Verfestigt
Same procedure as every year
(noa) Die Monatsversammlung der Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland ist immer am 2. Dienstag des Monats, und in der Januar-Versammlung ist immer Oberbürgermeister Menzel zu Gast. Dass am 8. Januar nur knapp 20 Mitglieder und Gäste kamen, wird wohl nicht am Referenten, sondern auch daran gelegen haben, dass die WZ die Ankündigung nicht veröffentlicht hatte.
Die Neujahrsrede von Günther Kraemmer war jedenfalls zu gut, um diesen wenigen ZuhörerInnen vorbehalten zu bleiben, weswegen wir sie hier größtenteils dokumentieren:
Bevor unser Oberbürgermeister sein Referat hält, möchte ich kurz noch auf die öffentlichen Debatten der letzten Tage und Wochen eingehen.
Zum einen zum Thema Mindestlohn, über den wir schon diskutiert und den wir gefordert haben, als es noch unpopulär war, ihn zu fordern – heute liegen wir damit im Trend, denn Mindestlohn ist auch im Sinne der Erwerbslosen. Der Ausplünderung der Arbeitskraft muss Einhalt geboten werden, und dabei kann der Mindestlohn ein Anfang sein. Wir werden feststellen, dass damit nicht das Ende des Abendlandes erfolgt.
Seit September 2005 ist nach Angaben der Bundesanstalt für Arbeit die Zahl der sogenannten „Aufstocker“, also derjenigen, die zusätzlich zu ihrem Arbeitslohn noch auf Hartz IV-Leistungen angewiesen sind, um mehr als ein Drittel gestiegen. Immer mehr Menschen können ihren Lebensunterhalt nicht mehr aus geleisteter Arbeit bestreiten.
Daher ist die Frage berechtigt, von wessen Aufschwung immer geredet wird. Aber ich denke, hier wird die Antwort gleich mitgeliefert. Peinlich wird es immer, wenn der Physikunterricht aus der Schule vergessen wird, wenn gestandene Politiker behaupten: „Der Aufschwung ist unten bei den Menschen angekommen.“
Was haben wir von der Regierung zu erwarten? Ich denke, es wird nichts von den Versprechungen übrig bleiben, die Lebenssituation der Erwerbslosen zu verbessern. Von der viel diskutierten Erhöhung des Arbeitslosengeldes II ist nichts übrig geblieben, von der Verlängerung der 58er-Regelung und der des Arbeitslosengeldes I weiß man noch nicht viel, und die heiße Armutsdebatte ist folgenlos der noch heißeren Sicherheitsdebatte zum Opfer gefallen.
Das Thema Arbeitslosigkeit ist eben weiterhin negativ besetzt, auch hier in Wilhelmshaven und Friesland, und das mag der Grund dafür sein, dass die Stadt Wilhelmshaven uns auch in diesem Jahr – wie in den Jahren zuvor – keine finanzielle Unterstützung gewährt.
Es ist nicht verwunderlich, wenn gesellschaftliche Verwerfungen eskalieren, bis hin zu offener Gewalt,
- wenn sich die Kommunen im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode sparen,
- wenn seit Jahren Jugendzentren dichtgemacht werden oder ums Überleben kämpfen müssen,
- wenn keine zusätzlichen Sozialarbeiter eingestellt werden,
- wenn Ehrenamtlichkeit und Bürgerengagement angemahnt und eingefordert, dann aber billig abgespeist wird, weil den Vereinen, die sich um die „Mühseligen und Beladenen“ kümmern, kein Geld zur Verfügung gestellt wird,
- wenn die Jugendarbeitslosigkeit hoch ist und die Ausbildungsplätze knapp sind,
- wenn eine Gesellschaft Schule und Bildung vernachlässigt und somit jungen Menschen kaum Perspektiven bieten kann und nur die Profiterwartung alles lenkt und steuert.
Und weil dies alles so ist, und wenn es auch so bleiben sollte, dann dürfen wir uns über die Folgen nicht wundern.
Dann diskutieren wir eben über Straflager, die in Deutschland und anderswo traurige Tradition haben. Aber dann muss die gesellschaftliche Debatte auch ehrlich und grundsätzlich geführt werden.
Eberhard Menzels Referat ging auf diese Gesichtspunkte nicht ein, aber das hatte auch niemand erwartet, da er traditionell immer über die wirtschaftliche Lage Wilhelmshavens aus der Sicht von Rat und Verwaltung spricht.
Die maritimen Dienstleistungen haben zugelegt, berichtete er, und weiter: Wilhelmshaven habe sich mit den Landkreisen Friesland, Wittmund und Wesermarsch zwecks gemeinsamer Wirtschaftsförderung zusammengetan, und man plane großindustrielle Projekte, zu denen es keine Alternative (!) gäbe; in naher Zukunft werden die Bauleitplanungen beschlossen.
Die Wirtschaft zu fördern, sei die Aufgabe von Politik und Verwaltung, und in dem ganz besonderen Ton, den alle, die Menzel öfter mal über Wirtschaftsförderung sprechen hören, gut kennen, äußerte er sein Unverständnis über die „juristischen Angriffe gegen die Bauleitplanungen von Personen, die auch ein Interesse an den Arbeitsplätzen haben sollten“. Seine Irritation über Menschen, die Arbeit um jeden Preis, Arbeit zu Hungerlöhnen und Arbeit unter gesundheitsgefährdenden Bedingungen nicht jubelnd begrüßen, projizierte er auf die, die andere Arbeitsplätze fordern und Möglichkeiten dazu aufzeigen: Es seien „verwirrte Menschen“, die „keine Verantwortung“ übernähmen.
Wirtschaftsförderung, so Menzel weiter, sei ein permanenter Prozess. Die Leute stünden nicht Schlange, um hier zu investieren – man müsse mit ihnen sprechen. „Man muss viele Frösche küssen, bevor sich einer von ihnen in einen Prinzen verwandelt“, beschrieb Menzel blumig die mühselige Arbeit der Wirtschaftsförderung. Kritische Betrachter haben in Wilhelmshaven zwar immer mal wieder den Eindruck, dass unsere Wirtschaftsförderer viele Prinzen küssen, um dann den zu nehmen, der sich in einen Frosch verwandelt, aber weiter im Text!
Wie es am selben Tag auch in der WZ gestanden hatte, berichtete Menzel, dass die Arbeitslosenzahlen auch in unserer Region gesunken seien. Und nun zählte er akribisch alle im vergangenen Jahr neu entstandenen Arbeitsplätze auf (2 Arbeitsplätze bei der Firma …, 8 Arbeitsplätze bei der Firma …, 1 Arbeitsplatz bei der Firma …) und schloss daran eine Aufzählung aller im eben begonnen Jahr zu erwartenden Arbeitsplätze an.
Die Frage nach der Zahl der im vergangenen Jahr vernichteten Arbeitsplätze konnte er nicht beantworten, so dass ein Fazit, ob netto mehr oder weniger Arbeitsstellen in Wilhelmshaven existieren, nicht gezogen werden kann. Die Meldung der Arbeitsagentur über die gesunkenen Arbeitslosenzahlen gibt darüber ja auch nicht unbedingt Aufschluss – angesichts dessen, dass z.B. Ein-Euro-Jobber aus der Statistik genommen werden und auch solche Leute, die trotz Arbeit aufstockendes Alg II beziehen müssen, natürlich auch nicht als arbeitslos gelten, sind solche statistischen Meldungen bekanntlich mit Vorsicht zu genießen.
Wie auch immer – Menzel hängte nun auch noch eine Aufzählung von in Aussicht stehenden Bauvorhaben an, doch die könnten erst realisiert werden, wenn die Großprojekte da sind. Und die (s.o.) werden ungebührlich verzögert von verwirrten, verantwortungslosen Menschen – die Rohrdommel kam in Menzels Vortrag an diesem Tag nicht vor!
Neben Kohlekraftwerksgegnern und sonstigen Natur- und Umweltschützern gibt es noch andere Verzögerer: So soll z.B. gegenüber dem St. Willehad-Hospital eine Altenwohnanlage entstehen, aber nun kommt der Denkmalschutz daher und macht Auflagen bezüglich des Gebäudes, in dem vormals die Ansgarischule untergebracht war. Da wäre es doch besser, etwas Altes einfach abzureißen, um Platz für etwas Neues zu schaffen.
Zwei Fragen beschäftigten Günther Kraemmer nach Menzels Referat noch: Was ist mit der Südzentrale, und was mit den Fäkalieneinleitungen in den Jadebusen?
Die Südzentrale, so Menzel, befindet sich in privatem Eigentum – darum kümmert sich die Stadt nicht. Und: Fäkalien werden nicht am Südstrand ins Meer eingeleitet, sondern Mischwasser. (Stimmt – wir erinnern uns: Wenn die Fäkalien rauslaufen, dann nicht in Gänze, sondern gequirlt – vgl. GW 229.)
Zur Frage, die Menzel jedes Jahr zu hören bekommt, nämlich, ob die ALI jemals damit rechnen könne, finanzielle Unterstützung von der Stadt zu bekommen, startete er ein Ablenkungsmanöver: Es habe bis vor kurzem ja die Jamaika-Kooperation gegeben, und dieser sei es nicht gelungen, einen Zuschuss für die ALI zu „verfestigen“. Verfestigen? Das klingt, als hätte frühere Ratsmehrheiten den Zuschuss für die ALI bewilligt, was, worauf Ernst Taux hinwies, ja nicht der Fall war. Aber Menzel hatte ja gar nicht „verfestigen“ sagen wollen, das ist nur sein neues Lieblingswort, das er halt ab und zu auch sagt, wenn’s nun gar nicht passt.
Taux jedenfalls stellte fest, dass der städtische Zuschuss, den es bislang nicht gegeben hat, eine dringende kommunale Angelegenheit wäre – „Steht der Personenkreis der Arbeitslosen überhaupt im Fokus der Stadt?“, wollte er wissen, und er erinnerte daran, dass diesem Personenkreis die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben weitgehend versagt ist. Menzels Antwort darauf war nicht unbedingt verständlich, aber auf jeden Fall ganz und gar Menzelsch: Er finde es seltsam, dass die, die die Rechte der Arbeiterklasse vertreten, im Rat dann gegen die Arbeitsplätze sind, aber Hunderttausende Euro zur Verteilung an Arbeitslose fordern. Das sollte wohl „NEIN“ heißen.
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