Abschiebung
Feb 012005
 

“Es liegt in Ihrem Interesse”

Familie Dukelaj droht die baldige Abschiebung

(iz) Am 29.12.2004 erhält Semsija Dukelaj von der Stadt Wilhelmshaven ein Merkblatt: “Wichtige Information Ihrer Ausländerbehörde“. Mit der Aufforderung, es aufmerksam durchzulesen: “Ich möchte in Ihrem Interesse verhindern, dass Sie Nachteile erleiden, die bei richtiger Information vermeidbar wären.“ Was ihr nachfolgend in trockenem Behördendeutsch vermittelt wird, steht in krassem Gegensatz zu der irreführenden Einleitung, die Behörde sei um ihr Wohl besorgt.

“Sie sind verpflichtet, aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen … Der genaue Termin Ihrer Abschiebung steht zur Zeit noch nicht fest. Ich kündige Ihnen hiermit jedoch nach § 56 Abs. 6 Ausländergesetz an, dass die Abschiebung schon in nächster Zeit ohne erneute Androhung – auch zwangsweise – vollzogen werden kann.“ Ihr wird die freiwillige Ausreise nahe gelegt, dafür gibt es sogar finanzielle Hilfen, anderenfalls müsse sie mit Zwangsmaßnahmen rechnen.
Man bittet sie um Verständnis für das Handeln der Behörde: “Bitte bedenken Sie: Die Ausländerbehörde muss Sie abschieben, wenn Sie Ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen.“ Ob Frau D. noch klar denken kann, wenn sie weiß, dass ihr Mann, der gleichfalls betroffen ist, nach der Rück-kehr im “Heimatstaat“ Montenegro möglicherweise sofort erschossen wird?
“Unter bestimmten Umständen muss sogar Abschiebungshaft angeordnet werden. Abschiebungshaft bedeutet: Aufenthalt in einem Gefängnis bis zum Tag der Abschiebung.“ Was “Haft“ bedeutet, weiß Familie Dukelaj aus eigener Erfahrung im “Heimatstaat“.
“Wenn Sie einmal abgeschoben worden sind, dürfen Sie später nicht mehr in die Bundesrepublik Deutschland einreisen und sich darin aufhalten. Dies gilt auch für Besuchsaufenthalte. Auch die Kosten einer Abschiebung müssen Sie selbst bezahlen.“
Die Zusammenfassung der Aufzählung unzumutbarer Härten entbehrt nicht eines gewissen Sarkasmus: “Es liegt also in Ihrem Interesse, dass es nicht zu Zwangsmaßnahmen kommt. Bitte nehmen Sie daher das Angebot, die Rückkehrfragen gemeinsam zu besprechen, in Anspruch. Auf diese Weise können Sie persönliche Nachteile vermeiden.“

Keine Wahl

Es liegt vor allem im Interesse der Familie Dukelaj, nicht nach Montenegro zurückkehren zu müssen, weil sie dort ganz erhebliche persönliche Nachteile erleiden werden. Ihre Wahlmöglichkeit liegt einzig darin, sich entweder auf Staatskosten oder aber auf eigene Kosten, mit vorausgehender Haft und auf Nimmerwiederkehr in eine unsichere Zukunft verfrachten zu lassen.
Ganz neu ist das alles für Semsija und Dzavid Dukelaj und ihre Familie nicht. Bereits im Januar 1991 werden sie abgeschoben, kehren aber wegen der Zustände in Jugoslawien wieder nach Deutschland zurück. Im Dezember des gleichen Jahres beantragen sie über ihren Wilhelmshavener Anwalt erneut Asyl. Nach deren Angaben ist David Dukelaj nach seiner Rückkehr nach Jugoslawien sofort als Reservist zur Armee eingezogen und in Slowenien eingesetzt worden. Er desertierte, wurde in seiner Wohnung in Titograd gestellt und ins Gefängnis gebracht, aus dem er dann ausbrechen konnte. “Der Antragsteller, dessen Schicksal von seiner Ehefrau und den Kindern geteilt wird, hat bei einer Rückkehr nach Jugoslawien mit schärfsten Repressionsmaßnahmen zu rechnen. Als Deserteur aus der Armee muß er schärfste Strafen gewärtigen bzw. lebensgefährliche Einsätze … Im übrigen darf mitgeteilt werden, daß die Familie Dukelaj von … (einem deutschen Freund – red.) betreut wird, wodurch eine angemessene Integration in die deutschen Lebensverhältnisse gegeben ist.“
Der Krieg ist vorbei, die Bedrohung bleibt. Dem Asylantrag wurde nie stattgegeben, Familie D. wird seitdem nur geduldet. Am 21.12.2004 wird die Tochter Ferida nach Montenegro abgeschoben. Am 27.12. erteilen sie einem deutschen Freund die Vollmacht, die sie und ihre Kinder betreffenden Aufenthaltsangelegenheiten in ihrem Namen sofort einzusehen, was jenem zuvor aus Gründen des Datenschutzes verweigert wurde. Am gleichen Tag erbittet er bei der Ausländerbehörde per Einschreiben bis zum 8.1.2005 schriftliche Auskunft zu folgenden Punkten:
1. Warum wurde die Tochter abgeschoben und 2. wann wird sie zurückgeholt? 3. Welchen Aufenthaltsstatus besitzt die seit 16 Jahren in Deutschland ansässige Familie D. derzeit? 4. Ist deren Abschiebung beabsichtigt und 5. wenn ja, mit welcher Begründung?

Keine Gründe

Die Antwort kommt am 6.1.: “3. Die Eheleute Dukelaj besitzen keinen Aufenthaltstitel, sie werden geduldet. 4. Eine Abschiebung der Eheleute ist beabsichtigt, wenn deren Reisefähigkeit vom Amtsarzt überprüft worden ist. 5. Die Eheleute Dukelaj sind vollziehbar ausreisepflichtig und sind nicht freiwillig ausgereist.“ Deutsche Bürokratie in Reinkultur: Sie müssen weg, weil sie weg müssen. Der Freund will aber wissen, weshalb man der Ansicht ist, die Betroffenen könnten gefahrlos nach Montenegro zurückkehren.
Die Fragen Ferida betreffend werden nicht beantwortet, weil sie “handlungsfähig im Sinne des Aufenthaltsgesetzes“ sei und “Ihnen eine eigene Vollmacht erteilen“ müsste. Das ist zynisch, denn nach ihrer Abschiebung ist eine Kontaktaufnahme unmöglich.
Am 10.1. bittet der Freund den Präsidenten des Niedersächsischen Landtages per Einschreiben um Überprüfung der Angelegenheit. Darin führt er folgende Fakten an, die das Amt für Ausländerwesen in der Beurteilung ignoriert hat:
1. Dzavid Dukelaj muss als früherer Deserteur fürchten, bei Abschiebung in seine frühere Heimat Montenegro sofort erschossen zu werden.
2. Semsija Dukelaj leidet seit Jahren an Diabetes. Ihre medizinische Versorgung wäre in Montenegro in der bisherigen Form nicht aufrecht zu erhalten.
3. Nach Abschiebung der Ferida Dukelaj ist die Erteilung einer Vollmacht zur Akteneinsicht und damit die Klärung der Abschiebungsgründe nicht möglich. Zur Zeit befindet sie sich in Montenegro ständig auf der Flucht vor einem aggressiven Familienmitglied, das fortwährend ihr Leben bedroht. “Da diese Umstände der Ausländerbehörde und dem Verwaltungsgericht offenbar bekannt sind / waren, wurde die junge Frau zu Unrecht abgeschoben. Eine solche lebensbedrohliche Gefahr hätte unbedingt Anlass einer Prüfung von Abschiebehindernissen gem. § 53, Abs. 61 Ausländergesetz sein müssen. Überdies soll Ferida Dukelaj vor dem Abtransport aus der JVA Langenhagen … offenbar mit sehr zweifelhaften Methoden behandelt worden sein.“
4. Der 82jährige Vater Shaban Dukelaj hat Mitte Dezember 2004 eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung bekommen. “Wie können allen Ernstes dann dessen Kinder und Kindeskinder nach Ex-Jugoslawien abgeschoben werden? Sollte der alte Mann etwa ohne seine Kinder hier ganz allein bleiben, oder ist ebenfalls beabsichtigt, ihn abzuschieben? Wäre das etwa menschliche Behandlung? Beinhaltet und fördert das Ausländer- und Asylrecht etwa das behördliche Auseinanderreißen von Familien?“
5. Diverse die Familie D. entlastende Faktoren wurden nicht berücksichtigt. Ein ehemaliger Nachbar wäre zu entsprechenden Aussagen bereit, “eine behördliche Anhörung wäre insofern dringend erforderlich.“
Nach Einschätzung des Verfassers ist die beabsichtigte Abschiebung “ein katastrophaler Fehler, der eine Familie, die hier seit 16 Jahren lebt, ins Unglück stürzt.“
Freunde der Familie Dukelaj vermuten, dass ihre plötzliche Abschiebung nach jahrelanger Duldung etwas mit der derzeitigen Panik vor islamistischem Terror zu tun haben könnte: sicherheitshalber so viele Moslems wie möglich raus aus Deutschland.
Ob die Anfrage an den Landtagspräsidenten aufschiebende Wirkung für die Abschiebung der Familie Dukelaj besitzt, ist offen.

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