Gegenwind-Gespräch: Wolle Willig
Betreutes Trinken in Gefahr
Wissenswertes zum Niedergang unserer Kneipenlandschaft
(ft/iz) Es gibt Kneipen, die sind mehr als das, nämlich eine Institution. Was sie wert sind, wird vielen erst bewusst, wenn es sie nicht mehr gibt. Wenn ein Wirt nach 18 Jahren das Gläserhandtuch schmeißen will, hat das sehr komplexe Ursachen und Gründe, die uns Wolle Willig verriet, der sich möglicherweise von seinem legendären “Trinkfachgeschäft“ auf Siebethsburg trennen will.
Gegenwind: Wolle, nach 18 Jahren willst du das “Rizz“, eine der letzten gewachsenen Szenekneipen der Stadt, dicht machen. Kein betreutes Trinken mehr. Kannst du das verantworten?
Wolle Willig: Ich bin mir noch gar nicht sicher, wann ich aufhöre. Ob’s nicht doch noch eine Möglichkeit gibt, das irgendwie …
Ist das wieder so ’n Trick wie beim Canapé? Da hast du doch 10mal die Schließung angekündigt und jedes Mal ne Super Abschlussparty gehabt …
Stimmt doch gar nicht.
Ist aber ’ne gute Idee.
Beim Canapé hat’s aber nicht wie jetzt beim Rizz so viel Bewegung gegeben. Jetzt ist es bisschen schwierig, ich bin noch so in dieser letzten Entscheidungsphase. Silvester war richtig was los, da war angekündigt „das könnte die letzte Silvesterparty hier sein“ – unter meiner Leitung …
Das heißt, du willst die Kneipe an jemand anderen übergeben?
Ich glaube nicht, dass ich da einen für finde. Ich hab’s aber auch noch gar nicht versucht. Andererseits, wenn der Pegel entsprechend hoch ist, gibt’s aus der Gästeschar immer Überlegungen – „das müsste man denn so und so machen, da muss wieder ein Billardtisch und ein Kicker her“, auch wenn der vom Platz gar nicht dahin passt, „das muss irgendwie gehen“. Und: „Du brauchst dich um nichts mehr zu kümmern, wir machen das für dich.“ Das sind Leute, die das von ihrer beruflichen Situation her gar nicht machen können. Aber sie würden das gerne tun.
Hattest du schon gesagt, warum du aufhören willst?
Das bin ich schon 1000mal gefragt worden. Meine Standardantwort ist dann, wie damals schon im Canapé: Ich bin es leid, 3mal die Woche morgens um 7 aufzustehen, um das Geld von links nach rechts zu schaufeln.
Aber jetzt mal im Ernst: Im Grunde sind schon seit Mitte der 90er Jahre die Umsätze bei mir ganz konkret, aber auch in der gesamten Gastronomie in Wilhelmshaven, zurück gegangen, um etwa mindestens die Hälfte. Und es gibt so etwas wie einen „break even“, den hab ich mir 1986 damals schon ausgerechnet, wie viel Umsatz ich brauche, damit der Laden existieren kann, und dann gibt es den nächsten Punkt: Wo ich selber existieren kann. Und ich bin jetzt an einer Stelle, wo ich den aktualisierten break even gar nicht mehr erreiche und im Grunde im vergangenen Jahr, also 2004, immer Geld mitbringen musste.
Hängt das auch mit dem Palazzo zusammen?
Die Tendenz ist dort die Gleiche, der Besitzer beobachtet das Gleiche seit Mitte der 90er Jahre, dass bei ihm die Umsätze zurückgehen.
Das war ja immer irgendwie gekoppelt, wenn dein Laden lief, war die Disco auch voll.
Jau. Rüdiger hat aber in diesem Jahr Glück gehabt, an den Standardtagen hat er das Gleiche erlebt wie ich, also nur Schlechtes, aber der hat ein paar Extraveranstaltungen gehabt, z. B. am Samstag mal einen Geburtstag, oder irgendwas, das die Leute unbedingt bei uns begehen wollen. Davon habe ich in diesem Jahr nicht ganz so viel gehabt.
Wir haben dieses Jahr, und das gehört natürlich auch zum Geschäftsjahr dazu, das Wochenende an der Jade gehabt. Das rettet mich mindestens über zwei Monate, wenn das gut gelaufen ist. Dieses Jahr ist es auf Null-Basis gelaufen. Da ist man kein Überflieger, wenn man sagt, ich kann da nicht für 5 Tage hingehen und hab nur 200 Euro über, das geht nicht.
Das war ja auch wieder verregnet.
Das war alles: Fußball-EM, Pisswetter, Haake Beck, schlechtes Programm. Eins davon ist noch zu verknusen, aber vier Faktoren auf einmal geht nicht. Six-Pack-Party beim Pumpwerk war noch annehmbar, das ist noch ein Selbstläufer, war aber schon mal besser. Das rechne ich alles dazu. Wenn dann so ’n Einbruch kommt, so sensibel ist das inzwischen, Wochenende an der Jade ist nix – schon stehste da wie Hein Blöd.
Woran liegt das, dass die Umsätze so zurückgehen?
Das ist diese Entwicklung, dass wir weniger Nachwuchs haben, das ist aber ganz dramatisch in den letzten zwei Jahren. Und natürlich, Leute, die da zwei, drei Jahre waren, gerade bei diesem jüngeren Segment zwischen 18 und Anfang bis Mitte 20 … bei dem einen stellen sich so arbeitsmäßige Veränderungen ein, das sind im Grunde immer wieder biografische Veränderungen, die da statt finden …
Dass die Leute weggehen aus der Stadt?
IGS, KKS, GaM: Die kommen, sind da bis zum Abitur, und gehen dann in andere Städte. Selbst Leute, die noch nahe wohnen, die in Oldenburg studieren, die kommen immer noch mal, aber das wird dann immer weniger. Und da habe ich den Nachwuchs nicht mehr.
Ich kann aber auch sagen, dass diese jungen Menschen nicht nur erstens irgendwann gehen, sondern zweitens inzwischen gar nicht mehr in dem Maße kommen, weil – ich nenne das immer so schön – diese Diversifikation des Angebotes für Leute in dem Alter stark vorangeschritten ist. Auch das war schon Ende der 90er zu sehen, dass bestimmte musikalische Interessen im Palazzo nicht mehr bedient werden, bei mir sowieso nicht, und die Leute es plötzlich gewohnt waren, nach Oldenburg, nach Bremen zu fahren, in bestimmte Locations, wie das so schön heißt.
Quasi die Änderung der Jugendkultur?
Die spielt da eine Rolle. Das, was für meine Generation – ich bin ja nun auch steinalt (50 – red.) noch irgendwie geklärt war: Da konntest du nur zu bestimmten Plätzen gehen, wo du bestimmte Anteile deines musikalischen oder auch geselligen Interesses vorgefunden hast. Da hast du auch andere getroffen, die etwas andere Interessen hatten, das hat sich dann arrangiert und da gab’s dann recht buntes Programm. Heute ist die Angebotsvielfalt größer – aber eben an verschiedenen Punkten. Ist auch nachvollziehbar. Das, was ich immer noch in einer gewissen Konstanz anbiete, kommt bei vielen der ohnehin schon weniger gewordenen jungen Menschen nicht mehr an.
Und unsere Generation, die mit dieser Kneipe, mit dieser Art Kneipen, groß bzw. inzwischen alt geworden ist, die gehen auch nicht mehr so viel weg?
Die haben ihre biografischen Änderungen schon vollzogen. Da gibt es manchmal noch so Rückflüsse, die muss man dann erst wieder sozialisieren auf die Kneipe, wenn die auf einmal meinen, sie hätten da alte Rechte. Die reichen in der Menge aber auch nicht aus. Stammgäste werden weniger, das war auch schon immer so, also auch das Bündel an Stammgästen ist weniger geworden, aber diese älteren Gäste, das ist auch leicht zu beobachten, die gehen weniger weg, aus verschiedenen Gründen. Das fängt schon mit materiellen Situationen an, hat aber auch was mit Interessensveränderung zu tun. Wenn die auf ’ne Party gehen, dann gehen die auf ’ne Party im Freundeskreis. Ich selber bin ja auch ein großer Freund der Restaurantkultur in meiner Freizeit – das machen die auch, wenn die einen Freundeskreis haben, der sich in einem Restaurant niederlässt. Die gehen aber nicht stumpf am Freitag oder Samstag um 9 oder 10 Uhr in die Kneipe mit sechs Mann und zelebrieren da ’ne große Geselligkeit. Um nicht zu sagen: Vollsuff. Das macht keiner.
Haben sich die Umsätze auch geändert in dem Sinne, dass die, die noch kommen, weniger ausgeben – oder hat der Euro da nix ausgemacht?
Der Euro hat da auch noch was ausgemacht. Vielleicht liegt es daran, dass die Leute weniger Geld haben, vielleicht haben sie, medial vermittelt, einen Euro-Schock gekriegt. Vielleicht betrifft mich das auch mehr als andere Läden, vielleicht ist das bei McDonalds anders, keine Ahnung.
Es ist ja auch so, dass die Bierpreise erhöht wurden.
Das sind ja nicht die Gastronomen gewesen, die plötzlich allein neue Preise erfunden haben. Ich habe kurz vor der Euro-Umstellung für die Kiste Bier 14,90 bis 16,90 DM bezahlt – das wäre dann so bei 7,50 Euro. Jetzt ist 10 Euro der Minimalpreis für eine Kiste Jever. Fassbier ist noch viel teurer geworden.
Welche Rolle spielt es, dass Wilhelmshaven die höchste Kneipendichte hat? Bei sinkender Einwohnerzahl.
Das ist traditionell so. Als ich angefangen habe, 1986, hatten wir auch schon die höchste Kneipendichte. Wir hatten eine höhere Kneipendichte als in Berlin. Wir haben jetzt weniger Kneipen als 1986 und müssen das wieder ins Verhältnis setzen: Weil wir auch Bevölkerung verloren haben, haben wir immer noch so eine hohe Kneipendichte. Das liegt einfach daran, dass das hier immer so war. Da zehrt die Stadt immer noch von dieser Tradition als Marinestadt.
Das heißt natürlich, dass es viele Wirte gibt, die da so vor sich hin vegetieren. Das könnte ich auch. Du hast zwei Möglichkeiten: Entweder du setzt dich 5,6 Tage da hin und ziehst das irgendwie durch, und bist materiell nicht vernünftig ausgestattet. Die andere Möglichkeit ist: Du suchst dir einen Job.
Und die Kneipe nur noch als Hobby?
Das kannst du noch nicht mal so sagen. Wenn das Hobby wäre, wäre es ja schön, aber wo fängt der Hobbybegriff an? Guck, ich bin jetzt seit 5 Jahren bei Radio Jade und habe mich inzwischen so eingegroovt, dass ich von montags bis mittwochs schwer im Radio arbeite, um dann einen ganz abrupten Arbeitsplatzwechsel vorzunehmen, indem ich nämlich Donnerstag meine erste Nacht hinterm Tresen stehe. Das ist der Wahnsinn.
Das klingt vielleicht für viele Leute luxuriös, wenn ich sage, dass ich so Arbeitszeiten habe wie 9 Uhr 30 vormittags, aber wenn ich donnerstags abends um 8 hinter der Theke stehe, hab ich allerdings bis 17 Uhr noch Sendung gehabt. Am Freitag stellt sich das genauso dar. Das ist für viele Wirte in diesem materiell irgendwie unterbelichteten Bereich nix Ungewöhnliches, dass sie noch irgendwie arbeiten gehen.
Nebenberufliche Gastwirte sind also nicht die Ausnahme?
Da gibt’s ja diese ganz fantastischen Neustarter im gastronomischen Geschäft, die aus einem festen Job heraus ’ne Kneipe aufmachen. Die wissen allerdings nicht, worum es geht (lacht). Da gibt’s dann welche, die haben ein paar Monate später die Kneipe aufgegeben und auch den Job nicht mehr.
Das ist zumindest diese Doppelbelastung. Selbst wenn die Kneipe schlecht läuft, bedeutet das, dass du immer noch viele Stunden mit der Kneipe zuzubringen hast. Das sind ja nicht nur die Betriebsstunden (lacht). Wenn’s eh schon schlecht läuft, dann wirst du dich auch nicht mehr – es sei denn, du bist blöd – vom Lastwagen des Bierverlegers beliefern lassen, dann ziehst du selbst los.
Im Grunde ist die Lage so – das ergibt sich aus dem vorher Gesagten: Zu diesen so genannten Nebenerwerbswirten gehöre ich mittlerweile auch. Nicht nur, dass ich in diesem schlechten Jahr Geld mitbringen musste – das hat auch vorher nicht mehr so wirklich viel abgeworfen, dass man da gesichert von leben konnte. Ich meine nicht zufrieden und luxuriös, sondern gesichert.
Radio allein reicht auch nicht, ich brauche ein zweites Standbein. Könnte auch wieder ’ne Kneipe sein.
Dann vielleicht in anderer Lage? Es gibt ja so was wie einen Synergie-Effekt, wenn man so ein “Bermuda-Dreieck“ hat, so wie früher an der Gökerstraße, Bistro, Bett, Jatz, … wo die Gäste dann von Kneipe zu Kneipe schlendern.
Das war damals so, als ich das Canapé in der Gökerstraße hatte, mit dem Saxophon, mit dem Liner auf der anderen Seite. Dann ist das Saxophon da weggegangen, plötzlich sackten wir zu einer Stadteilkneipe runter, weil sich da auch wieder Leute wegorientiert haben von dem Bermuda-Dreick, und für den Stadtteil sind 4 Kneipen viel zu viel.
Ich kann aber nicht sagen, warum. Vielleicht hat der Börsenplatz damals zunächst an Attraktivität gewonnen. Das war auch mal so ’ne Überlegung bei mir, an den Börsenplatz zu gehen. Das habe ich ja auch mal probiert mit der Country-Kneipe. Das ist Quatsch gewesen. Der Börsenplatz ist inzwischen, nach meinen Informationen und Erfahrungen, auch nicht so ein “Synergieplatz“. Es gibt welche, da funktioniert es, bei anderen nicht.
Am Börsenplatz blüht ja die Konzept-Gastronomie.
Mein eigener Versuch hatte ja auch ein eigenes, vor allem ganz falsches Konzept, das ich selber gar nicht vertreten konnte. Das ging über einen Partner. Der Platz an sich ist noch keine Garantie für irgendwas.
Wo ist der Unterschied zwischen einer Kneipe, bei der du wieder mitmachen würdest, für das zweite Standbein, und dem Rizz?
Ich sage dir, was ich nicht kann: Ich kann nicht so ein aufgesetztes Konzept vertreten. Das ist vielleicht kaufmännisch unflexibel, kann gut sein. Ist aber nicht mein Job. Tu ich mir auch nicht an. Insoweit bin ich auch mit diesem altbackenen Rizz-”Konzept“ einfach so ’n bisschen aus der Zeit, vielleicht bin ich in 10 Jahren wieder in der Zeit, weiß ich nicht. In Hamburg wäre ich heute auch noch so halbwegs in der Zeit mit diesem Konzept.
Das Konzept ist ganz einfach: Es ist ein kleines, dunkles Loch, ist laut, bezieht sich musikalisch auf rockige Wurzeln aus den 70ern, sagen wir mal, nimmt aber auch deutlich Tendenzen auf, die jetzt stattfinden – dadurch ist das laut und heftig. Und der Raum ist so ein Raum, der sich neuen Gästen erst nach und nach erschließt. Das heißt, du bist da einmal, siehst irgendwas, staunst, findest es vielleicht witzig oder auch nicht. Wenn du noch mal kommst, sitzt du da wieder und findest immer wieder neue Sachen.
Das ist in neuen modernen Kneipen manchmal auch so, aber es ist doch ausgesprochen standardisiert. Ich bin natürlich in der Beziehung doch Profi, wenn ich woanders bin und mir das angucke, dann sehe ich: Ist klar, das haben die im Satz eingekauft und hängen da mal zwanzig bunte Bilder an die Wand. Das hat auch ein bisschen was, aber es ist auch ermüdend. Bei mir ist das so mehr gewachsen.
Da gibt es richtige Lastwagenkonzepte: Der kommt, du hast vorher den Raum ausgemessen. Wie beim Bonny’s Diner …
… das läuft aber …
Da ist ein bisschen mehr Bewegung drin, Veränderung, und Programmangebot. Programm spielt für mich inzwischen keine Rolle mehr. Ich kann bei meiner Kneipengröße Veranstaltungen erst ab einem gewissen Level anbieten, das läuft. Wenn’s dir schlecht geht, kannst du das gar nicht bezahlen, da reitest du dich noch mehr rein.
Haben die Konzeptkneipen die “altbackenen“ Kneipen kaputt gemacht?
Es hat einfach Wanderungen gegeben. Wir leben ja immer von den Spitzen. Wenn Leute abwandern, die nicht so oft gekommen sind, finden die Spitzen nicht mehr statt.
Um auf die erste Frage zurückzukommen: Ich will mir im Moment noch den Luxus leisten (lacht), wenn ich gastronomisch was Neues in Angriff nehme, dass das was ist, das ich auch vertreten kann. Oder etwas anderes nehme.
Es muss ja was anderes sein. Sonst könntest du ja das Rizz behalten. Oder hat es doch was mit dem Standort zu tun?
Es hat auch eventuell was mit dem Standort zu tun. Das ist aber eine ganz filigrane Situation. Das ist nicht einfach nur so ’n Standort, wo andere schon sind, die sich gegenseitig befruchten. Das wäre toll. Damit hast du so ’n gewissen Garanten. Oder dass man was findet, das ohnehin schon gut läuft, wo sich jemand verabschiedet.
Die Grundgeschichte ist: Ich brauche zwei Standbeine. Das kann ja alles Mögliche sein. Nicht ganz, denn der Radiojob findet hier statt. Eine Ortsveränderung kommt so nicht in Betracht, wenn sich da nicht auf einmal tolle Sachen auftun. Und da ich in 2004 fünfzig geworden bin, halte ich das für vergleichsweise unwahrscheinlich. Ich wäre gern bereit, was tolles Neues zu machen, in einer anderen Stadt, aber das ist heute viel unwahrscheinlicher als vor 10 Jahren.
Wir wünschen dir viel tolles Neues und danken für das Gespräch.
Sorry, the comment form is closed at this time.