verkörpert wie kein anderes Bauwerk in Wilhelmshaven die große, aber oftmals zwiespältige Vergangenheit dieser Stadt. Abriss oder Neunutzung werden darüber entscheiden, wie Wilhelmshaven mit sich selbst und der Vergangenheit umgeht, und damit auch, wie zukunftsfähig diese Stadt ist.
Die Südzentrale würde uns so viel erzählen können von dem, was sie in den letzten 95 Jahren erlebt hat.
Die vielen schweren Turbinen, die sicher auf den massiven Betonfundamenten der Maschinenhalle stehen mussten und die Tag und Nacht ununterbrochen mit viel Lärm und viel Bewegung Energie freisetzten.
Die vielen Tonnen von Kohle, die nötig waren, um die Kesselanlagen zu speisen, damit diese Energie überhaupt umgesetzt werden konnte.
Die Bauingenieure, die voller Stolz die Maschinenhalle, das Herzstück der Anlage, sicher nicht nur aufgrund der statischen Aufladung mit Filzpantoffeln betraten.
Die vielen Schichtarbeiter, die täglich mit dem Fahrrad zu ihrer Arbeit im Kraftwerk fuhren, ihr Vehikel im „Fahrradkeller“ abstellten und die beharrlich ihrer anstrengenden Arbeit nachgingen…
Bis Ende des Jahres 1993 wurde im Kesselhaus noch Heizwärme hergestellt.
Jeder, der sich nur einmal in die Hallen der Südzentrale wagte, ist fasziniert von der Gewaltigkeit und der Monumentalität der Gebäude. Zu sehen und auch zu spüren, welche Wichtigkeit dieses Kraftwerk gehabt haben muss, entgeht hier niemandem. Auch wenn das Bild vom originalen Erscheinungsbild heute stark durch die vielen auch negativen Einflüsse beeinträchtigt wird, hört man irgendwie noch immer das Rauschen und Rattern der Anlagen, man sieht den großen Laufkran und meint, er würde sich jeden Moment in Bewegung setzen können.
Heute ist es still geworden in dieser Halle, im Kesselhaus und in den anderen Gebäudeteilen. Hier rauscht nur noch der Wind durch das marode Dach und beschert damit eine ganz neue Atmosphäre. Der Zahn der Zeit nagt eindeutig an diesem so massiven Gebäude. Hier fehlt die Nutzung, die dieses Gebäude so dringend benötigt, um zu überleben.
Die Südzentrale trägt einen Geist in sich, der stärker als alle Willkür ist.
Sie will nicht gehen, sie stellt heute vermutlich genau diesen Stolz da, der es ihr verbietet, einfach zu sterben. Dafür war sie immer zu wichtig für die Stadt und für die Werft.
Wir bewundern staunend die Städte der Vergangenheit: Babylon, Theben, Athen, Rom, Bagdad; sie alle liegen in Trümmern und keine noch so geschäftig starke Fantasie vermag sie wieder aufzubauen. Aber unsere Städte leben, sie umgeben uns mit der ganzen Macht der Gegenwart, des Daseins, des Heuteseins. Und gegen ihre bunte Unendlichkeit ist alle Überlieferung, sind auch die kostbarsten Trümmer tot, gespenstig und arm. Unsere Städte sind uns so unerschöpflich wie das Leben selbst. Sie sind uns Heimat, weil sie täglich in tausend Stimmen zu uns reden, die wir nie vergessen können. Wie wir sie auch immer betrachten mögen, sie geben uns Freude, geben uns Kraft, geben den Boden, ohne den wir nicht leben können.
Ein Problem, das kaum jemand ausspricht, ist, dass von allen Gebäuden, die geschaffen werden, vielleicht ein Prozent, ein Promille oder vielleicht eins unter zehntausend Architektur ist. Der Rest ist Baugewerbe. Architektur ist eine extrem zerbrechliche, empfindliche und poetische Konzeption des Bauens. Die meisten jener Techniker, die Wolkenkratzer bauen, sind nicht in der Lage, eine Tür zu entwerfen, obwohl die Tür eines Gebäudes von immenser Bedeutung ist. Sie verlangt Sorgfalt, denn sie bestimmt Situationen, die die Qualität des gesamten Bauwerks prägen und die mit Ritualen zu tun haben. Was finde ich vor, wenn ich mich einem Gebäude nähere? Wie werde ich empfangen? Wie verlasse ich es wieder?
Ergriffen stehe ich … in der 60 Meter langen Maschinenhalle. Die andächtige Atmosphäre ergreift Besitz von mir und reißt mich mit sich fort. Ich schließe die Augen. Plötzlich höre ich einen Zug heranfahren, stählerne Reifen, Bremsen quietschen. Ich rieche Kohlenstaub und Schweiß. Dröhnend setzt sich der riesige Laufkran über mir in Bewegung, dessen Führung die ganze Halle überspannt. Umgewandelte Energie fließt in die Marineanlagen und umliegenden Wohnhäuser.
Ich öffne die Augen. Ich bin fast allein in der stillen, kühlen, leeren Halle. Mein Fotograf ist im Irrgarten der Trakte, Treppen und Ebenen untergetaucht, verschlungen vom Sog der Details, die festgehalten werden wollen. Ich schaue mich um. Mächtige Stahlträger wachsen tief aus dem weichen Baugrund heraus, ragen durchs Untergeschoss, tragen das Fundament der Maschinenhalle im Obergeschoss. Mein Blick folgt den Trägern hinauf, vorbei an Graffitis, an den Jugendstilfenstern, bis sie 20 Meter über meinem Kopf die hölzernen Dachträger aufnehmen. Dies ist für die Ewigkeit gebaut.
Die Ästhetik der Südzentrale ist zwiespältig, sie erzählt auch dunkle Geschichten. Sie wurde gebaut, um den Kriegshafen und seine Werkstätten mit Strom zu speisen. Sie hat die Tötungsmaschinerie zweier Weltkriege in Gang gehalten und beide überlebt. Sie ist mit der Entstehungsgeschichte der Stadt untrennbar verbunden. Beide hätte es ohne Kriegsabsichten nicht gegeben.
Nach 30jähriger Laufzeit liefen 1993 die Pachtverträge der Preußen Elektra aus.
Die Kesselanlagen wurden demontiert und entsorgt.
Auch die großen Schornsteine auf dem Dach wurden abgebaut.
Es bestanden bereits sinnvolle Planungen für eine Weiternutzung des Gebäudes, die allesamt nicht zu einem Ergebnis führten.
Stattdessen verkaufte der Bund an private Investoren, deren Pläne nicht genehmigt wurden.
Zunächst wurde allerdings die Betriebswohnung der Südzentrale im Bürotrakt noch als Sozialwohnung vermietet, und somit war die Südzentrale nie unbeaufsichtigt.
Die letzten Mieter zogen im November 1998 aus und hinterließen damit ein offenes, nicht abgesichertes Gebäude, das dem Vandalismus freigegeben wurde.
Mittlerweile wurde das Gebäude etwa viermal weiterverkauft, da es nie eine Möglichkeit für eine Nutzung gab. Damit steigerte sich auch der Verkaufspreis immer weiter. Mittlerweile liegt der Gebäudewert aufgrund der hohen Finanzierung bei etwa 1,2 Millionen Euro, die der jetzige Eigentümer scheinbar nicht mehr übrig hat, zudem eine Sanierung der Anlage sicherlich noch viele Millionen mehr kosten wird.
Abgesehen von diesem finanziellen Desaster, das sich den Eigentümern nun darstellt, zählt für die Südzentrale selbst und für die Wilhelmshavener Bürger aber vielmehr ihre wirkliche Geschichte.
aus dem Bauordnungsamt gab es gegen die Veranstaltung zum Tag der Architektur an der Südzentrale.
Die Veranstalter hatten geplant, ihr Projekt direkt auf dem Gelände der Südzentrale durchzuführen. Man nahm also Kontakt zu den Ibbenbürener Eigentümern auf und vereinbarte die entsprechende Nutzung des Geländes, die Haftungsfrage war geklärt, kurz: alles in trockenen Tüchern. Die Veranstalter konnten ihre Infos und Einladungen drucken. In der örtlichen Presse erschienen die ersten Artikel. Nun muss im Bauordnungsamt jemand sitzen, dem das alles überhaupt nicht gefiel. Jedenfalls rief dieser Herr ebenfalls in Ibbenbüren an und attackierte die Südzentralen-Eigentümer. Diese fühlten sich so unter Druck gesetzt und verwehrten in ziemlich barschem Ton den Veranstaltern die Nutzung des Geländes.
Eigentlich schade, denn die Ibbenbürener Eigentümer hätten ein wenig gute Presse sehr gut gebrauchen können. Was nun den Herrn der Stadtverwaltung veranlasst hat, gegen die Veranstaltung zu schießen, weiß wahrscheinlich nicht einmal sein Vorgesetzter, der Stadtbaurat Kotteck. (hk)
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