Sande: Schule
Feb 012005
 

Eine Provinzposse?

Sander Eltern für Ganztagsschule – Lehrer dagegen – und was daraus werden könnte

(noa) Gerhard Schröder verdanken wir die Einsicht, dass Lehrer faule Säcke sind. Das sagte er, als er noch Niedersachsens Ministerpräsident war, und uns ist nichts darüber bekannt, ob er seine Meinung geändert hat. Und das Kollegium des Schulzentrums Sande bestätigt dieses von vielen liebevoll gehegte Vorurteil.

So jedenfalls scheint es zu sein, glaubt man der Berichterstattung. Da lasen wir im Dezember, dass die Sander Elternschaft die Schule zu einer Ganztagsschule machen will, die LehrerInnen sich diesem Wunsch aber verschließen. Aus egoistischen Gründen: Sie wollen am Nachmittag nicht in die Schule kommen, wahrscheinlich lieber ihr Mittagsschläfchen halten! “Was ist mit dem Elternwillen?“, fragt da die “WZ“ (20.12.04) und zitiert den SPD-Vorsitzenden Olaf Lies, der feststellt, dass angesichts der Zusammensetzung der Gesamtkonferenz (von 39 Mitgliedern nur je sechs Eltern- bzw. Schülervertreter) jede Entscheidung nur vom Willen des Lehrerkollegiums abhängig ist. Ja, so ist das. Und bisher hat es noch niemanden gestört, dass in den schulischen Gesamtkonferenzen die LehrerInnen die Mehrheit bilden. Der Ton der Berichterstattung erweckt den Eindruck, dass hier aber nun ein Haufen fauler Säcke sich zusammengeschlossen habe, um eine doch sehr wünschenswerte Entwicklung zu verhindern. Die Gesamtkonferenz ist das Beschlussgremium einer Schule. Das hat der zuständige Schulamtsdirektor Beier dem Kollegium gegenüber noch einmal bestätigt. Offenbar gilt das aber nur so lange, wie sie die Beschlüsse fällt, die erwünscht sind. “Nun muss sich, so Lies, die Politik auch fragen, ob diese Entscheidungsfindung in der Schule wirklich der richtige Weg sei.“ (WZ, 20.12.04) Diese Frage beantwortet zu bekommen, wartet man aber gar nicht erst ab, sondern jetzt, da die Gesamtkonferenz des Schulzentrums Sande mehrheitlich beschlossen hat, keinen Antrag auf die Einrichtung einer Ganztagsschule zu stellen, soll “der Landkreis Friesland als Schulträger auf Bitten der Eltern … die Einführung der Ganztagsschule beantragen. … Ein pädagogisches Konzept zu erarbeiten, ist Sache der Schulleitung“ (WZ, 27.12.04), und sie hat dafür Zeit bis zum 31.03.05. Der Sander Bürgermeister Josef Wesselmann ging beim Neujahrsempfang davon aus, dass man die Schule schon wird zwingen können: “Es sieht so aus, als würde das Schulzentrum Sande künftig eine Ganztagsschule.“ (WZ, 03.01.05) In dieser Äußerung wird deutlich, dass er unterstellt, einen Beschluss eines dafür autorisierten Gremiums könne man einfach ignorieren. Und wie die WZ, wie die Elternvertreter, wie die Lokalpolitiker, wie der Landrat ignoriert er einfach die Gründe, die die Sander Lehrerschaft gegen die Einführung der Ganztagsschule ins Feld führt. Für eine solche Umwidmung einer Schule gibt es Geld vom Bund für bauliche Maßnahmen. Vom Land, das das Personal finanziert, wird es aber gar nichts geben, weder zusätzliche Lehrerstunden noch Geld für die Gestaltung des Nachmittagsangebots. Die Zeit, die die LehrerInnen nachmittags in der Schule verbringen sollen, fehlt an den Vormittagen. Eine Einschränkung des Bildungsangebots wäre die zwangsläufige Folge, denn die Teilnahme am Nachmittagsangebot ist für die Schülerinnen und Schüler nicht verbindlich. Stoff, der in den Lehrplänen zwingend vorgesehen ist, könnte nachmittags nicht vermittelt werden, da er nur einen Teil der Kinder und Jugendlichen erreichen würde. Aus diesem Grund haben die Lehrer sich zu 100 % gegen die Ganztagsschule entschieden. Diesen Grund berücksichtigen weder die Politiker noch die WZ. Stattdessen wird das Klischee der faulen Säcke bemüht. Auch von Josef Wesselmann beim Neujahrsempfang: “Sollte es seitens der Lehrerschaft immer noch Vorbehalte geben, so sei angemerkt, dass nach meinem Verständnis auch den Lehrern das Wohl der Schüler sehr am Herzen liegen müsste und nicht so sehr das eigene Wohl.“ (WZ, 03.01.05) Das Wohl der Schüler – das eigene Wohl… Wahrscheinlich haben die Lehrerinnen und Lehrer beides im Blick. Die Arbeitszeit außerhalb der bisher üblichen Unterrichtszeiten soll ihnen nur zur Hälfte vergütet werden, und wer will so etwas schon selber beantragen? Gesamtelternratsvorsitzender Rolf Passick spendet Trost: Die Lehrer “könnten vielleicht einige schulische Tätigkeiten, die sie bisher zu Hause erledigen, künftig nachmittags in der Schule machen.“ (WZ, 27.12.04) Ja, die nachmittägliche Anwesenheit in der Schule würde den Lehrern nur zur Hälfte anerkannt; insofern stimmt es nicht ganz, dass diese Zeit vom Vormittagsunterricht abgehen würde, denn es wäre nur die halbe Zeit. Aber man stelle sich das praktisch vor: Lehrer Hempel sitzt in einem Klassenraum mit einer Gruppe von freiwilligen Schülern und bereitet seinen morgigen Unterricht vor oder korrigiert die Klassenarbeiten vom Vormittag. Ein solcher Vorschlag wertet beide Aspekte pädagogischer Arbeit, sowohl die unmittelbar am Kind vollbrachte wie auch die vor- und nachbereitende Arbeit, massiv ab – wenn man sowohl das eine wie das andere nebenbei machen kann… Landrat Sven Ambrosy unterstützt die Sander Eltern bei ihrem Ganztagsschulbestreben. Aus pädagogischen Gründen? – Es ist noch “Geld im Topf“, Zuschüsse könnten noch abgerufen werden. Der “Topf“, das ist eine Milliardensumme, die der Bund “für den Beton“ zu den Ganztagsschulen beizutragen bereit ist. Und wenn man sich seinen Anteil dieses Geldes nicht beizeiten holt, ist es weg. Die Nachmittagsbeschulung der Sander SchülerInnen würde ihre Fütterung am Mittag bedingen, eine Mensa müsste gebaut werden. Jetzt würde diese Mensa vom Bund bezahlt; beantragt man eine Ganztagsschule erst nächstes Jahr oder später, muss der Landkreis sie bezahlen. Ein verständliches Interesse des Landrates, jetzt zuzuschlagen und sich eine Kelle voll aus dem Topf holen zu wollen. Auf Kosten der pädagogischen Qualität des Unterrichts wäre es aber wohl nicht so sinnvoll. Alle, alle haben sich zusammengeschlossen, um das Kollegium des Schulzentrums Sande zu einem Antrag zu nötigen. Und “die Front bröckelt“ schon. Haben wir wirklich alle Aspekte ausreichend beleuchtet? Lassen wir uns vor den Karren der Schulleitung spannen? Sollen wir vielleicht doch…? Und: Was war das für eine “Besprechung zwischen Vertretern des Landkreises, der Schulleitung, des Elternrates und Schulamtsdirektor Beier“, die laut WZ vom 27.12.04 das Ergebnis hatte, dass “ein Antrag zur Einrichtung einer Ganztagsschule in Sande … auf den Weg gebracht werden“ soll? An der Schule Sande scheint von dieser Besprechung niemand etwas zu wissen. Nun: Wenn diese Gegenwind-Ausgabe aus der Druckerei kommt, wird der nächste Akt in dieser Posse schon stattgefunden haben. Am 17. Januar sollte im Kreisausschuss eine Abstimmung über den Antrag des Landkreises stattfinden. Die Schulleitung muss dann gegebenenfalls bis Ende März das pädagogische Konzept nachreichen. Da die Schulleitung aber gar keine Ganztagsschule einführen will, wird das ein tolles Konzept werden! Zwei Möglichkeiten eröffnen sich für den Fortgang des Stückes: Möglichkeit Nr. 1: Das Kultusministerium genehmigt die Ganztagsschule nicht. Im Lauf der Zeit beruhigen sich die Gemüter wieder, nur dann und wann, wenn man gerade mal wieder über die Lehrer schimpft, kommt die Erinnerung daran auf, dass auch damals 2004/2005 die Sander Lehrer mal wieder bewiesen haben, dass es schon stimmt mit den faulen Säcken. Möglichkeit Nr. 2: Das Kultusministerium genehmigt die Ganztagsschule. Nächste Szene im August oder September 2005: Lehrer Hempel sitzt in einem Klassenraum mit einer Gruppe von freiwilligen Schülern und bereitet seinen morgigen Unterricht vor oder korrigiert die Klassenarbeiten vom Vormittag…

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